Bayerisches Digitalgesetz Mehr Rechte für Bürger und Unternehmen
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Das Bayerische Digitalgesetz, das nun in einem ersten Entwurf vorliegt, hat den Anspruch, die bislang umfassendste eGovernment-Gesetzgebung auf den Weg zu bringen – sogar im europäischen Vergleich. Unser Autor, Prof. Dr. Wilfried Bernhardt, hat der Vorlage auf den Zahn gefühlt.

Gerade in einer Phase, in der immer deutlicher wird, dass die durch das Onlinezugangsgesetz Bund, Ländern und Kommunen vorgegebene Digitalisierung und Abrufbarkeit der Verwaltungsleistungen über den Portalverbund zum 31. 12. 2022 weitgehend scheitern wird, kommt es mehr denn je auf die Landesgesetzgebung an.
Zusammenarbeit gesetzlich organisieren
Der Freistaat Bayern hatte mit dem Bayerischen E-Government-Gesetz bereits einen Rechtsrahmen für die digitale Verwaltung gesetzt, der zum 30.12.2015 in Kraft trat, zum 1.12.2017 um Regelungen für die Einrichtung eines eigenen Landesamts für Sicherheit in der Informationstechnik erweitert und im Mai 2018 aus Anlass des Inkrafttretens der EU- Datenschutzgrundverordnung angepasst wurde. Mit dem BayEGovG war Bayern insoweit einen Sonderweg gegangen, als bestimmte, im EGovG des Bundes von 2013 und etwa im Sächsischen EGovG von 2014 vorgezeichnete organisatorische Regelungen zur Ebenen übergreifenden Verwaltungszusammenarbeit fehlten. Dies soll nun durch das Bayerische Digitalgesetz nachgeholt und die institutionelle Zusammenarbeit der Landesebene mit den Kommunen in Art. 50 BayDiG-E mit dem Gremium „Kommunaler Digitalpakt“ etabliert werden.
Es hat sich gerade bei der Umsetzung des OZG gezeigt, dass ohne angemessene besondere Fokussierung auf die Zusammenarbeit mit der kommunalen Ebene das Ziel nicht erreichbar sein wird, den gesamtstaatlichen Durchbruch zum „Digital first zu erreichen. Die Kommunen sind zumeist zu einem eigenen Digitalisierungsbeitrag bereit, fordern aber auf der Grundlage der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und des damit im Zusammenhang stehenden Konnexitätsprinzips einen Ausgleich. Wünschenswert wäre gewesen, im Gesetz selbst die Kommunen stärker in die Pflicht zu nehmen – etwa bei der elektronischen Aktenpflicht oder bei der Bereitstellung von Open Data.
Die für den 1.1. 2024 (Inkrafttreten) des Art. 53b Abs. 1 Satz 2 BayDiG-E vorgesehene Regelung, wonach die Gemeindeverbände und die Gemeinden „in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises geeignete Verwaltungsleistungen auch digital anbieten“ sollen, dürfte sich schon aus dem OZG (Verpflichtung zum 31.12. 2022) ergeben, was allerdings rechtlich umstritten ist. Das gesetzlich verpflichtende Angebot des Freistaats, den Gemeindeverbände und Gemeinden bei den digitalen öffentlichen Diensten, bei den Basisdiensten und zentralen Diensten oder bei der Bereitstellung von mobilen Diensten zu helfen, reicht aber nicht aus. Neben erweiterten staatlichen Unterstützungen etwa bei Clouddiensten wäre es wünschenswert gewesen, konkrete finanzielle Kompensationen gesetzlich zu fixieren.
„Schalter“ zur digitalen Verwaltung „umlegen“
Der Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung vom 9.12.2021 (Drucksache 18/19572), der in der Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bayerischen Landtages am 18.3. 2022 teilweise in den Zielen Zustimmung fand, aber auch auf erhebliche Kritik stieß, soll zugleich den Weg in die Zukunft weisen, indem er den „Schalter“ vom analogen zum digitalen Verfahren umlegt.
So benennt Art. 20 BayDiG-E das digitale Verfahren als „Regelfall“ (Digital First). Dies soll sogar ermöglichen, Unternehmen und Organisationen zu einer ausschließlich digitalen Kommunikation über das Organisationskonto des Verwaltungsportals zu verpflichten. Bürgerinnen und Bürgern ist eine solche digitale Verpflichtung allerdings noch nicht zuzumuten, weshalb ausdrücklich Art. 12 Abs.1 Satz 2 des Entwurfs festlegt, dass ihnen ein analoger Kommunikationsweg weiterhin (neben dem digitalen) zur Verfügung stehen soll. Gemäß Art. 5 BayDiG seien „geeignete staatliche Prozesse der Verwaltung des Freistaates Bayern vollständig“ zu digitalisieren „und bereits digitalisierte Prozesse in einem Verbesserungsprozess“ fortzuentwickeln. Man vermisst allerdings die teilweise in anderen Ländern festgelegten konkreten Optimierungsziele. Zu begrüßen ist auch die Festlegung auf offene Software und offene Austauschstandards (Art. 3 Abs. 4), wenngleich die Begrenzung der Verpflichtung auf die „Wirtschaftlichkeit“ ein Einfallstor dafür bietet, sich aus Bequemlichkeit „wegen Unwirtschaftlichkeit“ von der grundsätzlichen Verpflichtung loszusagen.
