Rechtssicherheit nicht gewährleistet eGovernment-Gesetze überzeugen nicht
Mit dem Inkrafttreten des hessischen eGovG hat sich ein weiteres großes Bundesland dem eGovernment-Gesetzgebungsprozess angeschlossen, der mit dem EGovG des Bundes begann. Was bedeutet das für eGovernment?
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Die meisten Länder verfügen mittlerweile über gesetzliche eGovernment-Regelungen, die aber teilweise deutliche inhaltliche Unterschiede aufweisen. Hatte der Bund einzelne Bestimmungen des EGovG von 2013 als „Motornormen“ verstanden, um möglichst den weiteren Ausbau von eGovernment-Lösungen über die Verwaltungsebenen hinweg auch in den Ländern zu fördern und diese zu animieren, zügig eigene inhaltsgleiche, zumindest systemidentische Regelungen für die Landes- und Kommunalverwaltung zu treffen, so folgten die Länder diesem Verständnis nicht. Im Gegenteil: eGovernment-Gesetzgebung ist in Deutschland ein mühsamer Prozess.
Unterschiede in den einzelnen Landesgesetzen gibt es vor allem bei der Festlegung von Fristen für die Einführung elektronischer Instrumente für die Kommunikation zwischen Bürgern und Unternehmen einerseits und den Behörden andererseits sowie für die Einführung der elektronischen Verwaltungsakte. Auch verpflichten die Gesetze in unterschiedlicher Weise die Kommunen. Werden die Kommunen jedoch durch ein eGovernment-Gesetz nicht oder kaum in die Pflicht genommen, dann bleibt der Wert eines eGovernment-Gesetzes gering. Rein interne Regelungen für die staatliche Verwaltung könnte man auch durch Verwaltungsvorschriften treffen.
Es ist daher an der Zeit, die bislang gesammelten Erfahrungen mit den bestehenden eGovernment-Regelungen, die Fortschritte in der IT, die rechtlichen Vorgaben auf europäischer und auf der Ebene des Bundes aufzugreifen, um für die Bürger einen erhöhten eGovernment-Anwendungskomfort auf Landes- und Kommunalebene rechtlich abzusichern. Neue Gesetze sollten weiterentwickelten Maßstäben genügen und nicht lediglich die Regelungen des Bundes von 2013 auf das Land auszudehnen oder das sächsische Gesetz von 2014 kopieren.
Soweit allerdings neue Gesetze keine neuen materiellen Rechte gewähren, ist es im Sinne einer deutschlandweiten eGovernment-Gesetzgebung sinnvoll, an die rechtliche Wortwahl im Bundesgesetz anzuknüpfen. Denn kohärente IT-Regulierungen im übergreifenden Kontext eines Bundesstaates haben mannigfaltige Vorteile: Die konsequente Nutzung einheitlicher Begrifflichkeiten beziehungsweise identische oder zumindest systemidentische materielle Regelungen schaffen für Verwaltungskunden Rechtssicherheit, wenn diese die Landesgrenzen überschreitende Verwaltungsleistungen in Anspruch nehmen oder zum Beispiel innerhalb Deutschlands umziehen und dann bei der Wahrnehmung von digitalen Rechten vertraute Regeln vorfinden.
Auch Softwareunternehmen könnten im Falle von kohärenten Regelungen für ihre Lösungen einen breiteren Absatzmarkt erwarten. Zudem stehen Verwaltungsverfahrensnormen und eGovernment- Regelungen in einem engen Zusammenhang. Deshalb wäre es erstrebenswert, eGovernment-Normen in Deutschland in ähnlicher Weise zu harmonisieren, wie dies etwa bei den Verwaltungsverfahrensgesetzen gelang.
Das hessische eGovernment-Gesetz
Gemessen an diesen Maßstäben enttäuscht das zuletzt in Kraft getretene eGovernment-Gesetz aus Hessen. Zwar hatte die ursprüngliche Begründung des Gesetzentwurfs noch den Zusammenhang mit der eGovernment-Gesetzgebung des Bundes betont und eine Wirkung des Bundes-EGovG über föderalen Ebenen hinweg begrüßt, um Bund, Ländern und Kommunen ein Angebot zu einfacheren, nutzerfreundlicheren und effizienteren elektronische Verwaltungsdiensten zu ermöglichen.
