eHealth Megatrend Telemedizin

Autor / Redakteur: Peter Reinhardt / Ira Zahorsky |

Telemedizin ist einer der Megatrends in der Medizintechnik. Doch schon mehren sich die Stimmen, Deutschland könne die Chancen der Digitalisierung verschlafen. Dabei haben sich längst auch die Hersteller analoger Produkte in Stellung gebracht. Eine Standortbestimmung.

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Telemedizin vernetzt die Gesundheitsversorger und sichert Patienten auch in strukturschwachen Gebieten bestmögliche Behandlungsergebnisse
Telemedizin vernetzt die Gesundheitsversorger und sichert Patienten auch in strukturschwachen Gebieten bestmögliche Behandlungsergebnisse
(Bild: © XtravaganT - Fotolia.com)

Mit dem eHealth-Gesetz wurden zum Jahresbeginn die Weichen gestellt: Sämtliche Gesundheitsversorger sollen besser vernetzt, Patientendaten schneller verfügbar werden. Ziel ist, für jeden Patienten das bestmögliche Behandlungsergebnis zu erzielen. Der Bundesverband Gesundheits-IT – BVITG e.V. jedenfalls begrüßt das. „Das Gesetz ist ein wichtiger Meilenstein in der Vernetzung des Gesundheitswesens. Zugleich gibt es noch einige Punkte, die in Zukunft betrachtet werden müssen“, erklärt Geschäftsführer Ekkehard Mittelstaedt und mahnt zugleich an, beim Aufbau der erforderlichen Telematikinfrastruktur nicht die Interoperabilität zu vergessen. Immerhin: Die Industrie sei bereit, sich dieses Themas anzunehmen.

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Definition von Telemedizin durch das Bundesgesundheitsministerium

„Telemedizin ermöglicht es, unter Einsatz audiovisueller Kommunikationstechnologien trotz räumlicher Trennung z.B. Diagnostik, Konsultation und medizinische Notfalldienste anzubieten. In Zukunft kann Telemedizin vor allem für den ländlichen Raum ein Bestandteil der medizinischen Versorgung werden.“

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Telemedizin bleibt ein politisches Thema

Doch zunächst einmal ist festzuhalten, Telemedizin bleibt ein politisches Thema. Dazu Katrin Altpeter (SPD), Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren des Landes Baden-Württemberg, unmittelbar nach Inkrafttreten des eHealth-Gesetzes: „Im Bereich der Telemedizin sind wir bereits gut aufgestellt. Nun gilt es, Qualität und Wirtschaftlichkeit zu verbinden.“

Eine Förderung seitens des Landes solle daher „nicht nach dem Gießkannenprinzip“ erfolgen, sondern in enger Abstimmung mit der Koordinierungsstelle Telemedizin, so die Ministerin. Es sei wichtig, Wissenschaft, Wirtschaft, Leistungsträger und Patienten am Prozess zu beteiligen. „Ich bin sicher, dass auch die eine oder andere Forderung bei der Politik landen wird“, erwartet die Politikerin entsprechende Hausaufgaben.

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Geht es nach Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, kann mit diesen Hausaufgaben nicht früh genug begonnen werden: „Die digitale Revolution durchdringt sämtliche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche.“ Im Großen und Ganzen liege man in Europa jedoch hinter der Entwicklung zurück, insbesondere gegenüber den USA und China. „Noch vor dem Jahr 2020 wird entschieden sein, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehört“, erwartet Oettinger und fordert eine „kluge digitale Strategie mit europäischem Weitblick“.

Beantwortet das neue IT-Sicherheitsgesetz die Frage nach ausreichenden Sicherungssystemen?

Wie lange Deutschland noch an der Schwelle zur digitalen Medizin 4.0 verharren wird, fragt sich auch Dr. Peter Fey, Branchenexperte der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner, und lenkt den Fokus auf die Datensicherheit: „Nicht nur die elektronische Datenspeicherung, sondern auch die Vernetzung von Medizingeräten wirft immer wieder die Frage nach ausreichenden Sicherungssystemen auf.“ Nicht zuletzt das neue IT-Sicherheitsgesetz habe in den Fokus gerückt, dass ein hoher Sicherheitsstandard gerade im medizinischen Bereich essentiell ist.

Dennoch: Die eigentliche Schwachstelle liege in veralteten IT-Infrastrukturen von Kliniken und Medizinern. „Dringend notwendige Investitionen wurden jahrelang verschoben oder erst gar nicht getätigt. Bis zum Jahr 2020 wird der Investitionsstau auf zirka sieben Milliarden jährlich geschätzt“, erklärt der Rechtsanwalt. Erster Schritt zu einer sicheren digitalen Medizin müsse daher die anwenderseitige Modernisierung der IT-Systeme sein. Ist das erfolgt, könne Telemedizin als Antwort auf ärztlichen Versorgungsmangel verstanden werden.

Es mehren sich die Beispiele erfolgreicher Telemedizin-Projekte

Indes mehren sich die Beispiele erfolgreicher Telemedizin-Projekte. So haben der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und die Barmer GEK erst kürzlich die Behandlung von Heranwachsenden mit chronischen und seltenen Erkrankungen durch ein speziell entwickeltes Telemedizin-System verbessert. Mit Päd-Expert können niedergelassene Kinder- und Jugendärzte seither einen pädiatrischen Facharzt online zu Rate ziehen, um unklare Diagnosen abzusichern und die Behandlung abzustimmen. „Damit optimieren wir die medizinische Versorgung, allem voran auf dem Lande, und ersparen unseren jüngsten Versicherten lange Anfahrtswege und Wartezeiten“, erklärt dazu Dr. Mani Rafii, Vorstandsmitglied der Barmer GEK, und spricht sich zugleich für einen stärkeren Einsatz telemedizinischer Anwendungen aus. „Telemedizin muss einen konkreten Mehrwert für den Patienten haben, diesen in einer grundlegenden Evaluation nachweisen und höchsten Datenschutzanforderungen genügen“, verknüpft er damit jedoch auch Bedingungen.

