eGovernment Summit 2016 Den Rahmen für den digitalen Strukturwandel schaffen
Im aktuellen EU-Benchmark konnte Deutschland seine Position im Mittelfeld zwar leicht verbessern, doch zeigen alle anderen Studien, dass Deutschland den Anschluss verpassen könnte. Auf dem diesjährigen eGovernment Summit diskutieren die Spitzen aus Politik und Verwaltung, wie die Digitalisierung aktiv gestaltet werden kann.
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Geht es um eGovernment und Digitalisierung in Deutschland, sind sich die einschlägigen Studien einig: „eGovernment findet praktisch nicht statt“, findet der Nationale Normenkontrollrat in seinem aktuellen Gutachten, und der neueste eGovernment Monitor bestätigt wieder einmal, dass die eGovernment-Angebote der Öffentlichen Hand den wenigsten Bürgern bekannt sind. Dabei wird immer deutlicher, dass eGovernment und Digitalisierung längst zum Standortfaktor im internationalen Wettbewerb geworden sind.
Digitalisierung als Wirtschaftsförderung
Das wissen auch die am eGovernment Summit teilnehmenden Führungsspitzen aus Politik und Verwaltung und drängen darauf, die Verwaltung entsprechend zu modernisieren. So erklärte Peter Sondermann, Abteilungsleiter für IT und eGovernment der sächsischen Staatsverwaltung, gegenüber eGovernment Computing: „Digitalisierung und Vernetzung durchdringen immer mehr gesellschaftliche Bereiche. Diese Veränderungen werden auch in der Art und Weise spürbar, wie Bürger, Unternehmen und Verwaltung miteinander kommunizieren und Transaktionen abwickeln. Politik, Verwaltung und Justiz müssen hier einen Rahmen schaffen, der Innovation und Initiative befördert, aber negativen Entwicklungen auch entgegenwirkt. Bestehende Regeln sind angesichts der Digitalisierung zu analysieren und gegebenenfalls anzupassen.“
Und Stefan Krebs, CIO des Landes Baden-Württemberg, ergänzte: „Ein flächendeckend schnelles Internet, elektronische Bürgerämter und eine Verwaltung, die ihre Daten auch Gründern für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zur Verfügung stellt, sind wichtige Treiber der Digitalisierung. Insbesondere für die Wirtschaft hat die Digitalisierung oberste Priorität.“
Krebs weiter: „Das Rückgrat unserer Wirtschaft ist der Mittelstand. Daher wird es auch künftig unsere vordringliche Aufgabe sein, gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen am Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft teilhaben zu lassen. Dabei muss die Politik die entscheidenden Rahmenbedingungen dafür schaffen, um den digitalen Strukturwandel in der Wirtschaft und Gesellschaft positiv und zum Nutzen der Menschen zu gestalten.“
Hartmut Beuß, CIO des Landes Nordrhein-Westfalen, meinte zur Frage, wie sich die Digitalisierung aktiv gestalten lasse: „Aktive Gestaltung bedeutet zunächst, das Bewusstsein für die Unausweichlichkeit der digitalen Transformation zu schaffen und zu schärfen – auch dafür, dass alle Lebensbereiche betroffen sind.“
Zugleich gelte es jedoch, so Beuß weiter, das Bewusstsein für die Chancen der Digitalisierung zu wecken. Zudem müsse da, wo es erforderlich sei, der rechtliche Rahmen installiert sein und/oder angepasst werden. Und schließlich müsse dieser rechtliche Rahmen zügig, konsequent und effizient ausgefüllt werden.