Und tatsächlich finden sich im HEGovG die üblichen Regelungen zur Realisierung der elektronischen Kommunikation und des Schriftformersatzes, allerdings mit wenig ambitionierten Fristen: Eröffnung von De-Mail-Zugängen ab dem 1. Januar 2020, Angebot der Nutzung der eID von Personalausweis und elektronischem Aufenthaltstitel „ein Jahr nach dem Tag der Beendigung des Aufbaus der erforderlichen zentralen Infrastruktur für die Landesbehörden“ (§ 3 Abs. 3 HEGovG).
Nicht unüblich, aber unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kaum zu rechtfertigen ist es, die Frist zur Öffnung elektronischer Zugangskanäle zur Verwaltung vom Tätigwerden der Landesverwaltung selbst abhängig zu machen: So schreibt § 3 Abs. 2 HEGovG die Eröffnung der De-Mail-Adresse vor, „es sei denn, die Behörde des Landes ist nicht an dem zentral für die Landesverwaltung angebotenen informationstechnischen Verfahren angeschlossen“.
Die Einführung der elektronischen Akte ist als Sollvorschrift – bis zum 1. Januar 2022 – vorgesehen, wobei bemerkenswerterweise in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 7 HEGOVG das „Soll“ nicht als verbindlich interpretiert wurde: „Die gewählte und vom Bund übernommene Formulierung ‚sollen‘ stellt klar, dass eine Pflicht zur elektronischen Aktenführung und Vorgangsbearbeitung damit nicht statuiert wird“. Offenbar wollte die Landesregierung dem Vorwurf einer Rechtsverletzung vorbeugen, sollte selbst diese wenig ambitionierte Frist nicht vollständig eingehalten werden. Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur schon seit Langem geklärt, dass zwar eine „Sollvorschrift“ ein Ermessen eröffnet, allerdings mit der Maßgabe, dass das Gesetz die Rechtsfolge für den Regelfall vorgibt und der Behörde nur bei Vorliegen atypischer Umstände die Befugnis zu einem abweichenden Handeln erlaubt. Unternimmt eine Verwaltung nicht genügend, um rechtzeitig die elektronische Akte einzuführen, ohne dafür zwingende Gründe vorbringen zu können, stellt dies eine Rechtsverletzung dar.
Leider fehlen im HEGovG auch einige Regelungen, die ebenfalls mittlerweile zum Standard der eGovernment-Gesetze gehören sollten: Insbesondere die Vorschrift, wonach vor der Digitalisierung zugrundeliegende Verfahrensschritte zu optimieren sind. Mit einer schlichten 1:1-Digitalisierung des papierbasierten traditionellen Vorgehens ohne eine vorherige Verfahrensoptimierung kann die IT nicht die gewünschte Effektivität entfalten. Auch fehlen in Hessen Open-Data-Vorschriften, also die Verpflichtung, Daten öffentlicher Stellen in maschinenlesbarer Form und unter freien Lizenzen zur Verfügung zu stellen und mit dieser Transparenz vor allem der Wirtschaft Möglichkeiten zur Erarbeitung von Mehrwertdiensten zu bieten.
Man versäumt damit, durch ein offenes Verwaltungshandeln die enormen Nutzungspotenziale – etwa zur gesellschaftlichen Partizipation – zu schaffen. Das HEGovG verpflichtet die Kommunen kaum, woraus zu schließen ist, dass es nicht gelang, einen entsprechenden Konsens mit den Kommunen über ein gleichzeitiges Vorgehen zu erreichen.
Da seit Inkrafttreten des (Bundes-)EGovG fünf Jahre vergangen sind, müssen neuere Gesetzestexte auch erweiterten Anforderungen standhalten. Zu Recht implementiert das HEGovG daher Vorschriften zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes und zur elektronischen Rechnungsentgegennahme und legt im Grundsatz eine elektronische Registerführung fest. Auch die Datenschutzgrundverordnung spiegelt sich in den entsprechenden Vorschriften wider. Allerdings fehlt eine deutlichere Öffnung der elektronischen Kommunikation zugunsten neuer Instrumente der EU-eIDAS-Verordnung. Es würde naheliegen, auch Aussagen zum Einsatz und zur verbindlichen Nutzbarkeit des elektronischen Siegels zu treffen.