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Interview
Interview: „Sechs von zehn Deutschen ließen sich aus der Ferne operieren“

Der Digitalverband Bitkom hat jüngst die Ergebnisse einer Studie zur Telemedizin veröffentlicht. Im Gespräch mit Devicemed erklärt Julia Hagen, Referentin für Health und Pharma bei Bitkom, was hinter den Zahlen steckt.

Sind die Deutschen bereit für Telemedizin?

Telemedizin trifft bei den Deutschen auf großes Interesse. Laut einer Bitkom-Befragung würde jeder Fünfte seinen Gesundheitszustand bei Bedarf auf jeden Fall telemedizinisch überwachen lassen, weitere 39 Prozent können sich das vorstellen. Das sind fast sechs von zehn Deutschen, die dem Telemonitoring aufgeschlossen sind. Die Vorteile sind klar: Chronisch Kranke müssten nicht mehr ständig in die Klinik oder Praxis, sondern könnten ihre Werte bequem von zuhause aus übermitteln. Das spart Zeit, Kosten und Nerven, bedeutet also unterm Strich ein großes Plus an Lebensqualität. Ebenfalls sechs von zehn Deutschen sind offen dafür, dass Operationen von Spezialisten aus der Ferne unterstützt werden. So kann beispielsweise ein Experte aus Übersee bei einer komplizierten Operation zugeschaltet werden und dem durchführenden Kollegen Hinweise geben.

Wie erklären Sie, dass dagegen laut Umfrage nur 33 Prozent die Online-Sprechstunde beim Arzt wahrnehmen würden?

Angesichts der Tatsache, dass die Online-Sprechstunde noch nicht eingeführt ist, sind 33 Prozent schon recht viel. Aber in der Tat könnte der Wert noch höher sein, wenn einige Vorbehalte aus dem Weg geräumt würden. So gibt es laut unserer Umfrage die Befürchtung, dass das Risiko der Fehlbehandlung steigt, weil keine körperliche Untersuchung stattfindet. Zudem leide das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Hier wird die Online-Sprechstunde missverstanden. Sie soll ja den persönlichen Kontakt samt körperlicher Untersuchung nicht ersetzen, sondern ergänzen – und zwar dort, wo die körperliche Untersuchung nicht oder noch nicht nötig ist. Dass diese Fälle zahlreich sind, wissen sowohl Ärzte als auch Patienten aus der täglichen Praxis sehr gut.

Welche Technologien müssen seitens der Medtech-Hersteller zur Verfügung gestellt werden, um im Markt für Telemedizin erfolgreich zu sein?

Medtech-Hersteller sollten mit ihrer Technologie auf Interoperabilität setzen. Insellösungen schränken den Nutzen von telemedizinischen Angeboten ein. Stattdessen bietet sich eine Orientierung an Behandlungsprozessen über beispielsweise Arztpraxis, Krankenhaus und Pflegeheim hinweg an. Zudem sollte jede telemedizinische Anwendung die Bedürfnisse der Patienten sowie der unterschiedlichen Leistungserbringer berücksichtigen.

Die Fragen stellte Peter Reinhardt.

„Die werden mit Päd-Expert erfüllt“, versichert Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ. Bei der Übertragung von Anfragen von einem Arzt zum anderen werden die persönlichen Daten des Patienten vor der verschlüsselten Übertragung von den medizinischen Daten getrennt und auf verschiedenen Servern in Deutschland gespeichert.

Die Wirtschaftlichkeit von Telemedizin ist belegt

Indes ist für die Etablierung der Telemedizin auch deren Wirtschaftlichkeit zu belegen. Prof. Dr. Oliver Schöffski vom Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg untersuchte hierzu schon im Oktober 2015 exemplarisch die Evocare-Telemedizin-Behandlung in der Regelversorgung. Als erste regelhafte Behandlungsform der Telemedizin wurde diese nach erfolgtem Beleg der Wirksamkeit schon vor drei Jahren zugelassen (SGB VI, X). Zugelassene Leistungserbringer erhalten seither pro erbrachter Therapieeinheit eine Vergütung. „Damit Patienten die Telemedizin in Anspruch nehmen können, muss zunächst die Einnahmenseite der Leistungserbringer geregelt sein“, erklärt Schöffski. Erst wenn Kliniken ihre telemedizinisch erbrachten Leistungen abrechnen können, werden sich die neuen Versorgungsmöglichkeiten flächendeckend etablieren.

In Schöffskis betriebswirtschaftlicher Untersuchung wurde nun die Einnahmensituation einer Klinik rund acht Monate nach Projektstart betrachtet. Ergebnis: Die Erlöse der neuen Abteilung sind additiv zu den üblichen monatlichen Erlösen der Reha-Klinik und steigern deren Umsatz signifikant. Im laufenden Regelbetrieb zeigte sich eine positive Rentabilität mit einer Rohmarge von bis zu 16 Prozent. „Klinikbetreibern liegen damit erstmals valide Zahlen als Entscheidungsgrundlage für den Betrieb eigener Telemedizin-Abteilungen vor“, erklärt Dr. Achim Hein als Generalbevollmächtigter der Evocare-Telemedizingenossenschaft.

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