Energiemanagement So werden Kommunen zu Kraftwerken

Von Michael Sudahl |

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Gigantisches Sonnenkraftwerk: Mehr als 3.160 Gigawatt könnten im besten Fall erschlossen werden, würden alle Dächer, landwirtschaftlichen Flächen, künstlichen Seen, Fassaden, Parkplätze, Straßen, Lärmschutzwände und Fahrzeuge für die Energiegewinnung genutzt – das Dreifache dessen, was die Industrienation Deutschland benötigt.

Ein Monteur montiert eine Solarmodul-Unterkonstruktion auf einem Dach
Ein Monteur montiert eine Solarmodul-Unterkonstruktion auf einem Dach
(© ESS Kempfle)

„Beim Blick auf Google-Maps wird die Misere deutlich“, sagt Ulrich Müller. Der langjährige Bürgermeister der Marktgemeinde Wittislingen im Landkreis Dillingen deutet auf Wälder, Felder, Straßen und jede Menge Dächer. „Was fehlt, sind Solarmodule“, sagt der Photovoltaik-Experte, der inzwischen bei ESS Kempfle arbeitet, einem Solateur in Bayern. Weder in der Provinz noch in den Zentren finden sie sich in Mengen. Gerade einmal auf sieben Prozent der Dächer sind derzeit Solarmodule montiert. Hinzu kommen ein paar Wiesen mit Solarparks. Das noch nutzbare Potential ist enorm. Denn jeden Quadratmeter Fläche bestrahlt die Sonne täglich mit kostenloser Energie. „Wir müssten sie nur ernten“, so Müller.

Genau das will Uwe Brandl: Möglichst viel ernten. Der Bürgermeister von Abensberg kommt ins Schwärmen, wenn er über das Energiekonzept seiner niederbayerischen Kleinstadt berichtet. Alleine in der Abensberger Altstadt hat der CSU-Mann etliche Dachflächen ausgemacht, auf denen noch keine Photovoltaikanlagen montiert sind. Würden diese alle mit Modulen bestückt, die Ernte wäre reichlich. „1.000 Kilowatt Peak (kWp), also ein Megawatt könnte sie betragen“, sagt Brandl. Das wären neun Millionen Kilowattstunden, also Strom für etwa 200 Haushalte.

Flächen nutzen

Würden alle Bürgermeister wie der Bayer denken, wären deutsche Dächer ein gigantisches Sonnenkraftwerk. Mehr als 3.160 Gigawatt könnten im besten Fall erschlossen werden, wenn alle Flächen genützt würden, die nach heutigem Wissensstand technisch geeignet sind. Also neben Dächern vor allem landwirtschaftliche Flächen, künstliche Seen, Fassaden, Parkplätze, Straßen, Lärmschutzwänden und Fahrzeugen. Ausgerechnet haben das die Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg.

Jedes Gigawatt installierter Leistung kann rund 1.000 Gigawattstunden Strom produzieren. Das wäre das Dreifache dessen, was die Industrienation Deutschland benötigt. Selbst wenn künftig auch Autos und Heizungen mit Strom laufen, statt mit Öl oder Gas.

Zudem könnten neue Arbeitsplätze entstehen. Eine Photovoltaik-Produktion in Europa würde etwa 750 Arbeitsplätze pro Gigawatt Modulproduktionskapazität schaffen, so das Fraunhofer ISE. Mindern ließe sich zudem die Abhängigkeit von importierten Komponenten sowie deren CO2-Fußabdruck. Für die Installation neuer Photovoltaik-Kraftwerke kämen weitere 3500 Jobs pro Gigawatt hinzu.

Gleichzeitig verweist Fraunhofer auf die gesunkenen Kosten für neue Photovoltaik-Anlagen. Diese liegen heute bei etwa drei bis sechs Cent pro Kilowattstunde für große Kraftwerke und zwischen sechs und elf Cent pro Kilowattstunde für Dachanlagen bis 30 Kilowatt Leistung. Die Freiburger Forscher sind sich zudem sicher: Es dürften schon geschätzte 400 statt möglicher 3.160 Gigawatt an Photovoltaikleistung reichen, um die Energiewende zu schaffen. Aktuell installiert sind jedoch gerade einmal 60 Gigawatt. Die gute Nachricht: Das Osterpaket von Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht vor, dass der Zubau auf Rekordhöhen schnellen soll. Bis zu 20 Gigawatt sollen pro Jahr installiert werden, fast dreimal so viel wie im bisherigen Spitzenjahr 2011.

