EU-Benchmark 2019 Bundesrepublik holt bei eGovernment auf

Autor Manfred Klein

Der EU-Benchmark von Capgemini attestiert den deutschen Verwaltungen eine erfolgreiche Aufholjagd im eGovernment. eGovernment Computing sprach mit dem Public-Sector-Chef von Capgemini,­ Marc Reinhardt, über die möglichen nächsten Schritte.

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Seit 16 Jahren gibt die EU-Kommission den eGovernment-Benchmark heraus
Seit 16 Jahren gibt die EU-Kommission den eGovernment-Benchmark heraus
(© Ivan Kurmyshov - stock.adobe.com)

Herr Reinhardt, seit 16 Jahren lässt die EU-Kommission den Entwicklungsgrad von eGovernment in Europa untersuchen. Wenn Sie die vergangenen Studien Revue passieren lassen, was lässt sich daraus über die Entwicklung von eGovernment und Digitalisierung in der EU ableiten?

Reinhardt: Der Entwicklungsgrad von eGovernment hat über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen. Zugleich werden digitale Dienste immer häufiger genutzt. Der Penetrationsgrad – sprich die Nutzung der angebotenen Dienste –, ist 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 4 Prozentpunkte auf 40 Prozent gestiegen – mit zunehmendem Angebot und weiter steigender Nutzerfreundlichkeit wird diese Penetration nochmals einen deutlichen Schub bekommen. Die Bürger erwarten heute, dass sie Verwaltungsleistungen wie in anderen Lebensbereichen Online abwickeln können und fordern dies auch ein.

Marc Reinhardt erläutert die Ergebnisse des EU-Benchmarks
Marc Reinhardt erläutert die Ergebnisse des EU-Benchmarks
(© Capgemini Deutschland)

In Deutschland hat man mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) reagiert und sich im ersten Schritt maßgeblich auf das Frontend konzentriert, um die digitale Erreichbarkeit gegenüber dem Bürger zu gewährleisten. Die durchgängige Digitalisierung der dahinterstehenden Prozesse innerhalb und zwischen den Behörden stellen den zweiten Schritt des OZG dar, es wird bereits vom „OZG 2.0“ gesprochen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang auch dies noch bis Ende 2022 erfolgen kann und welche Maßnahmen gegebenenfalls erst später erfolgen.

Im Vergleich dazu profitieren andere EU-Staaten davon, dass sie seit längerem über eine umsetzungsorientierte eGovernment-Strategie verfügen, bei der Neuerungen an Front- und Backend Hand in Hand graduell entwickelt wurden. Manche Länder haben die Verwaltungs­digitalisierung mittlerweile sogar in eine umfassendere Digitalisierungsstrategie eingebettet. Das Kanzleramt hat hier mit einer neuen Abteilung sowie einer Staatsministerin für Digitalisierung reagiert und im Zuge dessen nach der digitalen Agenda auch eine dazugehörige Umsetzungsstrategie auf den Weg gebracht. Da in Deutschland die Staatsquote geringer ist als in anderen Ländern, ist ein gesamtheitlicher Digitalisierungsansatz inklusive der Wirtschaft umso wichtiger.

Der aktuelle Benchmark der EU hält als zentrales Ergebnis fest, dass die europäischen Länder beim eGovernment näher zusammenrücken. Wie äußert sich das in den Ergebnissen und welche Folgerungen ergeben sich daraus für die weitere europäische Politik rund um eGovernment?

Reinhardt: Es stimmt, die Differenz zwischen Spitzenreitern und Nachzüglern hat sich verringert. Mit 42 Prozentpunkten ist die Differenz allerdings immer noch beträchtlich. Dabei haben auch die Vorreiter weitere Fortschritte erzielt, doch natürlich ist bei einem hohen Reifegrad das Optimierungspotenzial geringer und schwieriger umzusetzen. Für Nachzügler hingegen gibt es noch einige „tief hängende Früchte“ um aufzuschließen, die meisten sind ihre Aufgaben aber auch mehr oder weniger systematisch angegangen.

Die größte Diskrepanz besteht mit 71 Prozent immer noch bei den Schlüsseltechnologien für ein erfolgreiches eGovernment. Der enorme Abstand resultiert daraus, dass einige Länder Technologien wie die digitale Identifizierung (eID) und digitale Dokumente (eDocuments) nahezu durchgängig einsetzen und die Bevölkerung sie akzeptiert hat. Andere befinden sich hingegen allenfalls in einem Anfangsstadium, indem diese Technologien noch nicht verbreitet sind – so auch Deutschland – oder noch gar nicht eingeführt wurden.

Die EU wird aber voraussichtlich im nächsten Jahr ihren eGovernment Action Plan entsprechend nachschärfen – im Jahr in dem Deutschland die Ratspräsidentschaft hat! Bei der Weiterentwicklung des eGovernment zum einen „Digital Government“ dürfte künftig vor allem die Vernetzung und datengestützte Interaktion zwischen den Behörden stärker in den Fokus rücken.

Die Studie sieht Deutschland nur im Mittelfeld, prognostiziert der Bundesrepublik aber Potenzial zum Aufstieg. Wie ließe sich das umsetzen?

Reinhardt: Bei Deutschland lohnt ein genauer Blick, da der Benchmark jedes Jahr nur vier der acht Lebensbereiche untersucht. Für die übrigen werden die Ergebnisse des Vorjahres herangezogen. So landet Deutschland insgesamt im Mittelfeld, hat aber merklich aufgeholt und liegt nun in allen vier untersuchten Lebensbereichen sogar über dem EU-Durchschnitt. Da die Ergebnisse im Vorjahr schlechter ausfielen, ist der positive Trend dabei noch nicht einmal im vollen Umfang erkennbar.

Hinsichtlich des Penetrations- und Digitalisierungsgrads hat sich Deutschland ebenfalls verbessert, verbleibt aber dennoch knapp im letzten Quadranten (siehe Abbildung). Dies ist bemerkenswert, weil Deutschland laut Benchmark die Voraussetzungen wie Transparenz, digitale Fähigkeiten und Verwaltungsqualität für eine Vorreiterrolle erfüllt. Die Entscheider in Deutschland wissen, dass sie schneller und besser in der Umsetzung werden müssen – daher herrscht auch mittlerweile auf allen Ebenen Einigkeit, dass mit dem OZG der richtige Weg dazu eingeschlagen wurde.

(© Capgemini)

Es wird daher entscheidend sein, die mit der OZG-Umsetzung verbundene Nutzerzentrierung weiter voranzutreiben. Daher ist es erfreulich, dass entsprechende Vorgehensweisen wie Scrum und Design Thinking immer öfter auch bei der Öffentlichen Hand zu finden und in manchen Institutionen sogar bereits eher Standard sind.

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