Der saarländische Staatssekretät und CIO Jürgen Lennartz betonte in diesem Zusammenhang die Mitwirkung der Bürger: „Die Digitalisierung setzt die aktive Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an diesem Prozess voraus. Politik und Verwaltung müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Bürger einbringen können – sowohl hinsichtlich der Infrastruktur als auch hinsichtlich eines geordneten Rechtsrahmens.“
Staatsrat Hans-Henning Lühr, CIO in Bremen, unterstrich in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des IT-Planungsrats: „Der IT-Planungsrat hat im Oktober eine Digitalisierungsstrategie beschlossen. Wir werden uns im Januar treffen, um konkrete Projekte zu vereinbaren. Bremen wird sich zusammen mit Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt dafür einsetzen, dass die Verwaltung ihre bestehenden Prozesse überdenkt. Nicht das Antragsverfahren muss elektronisiert werden, sondern die Prozesse in den Behörden. Es muss möglich sein, mit dem neuen Personalausweis den Reisepass online, ohne Besuch eines Amtes, zu verlängern. Und Bürgerinnen und Bürger sollten keine Geburtsurkunden mehr vorlegen müssen. Stattdessen sollten alle Behörden das elektronische Personenstandsregister abfragen.“
Auch über die mit der Digitalisierung verbunden Herausforderungen für die Modernisierung der Verwaltung herrscht weitgehend Einigkeit – auch wenn individuell die Schwerpunkte anders gesetzt wurden. Der CIO des Landes Thüringen, Dr. Hartmut Schubert, beschrieb das so: „Mit den Möglichkeiten, die sich durch die technologische Entwicklung ergeben, steigen auch die Anforderungen der Nutzer an das eGovernment. Hier darf der Anschluss nicht verloren gehen. Gleichzeitig darf aber nicht zwanghaft versucht werden, jede Innovation auf die Öffentliche Verwaltung zu übertragen. Hier ist stets eine Abwägung vorzunehmen, um den Nutzern ein Höchstmaß an Sicherheit und Datenschutz zu gewährleisten.“
Im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung würden sich neue Möglichkeiten für eine effiziente und straffe Verwaltungsstruktur ergeben, so Schubert. So könne die IT etwa die Bildung neuer Gebiets- und Verwaltungsstrukturen durch Zentralisierung von Aufgaben unterstützen. Darüber hinaus ließen sich die Anforderungen, die aus der künftigen demographischen Entwicklung erwachsen, durch Zurverfügungstellung geeigneter Werkzeuge – wie etwa den Bürgerkoffer aus Sachsen – Rechnung getragen werden, so Schuberts Fazit.
Sein Kollege Stefan Krebs betonte ebenfalls die Notwendigkeit, bereits bestehende Verwaltungsprozesse entsprechend zu optimieren, unterstrich jedoch besonders die Notwendigkeit zur Kooperation. „In Deutschland besteht Handlungsbedarf bei der Ausgestaltung digitaler und medienbruchfreier Verwaltungsverfahren. Wir brauchen ein Vorgehensmodell für standardisierte elektronische Verfahren auf der Basis gemeinsamer Styleguides und Prozessdesigns, eine Qualitätssicherung dieser Verfahren durch deren Adressaten und gemeinsam genutzte Infrastrukturen. Wir werden beim eGovernment nicht erfolgreich sein, wenn wir weiter der Individualisierungsmaxime nacheifern und uns in kleinteiligen Online-Services verlieren“, so Krebs.
Verwirklichen ließe sich das Krebs zufolge nur, wenn die Konsolidierung der landesweiten Rechenzentren, der Ausbau der IT-Netze und die Gewährleistung der IT-Sicherheit vorangetrieben würden. Nicht zuletzt bewegten sich die öffentlichen Verwaltungen wie auch die Unternehmen in einem neuen, technologisch geprägten Umfeld. Deshalb müssten Mitarbeiter in den Verwaltungen im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen konsequent weiterqualifiziert und für Digitalisierungsthemen sensibilisiert werden, so Krebs weiter.
Und Jürgen Lennartz betonte: „Wir müssen in Deutschland zu einer wesentlich stärkeren Verbreitung von eGovernment-Lösungen kommen, die von der Bevölkerung als praktisch und sicher betrachtet werden. Hierbei können Bürgerservicekonten und das vom Bund und den Ländern geplante Bürgerserviceportal eine wichtige Rolle spielen.“
Die Frage nach dem Selbstverständnis der Verwaltung beziehungsweise ihrer Funktion in einer digitalen Welt sprach Hans-Henning Lühr an, als er meinte: „Wir können die Internationalisierung der Web-Angebote nicht ignorieren. Wir müssen mit den weltweit agierenden App-Anbietern zusammenarbeiten. Voraussetzung dafür ist aber, dass wir die Souveränität über unsere Daten behalten. Das bedeutet, dass die Datenverarbeitung weiter in Öffentlicher Hand erfolgen müsse, die Grundrechte auf Datenschutz und Integrität der IT-Systeme können so am besten gewährleistet werden.“
Von diesem sicheren Hafen aus ließen sich dann Expeditionen in die globalisierte Anwendungswelt unternehmen, wo wir auch durchaus von neuen Geschäftsmodellen und Angeboten der Industrie profitieren könnten, so Lühr.
Digitalisierung und kein Ende?
Auch, dass die Digitalisierung noch längst zu keinem Ende gekommen ist und weiterhin die Rahmenbedingungen für die Öffentliche Hand dramatisch verändern wird, ist in Verwaltung und Politik längst angekommen.