Die Benennung der Prinzipien der Ökologie und Nachhaltigkeit (Art., 6 BayDiG-E) weist ebenfalls in die richtige Richtung. Wichtig ist auch, das Grundproblem für die in Deutschland einschließlich Bayern weiterhin defizitäre eGovernment-Entwicklung anzugehen, nämlich die mangelhafte Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung (Art.7 BayDiG-E) sowie „die Stärkung digitaler Grundkompetenzen von natürlichen und juristischen Personen“ zu fördern (Art. 10 Abs. 2 BayDiG-E).
Wichtig wird insoweit sein, in der Umsetzung niedrigschwellige Angebote etwa für die nicht „digital“ aufgewachsene ältere Bevölkerung zu unterbreiten.
Der bayerische Gesetzentwurf (insbesondere Art. 3 Abs. 1) beschreibt als Regelungsschwerpunkt die Herstellung einer bayerischen digitalen Souveränität („eigenständige digitalen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Freistaates Bayern und seiner Gebietskörper schaffen“) und benennt als Instrumente dieser Ziele den Unterhalt staatlicher Rechenzentren („Bayernserver“) und staatlich verfügbare Netze, geeigneter Cloud-Dienste und weitere geeignete Technologien und Anwendungen in Bayern.
Digitale Souveränität einbetten
Diese „strategische Autonomie“ des Freistaats Bayern dürfte kaum dem vom Grundgesetz angestrebten Ziel „Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse“ (Art. 72 Abs. 2 GG) entsprechen. Natürlich sieht das Grundgesetz für die Länder eine eigenständige Rolle bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse vor. Für diese Gestaltung wird der Einsatz digitaler Instrumente immer bedeutsamer. Aber der Digitalisierung immanent ist auch, dass deren Wirkungen nicht an räumlichen Grenzen enden, schon gar nicht an den Grenzen der Bundesländer untereinander.
Das Streben nach „digitaler Souveränität“ sollte daher die deutsche gesamtstaatliche und die europäische Dimension einbeziehen – mit der praktischen Konsequenz etwa einer auf der Bundesebene zu verantwortenden Verwaltungscloud, Kooperationen mit dem Bund und den anderen Ländern beim Betrieb von Rechenzentren oder einer gesamtstaatlichen IT—Sicherheitsstruktur mit der Geltung der vom BSI empfohlenen Standards (siehe § 3 Nr. 20 BSIG). Landesstandards sollten allenfalls für Bereiche gesetzt werden, wo die BSI-Standards nicht ausreichen.
Bayerischen Sonderwegen entgegenwirken
Auch aus dem Onlinezugangsgesetz, das seinerseits auf einer Ergänzung des Art. 91 c Grundgesetz beruht, ist zu entnehmen, allen Nutzern in Deutschland möglichst einen vergleichbaren Zugang auf alle digitalen Verwaltungsleistungen zu gewähren, und möglichst eine weitgehende Regelungskohärenz in Deutschland zu erreichen. Dies gilt vor allem für die Verpflichtungen, die sich unmittelbar aus dem OZG ergeben, etwa die Vorgabe, dass Bürger und Unternehmen von einem beliebigen Verwaltungsportal aus auf alle onlinefähigen Verwaltungsleistungen in Deutschland zugreifen können. Allerdings lässt die Regelung in Art. 29 Abs. 4 Satz 3 BayDiG-E, wonach die Anbindung von Bürgerkonten des Bundes oder anderer Länder an Verwaltungsleistungen der Behörden „über das bayerische Bürgerkonto“ erfolgt, im Unklaren, inwieweit von einem außerbayerischen Nutzerkonto zukünftig direkt auf die Verwaltungsleistungen im bayerischen Portal zugegriffen werden kann. Ein zu starkes Auseinanderdriften der eGovernment-Gesetzgebung der Länder auch außerhalb des unmittelbaren Regelungsgegenstands des OZG wäre der generellen Zielsetzung des Art. 91c Abs. 5 GG abträglich.
Zielsetzung des Gesetzes
Der Freistaat Bayern hat bereits in der Vergangenheit mit der Entwicklung übergreifender Digitalisierungsprogramme (BAYERN DIGITAL I und II, sowie die High-Tech-Agenda) entwickelt, um auf die Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation rechtzeitig und angemessen reagieren zu können. Mit dem Digitalgesetz sollen nun die rechtlichen Leitplanken für die Digitalisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung im Freistaat folgen. Ein derart umfassendes Digitalgesetz Art gab es in der deutschen Gesetzeslandschaft bisher nicht – worauf man in Bayern natürlich auch gerne hinweist.
Ziel des Gesetzes ist es, Digitalisierung nicht mehr in Silos zu denken, sondern als „zusammenhängenden Sachbereich“ zu verstehen. Auch im europäischen Kontext gibt es bisher kein Gesetz, dass Digitalisierung so übergreifend regelt. Neben der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen zur Förderung von Innovationen greift das Gesetz aber auch wichtige bekannte Themen wie die Verwaltungsmodernisierung und den Bürokratieabbau auf.
