Digitalisierung in Staat und Verwaltung Den Wandel als Chance begreifen

Autor / Redakteur: Thomas Popp, Amtschef der Sächsischen Staatskanzlei und Beauftragter für Informationstechnologie (CIO) des Freistaates Sachsen / Manfred Klein

Die Digitalisierung geht nicht mehr weg – auch wenn viele sich das vielleicht wünschen. Wie man mit den damit verbundenen Veränderungen konstruktiv umgehen kann, darüber macht sich Sachsens CIO, Thomas Popp, in einem Gastbeitrag Gedanken.

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Jeder Fachminister müsse für sein Ressort zugleich auch Digitalminister sein, fordert der Amtschef der Sächsischen Staatskanzlei und Beauftragter für Informationstechnologie (CIO) des Freistaates Sachsen Thomas Popp
Jeder Fachminister müsse für sein Ressort zugleich auch Digitalminister sein, fordert der Amtschef der Sächsischen Staatskanzlei und Beauftragter für Informationstechnologie (CIO) des Freistaates Sachsen Thomas Popp
(© Staatskanzlei Sachsen)

Der technische Fortschritt nimmt keine Rücksicht auf Bestehendes, Bedenken und Zaudern. Digitale Innovationen entwickeln sich exponentiell und sind dadurch schwer zu greifen und zu leiten. Das stellt Staat und Verwaltung vor schwierige Aufgaben. Denn ein hoher Online-Reifegrad oder digitale Souveränität lassen sich nicht verordnen. Benötigt wird eine beherzte politische Steuerung, die Modernisierung in der Breite und in der Tiefe einfordert, eKompetenzen stärkt, Kooperation ermutigt, Experimente zulässt, rechtliche Hürden beseitigt. Aber politische Steuerung sollte auch auf die Gewährleistung von Sicherheit und Zuverlässigkeit drängen.

Auf die Frage, wo in Staat und Verwaltung die Bearbeitung einer Aufgabe am besten zu verorten ist, wird auch heute noch Max Weber und sein Bürokratiemodell von 1922 herangezogen. In diesem Denkmodell lautet die Antwort: Strenge Definition von Zuständigkeiten und eindeutige Zuordnung zu einer Stelle. Diese Antwort besticht durch ihre Klarheit. Es ist allerdings auch die einzige Antwort, die das Modell gibt – gleichgültig, um welche Aufgabe es sich handelt.

Ist Max Weber noch zeitgemäß?

Für die Aufgabe der Steuerung der Digitalisierung stößt dieses Modell schnell an Grenzen. Dies zeigt sich bei der laufenden Diskussion in Bund und Ländern, ob das Amt eines „Chef-Digitalisierers“ (Digitalminister, Chief Digital Officer, Chief Information Officer o.ä.) einzurichten und in welchem Ministerium es am besten zu verorten ist. Mit Webers Denkmodell ist der erste Teil der Frage eindeutig mit „Ja“ zu beantworten.

Der zweite Teil der Frage wird derzeit föderalistisch vielfältig mit Regierungszentrale, Innenressort, Wirtschaftsressort und/oder eigenständiges Ministerium beantwortet. Der Beweis, dass das eine oder das andere Modell der Aufgabe „Steuerung der Digitalisierung“ gerecht wird, ist wohl noch nicht geführt. Es scheint kein wirksames Rezept gegen Zurücklehnen und Abwarten zu geben. Denn genau die treten immer ein, sobald die Zuständigkeit für die Digitalisierung auf einen Minister beziehungsweise Staatssekretär und eine Abteilung zugewiesen wurde. Doch das ist zu kurz gedacht und wird dem Wesen der Digitalisierung nicht gerecht.

Denkmodelle hinterfragen

Die teilweise revolutionären Entwicklungen etwa in der Medienbranche, im Energiesektor, bei der Mobilität, aber auch in der privaten Sphäre von Online-Shopping über Online-Banking bis hin zu neuen Kommunikationsgewohnheiten bringen uns immer wieder ins Bewusstsein, dass tiefgreifende und weitreichende Veränderungen mit der Digitalisierung einhergehen. Nahezu alle Lebensbereiche und Wirtschaftszweige sind betroffen.

Neue Geschäftsmodelle entstehen, alte verschwinden – in nie dagewesener Geschwindigkeit. Der Vernetzung der Computer folgte die Vernetzung der Menschen und nun die Vernetzung der Dinge. Künstliche Intelligenz schickt sich an, Entscheidungen zu treffen, die bislang dem Menschen vorbehalten waren. Zum Teil können wir nicht nachvollziehen, wie diese Entscheidungen zustande kommen. Kurzum: Unsere moderne Gesellschaft ist eine digitale Gesellschaft. Und ihr Funktionieren ist vom Funktionieren digitaler Infrastrukturen und Dienste abhängig.

