Digital Twin In Bamberg entsteht der Prototyp einer intelligenten Brücke
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Experten aus IT und Wissenschaft übertragen derzeit das Konzept des Smart Manufacturing auf ein Bauwerk. Damit stellen sie sich dem Problem, vor dem die Überwachungsmethodik „Structural Health Monitoring“ steht: die Bereitstellung und Verknüpfung von Sensor- und Bestandsdaten in einem einheitlichen Format. Dabei spielt das Konzept des digitalen Zwillings eine entscheide Rolle. Denn erst durch diese digitale Repräsentanz wird der Weg zu einer datenbasierten und effizienten Brückenwartung geebnet.

Beim Konzept des digitalen Zwillings durchläuft ein Werkstück die Produktionsanlage und generiert währenddessen bei jedem Fertigungsschritt Daten, die in ein digitales Abbild des realen Objekts eingehen. Das virtuelle Abbild der vernetzten Produktionsumgebung fungiert somit als universelle Kommunikationsschnittstelle, die Maschinen und Produktionsabläufe konfiguriert.
Die hierfür benötigte Software hat das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in einem interdisziplinären Projekt entwickelt. Ihre Software BaSys 4.0 beziehungsweise die Open-Source-Version Eclipse BaSyx weist den Sensor an, in welcher Reihenfolge er seine Messwerte zu senden hat. Praxistauglich für die Smart Factory wird das Konzept mittels einer von NetApp bereitgestellten Dateninfrastruktur mit Containern als Laufzeitumgebung für die Software, Kubernetes sowie eines zentralen virtuellen Speichers.
Die Wissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München stellten sich deshalb die Frage, ob und inwieweit sich das Prinzip des digitalen Zwillings samt Dateninfrastruktur von Smart Manufacturing auf Smart Building übertragen lässt. Wie ihre Kollegen an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) beschäftigen sie sich mit Modellen, die Prognosen erstellen. Während die Münchner Forscher den Fokus auf das Erhaltungsmanagement unter anderem von Brücken legen, hat die BAM die Lebensdauer von Bauwerken im Blick.
Die Schnittmenge zwischen beiden ist groß, wobei sie im „Structural Health Monitoring“ (SHM) viel Potenzial sehen. Dahinter verbirgt sich ein Ansatz, der im Falle von Brücken mittels Sensordaten Risse, Verformungen, Karbonatisierung, Korrosion und andere Effekte erkennen kann. Aus den erfassten Daten lässt sich schlussfolgern, ob Mängel und Schäden in einer Größenordnung vorliegen, die Reparaturen oder Instandhaltungen erforderlich machen.
Manuelles oder auf Sensordaten basierendes Monitoring?
Die Relevanz der SHM-Methodik erschließt sich vor allem durch den Aufwand der Brückenüberwachung für Kommunen sowie die Autobahn- und Straßenmeistereien. Für jede der über 100.000 Brücken in Deutschland schreibt der Gesetzgeber zwei Begehungen pro Jahr vor. Noch mehr Aufwand bedeutet die Pflicht zur einfachen Prüfung drei Jahre nach dem umfassenden Brücken-TÜV gemäß DIN 1076, die alle sechs Jahre fällig ist. In diesem Kontrollraster kommen Mängel ans Licht, die sich entweder beheben lassen oder aber zur Sperrung führen, sobald eine Brücke marode ist und eine Gefahr darstellen würde. Zusätzlich sind die Betreiber verpflichtet, in vorgegebenen Intervallen und unabhängig vom tatsächlichen Zustand des Bauwerks bestimmte Wartungsarbeiten durchzuführen.
Ist das Betriebsende erreicht, muss die Brücke abgerissen werden. Mit dem SHM-Ansatz könnte jedoch im Einzelfall dokumentiert werden, dass der Zustand der Brücke eine Verlängerung des Betriebes rechtfertigt. Zudem wird der Prozess der Wartungsarbeiten auf diese Weise vereinfacht. Doch bisher scheitert die Umsetzung daran, dass die Sensordaten bisher nicht standardisiert übertragen und gespeichert werden können.
Diese Hürde nimmt nun das Projekt, das die Universität der Bundeswehr, inspiriert vom Smart-Factory-Anwendungsfall, für die Heinrichsbrücke in Bamberg angestoßen hat. Dort entsteht eine intelligente Brücke, bei der ein digitaler Zwilling die Schlüsselrolle einnimmt, um noch im zweiten Quartal 2021 tiefe Einblicke in die Bausubstanz zu liefern.