Ein weiteres Ziel des Digitalgesetzes ist es, das digitale Zusammenleben der Bürger zu gestalten und die Digitalisierung in allen Lebensbereichen zu unterstützen. Eine schnelle Umsetzung wird hier besonders in den Bereichen Bildung, Mobilität, Gesundheit, Wirtschaft und Technologie angestrebt. Die konsequente Förderung von digitalen Geschäftsmodellen und innovativen Technologien soll zudem die Zukunftsfähigkeit des Technologie- und Wirtschaftsstandorts Bayern auf Dauer sichern.
Mehr Rechte für Bürger und Unternehmen
Es ist dennoch nachvollziehbar, wenn Bayern den neuen Gesetzgebungsimpuls nutzt, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in einer digital transformierten Verwaltung zu stärken und – wie es in der Vorbemerkung des Gesetzentwurfs heißt – „bundesweit erstmals einen umfassenden Katalog digitaler Rechte von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen“ vorzusehen. Bei einer genaueren Analyse des Gesetzentwurfs zeigt sich allerdings, dass nur in seltenen Fällen neue echte justiziable Rechte verliehen werden sollen, etwa wenn Art. 7 Abs. 3 BayDiG-E ein subjektives Recht auf Fortbildung und Weiterbildung bei der Einführung neuer digitaler Verfahren sowie bei wesentlichen Erweiterungen oder sonstigen Änderungen bestehender Verfahren beschreibt. Viele „Rechte“ werden eher als Programmsätze und abstrakte Ziele formuliert, die allenfalls als Auslegungshilfen bei der Interpretation weiterer Vorschriften herangezogen werden können. Sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit noch weiterer Umsetzungsregelungen, zum Beispiel durch den in Art. 15 BayDiG-E vorgesehenen Digitalplan, der durch die Staatsregierung auf Vorschlag des Staatsministeriums für Digitales im Einvernehmen mit den Ressorts zu beschließen und regelmäßig fortzuschreiben ist.
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Digitale Verwaltung für alle
Bayern beschließt erstes Digitalgesetz
Die digitale Handlungsfreiheit (Art 9 ) stellt auf die „verbesserten“ Möglichkeiten zur digitalen Ausübung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, der Beteiligten- und Handlungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren, der elterlichen Sorge, der Vormundschaft, der Betreuung, der Bevollmächtigung, der Pflegschaft und der Rechtsnachfolge im Erbfall im Rahmen der Kommunikation mit den Behörden ab, ohne dass Instrumente zur Überprüfung der „Verbesserung“ zur Verfügung stehen. Auch die Regelung des Art. 10 zur digitalen Selbstbestimmung bleibt vage und beschreibt lediglich die Förderung der Selbstbestimmung und die Bereitstellung nutzerfreundlicher und barrierefreier digitaler Dienste, ohne dass aus dem Wortlaut der Regelung konkret durchsetzbare Rechte ableitbar wären. Das Recht auf mobile Bereitstellung öffentlicher digitaler Dienste (Art. 13) wird nur unter der „Maßgabe“ des Absatzes 2 gewährt, ein Rechtsanspruch auf Beseitigung von Funklöchern ergibt sich daraus nicht. Die in Art. 16 des Entwurfs normierten digitalen Zugangsrechte greifen lediglich die bereits in Art. 3 BayEGovG verankerten Rechte.
Unzureichende Open-Data-Regulierung
Im Vergleich zu den Regelungen der Bundesebene und der meisten anderer Länder erscheint weiterhin die Normierung des Open-Data-Prinzips in Art. 14 BayDiG-E als unzureichend. Den Behörden werden keine klaren Anhaltspunkte gegeben, welche Daten sie bereitstellen bzw. in welcher Form sie sie aufzubereiten haben, die Kommunen werden von Verpflichtungen nicht erfasst. Wenn Art. 14 Abs. 3 BayDiG-E zu „Open Data“ ein eigenes Gesetz vorsieht, ist zu befürchten, dass die derzeit in Deutschland und Europa breit diskutierte Ausweitung der Datennutzungsmöglichkeiten in Bayern auf sich warten lässt. Und an eine Regulierung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz in der Verwaltung -wie im März von Schleswig-Holstein mit dem IT-Einsatz-Gesetz in Kraft gesetzt, wagt sich der Bayerische Gesetzgeber offenbar nicht heran.
Es bleibt festhalten, dass mit dem Entwurf eines Bayerischen Digitalgesetzes zwar die eGovernment-Gesetzgebung in Deutschland in weitgehend positiver Weise fortgeschrieben wird, allerdings bleibt das Gesetz bei der Erschließung der Potenziale einer regulatorischen Modernisierung hinter den Möglichkeiten zurück.
Prof. Dr. Wilfried Bernhardt
Honorarprofessor für Internetrecht, eGovernment und eJustice an der Universität Leipzig
© Sächsisches Staatsministerium der Justiz
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