Photovoltaik in Kommunen

Die Region Donau-Iller steht sinnbildlich für das Wachstum der solaren Energie. Hier gibt es überdurchschnittlich viele PV-Anlagen. Im schwäbischen Landkreis Günzburg etwa ist auf dem Dach der Burgauer Polizeiinspektion eine neue PV-Anlage installiert. In Leipheim wird ein neuer Kindergarten gebaut, der ebenfalls mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet wird. Günzburgs Oberbürgermeister Gerhard Jauernig (SPD) ist wie sein Kollege Brandl aus Abensberg der Meinung, dass es möglich sein muss, auch auf Dächern in der Altstadt PV-Anlagen zu montieren. Auch der Thannhauser Stadtrat beschäftigte sich zu Jahresbeginn mit Entwürfen für eine Freiflächenanlage im Norden der Stadt.

ESS Kempfle-Mann Müller wiederum ist für die Zusammenarbeit mit Kommunen zuständig. Er erklärt, wie Städte und Gemeinden schnell PV-Anlagen in Betrieb nehmen können. Kempfle baut Solaranlagen auf kommunale Dächer, etwa auf Kindergärten, Sporthallen, Kläranlagen oder Bauhöfen. Den Strom nutzen die Einrichtungen selbst. „Wenn über Bedarf produziert wird, kann etwa die benachbarte Grundschule profitieren“, verdeutlicht Müller.

Das Leipheimer Unternehmen baut und betreibt die Anlagen selbst, die Kommunen bezieht den Strom zum Fixpreis. Der ist mit zwölf Cent pro Kilowattstunde viel niedriger als sonst und Ausgaben für die immer weiter ansteigende CO2-Steuer werden vermieden. „Die oftmals klammen Orte sparen das Geld für andere Projekte“, so Müller, der selbst viele Jahre als Bürgermeister in Bayern tätig war. Weil die Kommunen nicht selbst investieren, ist für den Auftrag keine EU-weite Ausschreibung nötig. Zudem braucht es keine Beschäftigten, die die Anlagen warten können – solares Fachwissen und IT-Knowhow bringen die 120 Mitarbeiter des Mittelständlers mit.

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In Abensberg kooperiert die Kommune mit der Bayernwerk-Tochter Region Energie. Diese managt virtuell die vor Ort 30 bestehend Kleinkraftwerke, die überwiegend Solarstrom produzieren. Für insgesamt zehn Regionen in Bayern übernimmt das Bayernwerk Start-up diesen Job, von Abensberg über den Landkreis Schwandorf bis Rottenburg.

Transparenz durch IT

Mit der Etablierung dieser regionalen Strommärkte können Verbraucher und Kommunen nachvollziehen, wie viel Öko-Strom aus Wind, Wasser, Biogas oder Sonne an ihrem Heimatort erzeugt wird. Mit moderner Messtechnik kann das virtuelle Management mit einer Genauigkeit von 15 Minuten darstellen, welche Anlagen welchen Beitrag liefern. „Dabei ist das Ziel, eine möglichst hohe Eigenversorgungsquote zu erreichen“, verdeutlicht Geschäftsführer Thomas Oppelt.

Am Beispiel Schwandorf wird das an einem wolkigen Frühlingstag im April deutlich. Aufgesplittet nach Biomasse, PV, Wasser- und Windkraft sowie weiterer Erzeuger speisen die Anlagen um 15.57 Uhr 34.552 Kilowattstunden ein. Der Energiemonitor, der auf einer Webseite öffentlich aufrufbar ist, zeigt eine Quote von 64 Prozent regional erzeugtem Strom. 13.597 Kilowatt werden zu diesem Zeitpunkt per Netzbezug zusätzlich kauft, sodass in Summe 37.149 Kilowattstunden an Industrie und Gewerbe, kommunale Verbraucher sowie private Haushalte im Kreis Schwandorf abgegeben werden. Hierfür nutzt das System moderne Prognose-Modelle, die aktuelle Wetter-Parameter berücksichtigen. Örtliche Energieflüsse, aktueller Versorgungsgrad sowie der Anteil an regenerativem Strom wird somit in Echtzeit sichtbar.

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Oppelt und Müller wiederum wissen, dass durch die per IT geschaffene Transparenz vor allem Kritiker verstummen. Denn nicht irgendein Landwirt oder die Kommune wirtschaftet per Windrad oder Solarpark in die eigene Tasche. Vielmehr wird durch ein intelligentes Energiemanagement regionaler Strom Teil der Energiewende – und somit gesellschaftlich relevant. Gemeinnutzen statt Eigennutzen ist die Devise, die Hemmschwellen senken soll, wenn es um Zubau neuer Anlagen vor der eigenen Haustür geht.

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