GKV-Spitzenverband wehrt sich Übernahme der gematik sorgt für Unruhe
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) lehnt eine Übernahme der gematik durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kategorisch ab. Doch es gibt auch andere Stimmen.
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„Das Bundesgesundheitsministerium will sich hier mit der Übernahme von 51 Prozent Gesellschafteranteilen faktisch eine nachgeordnete Behörde schaffen, für die dann aber die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen zahlen sollen“, so Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes. „Hier werden Kompetenzen, Zuständigkeiten und Finanzierung zwischen staatlichen Institutionen und der gemeinsamen Selbstverwaltung vermischt, was zu Intransparenz und unklaren Verantwortlichkeiten führt. Das lehnen wir ab.“
Hintergrund
Mit einem Änderungsantrag zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) will das BMG Mehrheitsgesellschafter der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) werden. Das Gesundheitsministerium bekäme damit de facto die Entscheidungsgewalt über die grundlegende technische Infrastruktur im Gesundheitswesen. Momentan haben die Kassen das Sagen (siehe Grafik).
Negativbeispiel Personalausweis?
Wie Florian Lanz weiter ausführt, hatte das BMG bereits in den Jahren 2005 bis 2011 die alleinige Entscheidungsgewalt, und aus dieser Zeit seien „keine Fortschritte beim Aufbau der Telematikinfrastruktur bekannt“. „Auch das Beispiel des elektronischen Personalausweises macht keinen Mut bei der Vorstellung, dass künftig der Staat unmittelbar entscheidet“, formuliert Lanz seinen Unmut.
„Seit der Neuausrichtung des Projekts im Jahr 2010 mit Schlichter und Beschlussgremien auf Fachebene sind fehlende Entscheidungen, anders als in den Anfangsjahren, nicht mehr das Problem. Alle vorgegebenen Fristen wurden gehalten. Auch war das Bundesgesundheitsministerium bei den Sitzungen der Gesellschafterversammlung stets dabei und hat die getroffenen Beschlüsse der gematik als Aufsichtsbehörde nicht beanstandet“, betont Lanz.
Mit der Verschiebung der Entscheidungskompetenz von der Selbstverwaltung zum Bundesgesundheitsministerium solle nun ein Problem gelöst werden, „das es so gar nicht mehr gibt“: „Denn die Verzögerungen beim Aufbau der Telematik-Infrastruktur liegen inzwischen daran, dass die Industrie die Konnektoren erst jahrelang nicht entwickeln konnte und jetzt mit der Produktion und Ausstattung nicht hinterherkommt. Bereits 2013 haben die Industrieunternehmen den Zuschlag für die Entwicklung der Konnektoren erhalten. Ich bin skeptisch, dass eine Übernahme der gematik durch das BMG dazu führt, dass die Industrie schneller arbeitet.“
„Fesseln der Steuerung durch die Selbstverwaltung“
Doch es gibt auch andere Meinungen. Karsten Glied, Geschäftsführer der Techniklotsen GmbH, äußert sich positiv: „Endlich zieht der Gesundheitsminister eine Entmachtung der sich ewig blockierenden Selbstverwalter ernsthaft in Betracht. Wenn die Digitalisierung wirklich auch in der medizinischen und pflegerischen Versorgung ankommen soll, gibt es keinen anderen Weg.“
Dennoch sei die „Schlacht um mehr Geschwindigkeit und Agilität“ noch lange nicht gewonnen: „Denn die gematik, die nun von den Fesseln der Steuerung durch die Selbstverwaltung befreit werden soll, hat einen angeschlagenen Ruf. Sie hat jetzt die Gelegenheit, sich zu rehabilitieren und zu zeigen, dass sie sinnvoll offene Standards zusammenfügen kann, um schnell voranzukommen.“
„Überfällige Grundsatzentscheidung“
Der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg e.V.) bewertet die geplanten Veränderungen als „überfällige Grundsatzentscheidung“. „Durch eine direkte, mehrheitliche Teilhabe an der gematik übernimmt das Bundesgesundheitsministerium die Verantwortung für den Betrieb der Telematikinfrastruktur. Gleichzeitig wird eine seit über 15 Jahren den Fortschritt hemmende Gesellschafterstruktur aufgebrochen“, erklärt Sebastian Zilch, Geschäftsführer des bvitg, und ergänzt abschließend: „Aus Sicht der Anbieter von Software im Gesundheitswesen bietet sich hier eine Chance zur Beschleunigung der Entscheidungsfindung. Prozesse und Verfahren innerhalb der gematik könnten nun transparenter und schneller werden – stets mit Blick auf eine praktische Umsetzbarkeit. Um operative Geschwindigkeit zu erzeugen, sollte sich die Gesellschafterversammlung künftig auf strategische Entscheidungen beschränken und möglichst bald weitere Strukturen und Prozesse überdacht werden.“
gematik sieht sich im Zeitplan
Die gematik sieht sich bereits seit längerem Kritik ausgesetzt,was den Ausbau der digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen angeht. Alexander Beyer, seit 2015 Geschäftsführer der gematik, widerspricht: „Die gematik erarbeitet und veröffentlicht fristgerecht und gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag Spezifikationen und Vorgaben für die jeweiligen Fachanwendungen zur Nutzung über die Telematikinfrastruktur.“
Die Spezifikationen für die Telematikinfrastruktur und für die medizinischen Anwendungen Notfalldaten-Management, E-Medikationsplan und elektronische Patientenakte habe man erstellt und veröffentlicht. Zuletzt am 18. Dezember 2018 die Spezifikationen, Zulassungsverfahren und Feldtestkonzepte für die Komponenten und Dienste zur elektronischen Patientenakte – „also noch vor dem gesetzlichen Stichtag“, betont Beyer. Auf dieser Basis kann die Industrie die entsprechenden Komponenten für die Infrastruktur und Ihre Anwendungen entwickeln. Aber: „Schon jetzt kommt die Industrie mit der Entwicklung der erforderlichen Komponenten nicht hinterher“, so Beyer, „das heißt: Selbst wenn die gematik noch schneller arbeiten würde, kämen die Komponenten nicht schneller in der Praxis an.“
Gesetz online
Den Gesetzentwurf zum Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG gibt es online als PDF HIER.
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