Bewährte Dateninfrastruktur
Dieses Zwischenziel visieren die Universität der Bundeswehr in München und die BAM gemeinsam mit ihren Partnern Fraunhofer-Institut IESE, Objective Partner AG und NetApp an. Als sechster Projektbeteiligter ist das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen mit an Bord. Das IIS stattet die Bamberger Brücke mit Sensoren für die Datenübertragung aus.
Die Sensoren senden ihre Messwerte an ein Gateway, das diese Daten wiederum an ein StorageGrid sendet. In diesem Objektspeicher von NetApp findet das Labeln der Daten statt, die danach hochverfügbar für den digitalen Zwilling bereitstehen. Diesen erzeugt wie in der vernetzen Produktion auch hier Eclipse BaSyx, die in der bewährten Shopflooor-4.0-Rerefenzarchitektur eingebunden ist.
Fokus auf Big Data und mehr Aussagekraft
Die Konzentration allein auf die Sensormesswerte engt jedoch die Analyse ein und verringert die Aussagekraft. Je mehr verschiedene Daten in die Auswertung eingehen, um so breiter und tragfähiger wird das Fundament für Rückschlüsse und Modellierungen. Aus dem Grund fließen in die Datenvorbereitungen alle Datensätze der Akteure ein, die mit der Brücke zu tun haben. Die Informationen von Bauträgern und -planern, Bau- und Prüfingenieuren sowie Wissenschaftlern liegen jedoch in unterschiedlichen Formaten vor. In manchen Fällen existieren nur Pläne und Tabellen auf Papier. All diese Datensätze gilt es zusammen mit den Sensormesswerten zentral für die Analyse im Objektspeicher vorzuhalten.
Die digitale Repräsentanz lädt so neben den Sensormesswerten auch alle weiteren relevanten Daten und Funktionen aus dem Objektspeicher, die nötig sind, um den Zustand der Bausubstanz realitätsnah zu simulieren. So werden alle Daten in einem einheitlichen Format abgebildet und über eine standardisierte Schnittstelle für Analysen bereitgestellt. Damit können Computer an der Universität der Bundeswehr ausrechnen, wie der Verkehr den Zustand der Heinrichsbrücke beeinflusst. Sobald der digitale Zwilling in den normalen Betrieb geht und automatisiert die Sensordaten einliest, ist das Verkehrslastmodell präzise und belastbar. Weitere Planungs- und Rechenmodelle wie Building Information Modeling sind geplant. Zudem lassen sich bestehende Modelle mit den neuen Datensätzen validieren, wodurch sich die Forscher unter anderem eine bessere Finite-Element-Berechnung versprechen.
Intelligente Wartung als erstes Etappenziel
Die intelligente Heinrichsbrücke steht exemplarisch dafür, wie präzise Modelle heute sein können. Berechnungen und Simulationen, die auf einer breiten Datenbasis aufsetzen, erzielen reproduzierbare Ergebnisse, die erstmals Belastungen realistisch wiedergeben. Damit entsteht eine valide Grundlage, um die Bausubstanz genau dort zu warten, wo es die Ergebnisse anzeigen. Die neue Instandhaltung nach Bedarf statt nach Intervall entlastet den öffentlichen Haushalt von Bamberg. Zudem hat die Stadt das Instrumentarium in der Hand, fachgerecht zu bewerten, ob sich die Betriebszeit ihres Bauwerkes verlängern lässt.
Der Prototyp der intelligenten Brücke in Franken birgt auch noch weiteren Nutzen, da dieser Ansatz zukünftig auf andere Brücken und weitere Bauwerke übertragen werden kann. Die Verbesserung des Modells anhand anderer Brücken ist dabei nur einer der Vorteile, die sich ergeben. Denn das so gewonnene Wissen wächst stetig und kann beispielsweise auch für die Entwicklung neuer Baustoffe genutzt werden. Darüber hinaus wäre eine Bauweise, die gleich auf die Ausstattung von Sensoren bei einem Bauwerk setzt, nur konsequent. Ebenso sinnvoll erscheint in Zukunft, mittels eines digitalen Zwillings während der Bauphase Brücken und andere Bauwerke zu simulieren. In dem Fall können Bauherr und -träger etwaige Fehler frühzeitig erkennen und noch während des Baus korrigierend eingreifen. Schlussendlich vergrößert sich mit jedem Anwendungsfall das Datenreservoir, womit KI-Algorithmen Informationen für ein gezieltes Training erhalten, was wiederum zu weiteren Erkenntnissen führen wird. Die erste Etappe auf dem Weg dahin ist bereits geschafft.
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