Mittlerweile stehen weitere Landes-eGovernment-Gesetze vor der Verabschiedung: So hat Niedersachen mit dem Gesetz über digitale Verwaltung und Informationssicherheit (NDIG) Regelungen initiiert, die für das Landesrecht das Bundes-EGovG nachzeichnen sowie die Vorgaben des OZG umsetzen. Mit dem Vorschlag für intensive Regelungen zur Informationssicherheit verfolgt Niedersachsen entsprechend der Gesetzesbegründung ein besonderes Anliegen: Die Verwaltung soll verpflichtet werden, geeignete Gegenmaßnahmen für Gefahren vorzuhalten und weiterzuentwickeln, insbesondere ein Gefahrenabwehrsystem im Landesnetz aktuell zu halten. In der Tat finden sich in den bisher in Kraft getretenen eGovernment-Gesetzen keine solch weitgehenden Regelungen. Allerdings hatte sich Niedersachsen vor Jahren im IT-Planungsrat als einziges Land noch der Verbindlicherklärung der IT-Sicherheitsleitlinie als Standard widersetzt.
Auch Sachsen-Anhalt hat bereits vor längerer Zeit ein eGovernment-Gesetz auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf verzichtet teilweise auf landesspezifische Sonderregelungen und weitet pauschal die Anwendbarkeit des EGovG auf die Landesinstitutionen aus. Eine solche dynamische Verweisung auf das Bundesrecht orientiert sich am Beispiel der Verwaltungsverfahrensgesetzgebung und könnte zur wünschenswerten Kohärenz führen. Auch will der Gesetzentwurf dem in § 7 Abs. 4 OrgLSA vorgeschriebenen Auftrag zur Deregulierung Rechnung tragen.
Bund muss eGov-Gesetz modernisieren
Leider hat der Bund sein EGovG seit 2013 nur in geringem Maße fortgeschrieben. Die Auswirkungen einer dynamischen Verweisung auf ein kaum aktualisiertes Gesetz bleiben daher unbefriedigend. Ein modernes eGovernment-Gesetz sollte Bürger und Unternehmen zusätzliche Rechte verleihen, die vor fünf Jahren noch nicht auf der politischen Tagesordnung standen. Insoweit ist es erfreulich, dass der vorgeschlagene § 12 EGovG LSA ein Recht auf elektronische Verfahrensdurchführung schaffen will. Das Angebot eines sogenannten elektronischen Rückverkehrs von der Behörde zum Bürger orientiert sich an den Vorbildern von § 4 Abs. 1 EGovG NRW und § 9 Abs. 1 Satz 1ThürEGovG. Zu begrüßen ist auch die vorgesehene Partizipationsklausel in § 13 EGovG LSA, die eine Online-Beteiligung für die Landesverwaltung vorsieht, dies allerdings in Form einer „kann“– Bestimmung. Noch bürgerfreundlicher wäre es, Online-Beteiligungen insbesondere vor Zuleitung eines Gesetzentwurfs an den Landtag generell vorzusehen. So war es in der vergangenen Legislaturperiode z.B. für Sachsen vorgesehen.
Auch Brandenburg will demnächst das Gesetz über die elektronische Verwaltung (BbgEGovG) verabschieden, das sich an dem Vorbild des EGovG orientiert (dabei aber die Schaffung von De-Mail-Strukturen nicht explizit zur Pflicht erhebt), organisatorische Strukturen zur Zusammenarbeit mit den Kommunen vorsieht und erweiterte Regelungen zur IT-Sicherheit trifft. Immerhin hat Brandenburg bereits mit der Schaffung einer elektronischen Verkündungsmöglichkeit von Gesetzen 2009 als Vorreiter auf diesem Gebiet fungiert. Auch die noch zur Beschlussfassung anstehenden Landesgesetzentwürfe für ein EGovG zeigen, dass Deutschland von einer harmonisierten eGovernment-Gesetzgebung leider weit entfernt ist.
Weitere Informationen zum Thema eGovernment-Gesetz finden Sie unter anderem in folgenden Artikeln:
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Update: Übersicht Bundesländer
Umsetzung des eGovernment-Gesetzes
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Open Data in Bayern
Freistaat will sein eGovernment-Gesetz anpassen
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Gesetz über digitale Verwaltung und Informationssicherheit (NDIG)
Niedersachsen legt seine Version eines eGovernment-Gesetzes vor
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