Staat und Verwaltung können sich dem nicht entziehen. Dafür spricht nicht nur der Verfassungsanspruch der Bürgernähe. Dafür spricht vor allem der Anspruch der Realitätsnähe. Also gilt: Wenn die Digitalisierung nahezu alles durchdringt, müssen sich auch nahezu alle Fachlichkeiten in Staat und Verwaltung proaktiv mit der Digitalisierung auseinandersetzen. Die Frage nach der Verortung eines „Chef-Digitalisierers“ stellt sich eigentlich nicht. Jeder Fachminister muss zugleich Digitalminister sein – für sein Ressort. Jede Fach- und jede Führungskraft muss der Digitalisierung eine hohe Priorität geben – nicht nur in Strategiepapieren und in der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch bei der täglichen Arbeit im eigenen Bereich.

Bejahende Haltung erforderlich

Hierfür benötigt der einzelne Bedienstete keine vertiefte IT-Expertise. Es kommt vielmehr auf ein ehrliches Interesse am digitalen Fortschritt an und auf den Drang, den eigenen Bereich weiterzuentwickeln und Potenziale der Digitalisierung dabei zu berücksichtigen. Mit solch einer Herangehensweise kann jeder rasch ein Gespür dafür entwickeln, wann und wie der Digitalisierung mehr Gehör im Konzert der zu berücksichtigenden Aspekte und Interessen im eigenen Bereich zu verschaffen ist.

Dies lässt sich leider nicht im medizinischen Sinne verordnen. Andere Wege müssen beschritten werden, um diese Haltung in der erforderlichen Breite in Staat und Verwaltung zu verankern.

Zunächst drängt sich eine Aufnahme obligatorischer Elemente in die Personalentwicklungskonzepte auf. So sollten zum Beispiel Nachwuchsführungskräfte dazu verpflichtet werden, an Fortbildungsangeboten teilzunehmen, in denen sie sich Kenntnisse über aktuelle Entwicklungen der Digitalisierung sowie Überblickswissen zu bestehenden Mindestanforderungen an die elektronisch unterstützte Tätigkeit in Staat und Verwaltung aneignen. Dort sollten sie auch lernen, dieses Wissen in den eigenen Bereich zu transferieren. Dies sollte auch bei der Ausbildung des eigenen Nachwuchses in staatseigenen Ausbildungseinrichtungen in geeigneter Form Berücksichtigung finden. Bei der Gewinnung neuen Personals ist zu überprüfen, inwieweit entsprechende Kompetenzen mitgebracht werden, und jedenfalls die Bereitschaft für ergänzende Fortbildungen einzufordern. Derartige Ansätze werden mittel- und langfristige Wirkungen entfalten.

Politische Steuerung

So bleibt die Frage, welche Ansätze kurzfristig wirksam werden können, um der Digitalisierung die erforderliche Beachtung in der Breite zukommen zu lassen. Das Aufstellen einer Digital-Strategie und das Zusammenstellen von Digitalisierungs-Maßnahmen allein genügt wohl eher nicht.

Gewiss sind Pläne wichtig, um ein verlässliches Bild davon zu zeichnen, was derzeit ist und was künftig sein soll. Für eine aktive Steuerung der Digitalisierung in Staat und Verwaltung wird vielmehr auch eine politisch wahrnehmbare Einforderung solcher Entwicklungen notwendig sein.

Das ist zum einen die frühzeitige und umfassende Berücksichtigung in dem Prozess, in dem Regierungsentscheidungen vorbereitet werden, beispielsweise im Kabinettsverfahren. Hier muss an einem geeigneten Punkt eine verpflichtende Überprüfung verankert werden, ob die Potenziale und Nebenbedingungen der Digitalisierung angemessen in einer Kabinettsvorlage berücksichtigt sind.

Denkbare Ausprägungen sind ein Digital-Check für Kabinettsvorlagen, eine entsprechende Kontrolle durch einen Normenkontrollrat und eine explizit auf die Digitalisierung zielende Prüf- und Mitzeichnungspflicht der Regierungszentrale.

Zum anderen wird eine beherzte Steuerung der Digitalisierung in Staat und Verwaltung dann besser gelingen, wenn die finanziellen Ressourcen für die zugehörigen Vorhaben transparent und übersichtlich im Haushaltsplan aufgeschlüsselt und zusammengefasst sind. Anhand einer Gesamtübersicht kann einfacher nachvollzogen werden, ob die Vorhaben sinnvoll ineinandergreifen und Investitionen zielgenau getätigt werden. Und im Falle veränderter Prioritäten ist eine effektivere Nachsteuerung auch behördenübergreifend möglich.

Zur Stärkung der Flexibilität ist ein Projektpool vorzusehen, aus dem sowohl Experten mit Projektmanagementkompetenzen als auch finanzielle Mittel für die Entwicklung von Modernisierungsideen im Frühstadium durch die Ressorts abgerufen werden können. Wird die Verantwortung für die damit verbundenen Steuerungsaufgaben beispielsweise in der Regierungszentrale angesiedelt, so kann die Digitalisierung auch bei der politischen Koordinierung den erforderlichen Stellenwert einnehmen.

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