Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek im Interview „Das muss man mit der Ärzteschaft diskutieren“
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Die Digitalisierungsstrategie des Bundes, der europäische Gesundheitsdatenraum oder auch die ePA – im Gesundheitswesen gibt es zahlreiche Projekte, die der Digitalisierung Rechnung tragen sollen. Wo sich Bayern in diesem Zusammenhang sieht, und welche Erwartungen der Freistaat an künftige gesetzliche Vorgaben hat, hat der Bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek Healthcare Computing, dem Schwesterportal der eGovernment Computing, erzählt.

Was erwarten Sie von der seit längerem angekündigten Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums?
Holetschek: Dass sie mal Gestalt annimmt. Wir reden schon lange über das Thema. Der Amtsvorgänger von Karl Lauterbach, Jens Spahn, hat versucht, einiges ins Rollen zu bringen, die ePA und weitere Initiativen, die aber noch nicht alle umgesetzt sind. Wir sollten auch die Lehren aus der Pandemie ziehen, da gibt es einiges zu verbessern. Ich nehme auch zunehmend in den Arztpraxen wahr, dass der Unmut dort noch sehr groß ist. Deswegen muss man das Thema insgesamt noch einmal anschieben. Ich wünsche mir, dass man gemeinsam versucht, die Dinge nach vorn zu bringen.
Bis 2025 will die EU-Kommission einen europäischen Gesundheitsdatenraum etablieren. Den gesetzlichen Rahmen soll hierzulande das Gesundheitsdatennutzungsgesetz bilden. Bei dessen Erarbeitung will Bayern mit aller Kraft mitarbeiten, wie Sie auf dem E-Health-Kongress ankündigten. Wie genau haben Sie sich das vorgestellt und wie sieht in Ihren Augen eine effektive Zusammenarbeit von Bund und Ländern aus?
Holetschek: Zusätzlich zu den verschiedenen Gremien, die sich bereits mit dem Thema befassen, haben wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe angeregt, um die Bemühungen weiter zu intensivieren. Der Bund setzt seinen Schwerpunkt aktuell aber vor allem auf Corona. Er sollte sich jedoch langsam mit anderen Themen befassen und diese nicht weiter auf die lange Bank schieben. Wir müssen uns in Bezug auf die Opt-out-Regelung und den Datenverkehr verständigen. Wir brauchen Interoperabilität und gemeinsame Schnittstellen. Das hat auch die Pandemie gezeigt: Es ist eine Sache, die Gesundheitsämter mit Software auszustatten, die Frage ist allerdings: Wo sind die Schnittstellen und wer stellt sie bereit, damit alle auf dem gleichen Level arbeiten können? Wir dürfen keine Innovationen ungenutzt liegen lassen, auch nicht im Freistaat. Wir haben Projekte wie DigiMed oder DigiOnko, die wir finanziell fördern. Entsprechendes wollen wir auch weiterverfolgen. Aber natürlich brauchen wir ein Gesamtgrundverständnis und Interoperabilität zwischen den einzelnen Ebenen, um wirklich voranzukommen.
Welche Erwartungen haben Sie an den Europäischen Gesundheitsdatenraum?
Holetschek: Das ist ein guter Aufschlag, ich bin diesbezüglich positiv gestimmt. Vor kurzem war ich in Brüssel, um einige Punkte bezüglich der Medizinprodukterichtlinie zu besprechen. Am Rande ging es jedoch auch um den Gesundheitsdatenraum. Mit der Primär- und Sekundärnutzung von Daten für die (Versorgungs-)Forschung sind wir, denke ich, auf dem richtigen Weg.
Man darf bei der Thematik allerdings auch den Datenschutz nicht vernachlässigen. Es muss geklärt werden, ob und wie die Daten anonymisiert beziehungsweise pseudonymisiert werden. Die Souveränität der Daten soll schließlich weiter bei den Patientinnen und Patienten bleiben – und trotzdem wollen wir Daten nutzen. In Bayern haben wir daher beispielsweise den Artikel 27 des Krankenhausgesetzes so angepasst, dass die Einrichtungen erstmals außerhalb ihrer Häuser die Daten nutzen und auch verarbeiten können. Diese Schritte muss man weiterentwickeln.
Wie stehen Sie dem gegenüber, dass auch private Forschungseinrichtungen Zugriff auf die Daten haben sollen?
Holetschek: Mit den richtigen Bedingungen ist das durchaus sinnvoll. Die Forschung sollte gefördert werden und dabei sind Daten unerlässlich. Wir haben in der Pandemie immer wieder gemerkt, dass wir hinter der Lage waren, weil wir diese nicht hatten. Mit Blick nach Israel, Großbritannien oder Dänemark, wo die Datennutzung ermöglicht wurde, hat man gesehen, dass es dort teilweise anders und besser funktioniert.
Beim Bayerischen E-Health-Kongress Ende Juni sagten Sie: Bayern will bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens eine Vorreiterrolle einnehmen. Welches Ziel haben Sie dabei vor Augen?
Holetschek: Wir wollen Schwerpunkte setzen mit Projekten, die Leuchtturmcharakter für ganz Deutschland haben können. Ich möchte das Thema Pflege herausgreifen, das mir wichtig ist: Wir haben in dem Bereich wirklich gute Projekte, die der Freistaat erheblich fördert, wie CARE REGIO, ‚DeinHaus 4.0‘ oder das Bayerische Forschungszentrum Pflege Digital in Kempten.
Und natürlich braucht es insgesamt eine Strategie in allen Bereichen, auch im ambulanten Sektor, bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, bis hin zum Krankenhauszukunftsgesetz, das jetzt wirklich Fahrt aufgenommen hat. Bei der Digitalisierung der Krankenhäuser hat der Bund sich gut eingebracht mit den drei Milliarden Euro, die er zur Verfügung stellt. Der Freistaat hat hier auch die komplette Kofinanzierung übernommen und jetzt geht einiges voran, gerade bei der Dokumentation, beim Patienten- und Entlassungsmanagement, da zeigt sich der Mehrwert. Man muss es immer noch mal sagen: Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein, Digitalisierung heißt nicht: Übertragung analoger in digitale Formen, sondern sie muss Prozesse optimieren, Synergien heben und letztendlich die Menschen entlasten.
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