So meinte Peter Sondermann: „Die fortschreitende Miniaturisierung und Vernetzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik birgt eine Fülle an Möglichkeiten für die weitere Digitalisierung. Darüber hinaus schlagen die rasanten Entwicklungen im Bereich Virtual und Augmented Reality ein neues Kapitel im Verhältnis von Mensch und Maschine auf. Es ist eine Herausforderung für den Staat, aber auch für jeden Einzelnen, sich über die Entwicklungen zu informieren und neue Produkte bewusst einzusetzen.“
Eine Einschätzung, die von Stefan Krebs geteilt wird. Krebs dazu: „Der digitale Wandel wird durch die Konvergenz verschiedener Technologien vorangetrieben. Dabei denke ich insbesondere an das Internet der Dinge, Big Data, Cloud-Computing, Robotik, künstliche Intelligenz, Augmented Reality, Virtual Reality oder den 3D-Druck.“
Um das Potenzial der digitalen Technologien voll ausschöpfen zu können, so Krebs, müssten sämtliche Branchen innovationsfähig sein. Dabei müsse auch ein innovativer öffentlicher Sektor den Weg für den digitalen Wandel weisen und mit nutzerfreundlichen Dienstleistungen vorangehen.
Bayerns CIO, Finanzminister Markus Söder, betonte den Aspekt der Sicherheit. „Kein eGovernment ohne IT-Sicherheit. Bürger und Wirtschaft müssen darauf vertrauen können, dass ihre Daten bei uns gut und sicher aufgehoben sind.“ Eine Einschätzung, die vom saarländischen Kollegen Jürgen Lennartz geteilt wurde: „Eine entscheidende Frage wird sein, wie dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach Sicherheit an ihren Daten sowie der zur Verfügung gestellten Infrastruktur Rechnung getragen werden kann. An diesen Bedürfnissen muss sich auch die Öffentliche Verwaltung bei ihren Angeboten orientieren.“
Und Hartmut Schubert ergänzte zu dem Thema: „Themen wie Big Data, Industrie 4.0 oder Internet of Things werden bereits jetzt immer präsenter. Mit dieser Entwicklung ergeben sich Chancen, aber auch Risiken. So steigen die Anforderungen an die IT stetig. Dies erfordert neben der Schaffung der geeigneten Infrastruktur vor allem die Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter. Durch die immer weiter fortschreitende Vernetzung steigen außerdem stetig die Anforderungen an die IT-Sicherheit. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen regelmäßig evaluiert und dem technologischen Fortschritt angepasst werden.“
Zusammenarbeit in Europa
Das zu bearbeitende Themenfeld ist also nicht nur groß und unübersichtlich, zu allem Überfluss müssen die von den Akteuren ergriffenen Maßnahmen auch noch koordiniert werden. Nicht nur zwischen Bund, Land und Kommunen, sondern auch auf europäischer Ebene.
Hartmut Schubert brachte das so auf den Punkt: „Durch die eGovernment-Initiativen der EU werden wichtige Standards und Rahmenbedingungen vorgegeben, die bei der bilateralen Entwicklung des eGovernment eine zentrale Rolle spielen. Die Nationale E-Government Strategie der Bundesrepublik Deutschland (NEGS) leitet sich von den Zielen dieser Initiative ab. In einem Bereich, der eine solch rasante Entwicklung nimmt, ist es wichtig, starke und verlässliche Partner zu haben. Auch und gerade im Bereich der IT-Sicherheit ist ein gutes Beispiel die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA).“
Darüber hinaus gelte es für den europäischen Kontext, genauso wie übrigens innerstaatlich im föderalen Kontext, Kräfte zu bündeln, um gemeinsam Verfahren zu entwickeln. Damit werde der Verschwendung von Ressourcen entgegengewirkt. Voraussetzung dafür sei es aber, Interoperabilität zwischen den verschiedenen Anwendungen herzustellen. Eine Entwicklung gemeinsamer Standards sei daher unumgänglich, so Schubert.
Ganz ähnlich sah das auch Hans-Henning Lühr: „Angesichts der geschilderten Herausforderungen ist die europäische Zusammenarbeit eine Grundvoraussetzung. Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist ja ein Beleg dafür, dass diese Zusammenarbeit auch funktionieren kann. Nun sind alle Länder auf demselben hohen Niveau, und es entsteht eine vernünftige Verhandlungsposition für die Durchsetzung unserer Interessen.“
Stefan Krebs betonte die wirtschaftspolitischen Aspekte einer erfolgreichen Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union. „Die Europäische Kommission setzt mit dem Digitalisierungskommissar Günther Oettinger wichtige Impulse bei der Digitalisierung. Dabei sind insbesondere Aktivitäten von Bedeutung, die Wirtschaft, Forschung und Behörden dabei unterstützen, digitale Technologien optimal zu nutzen. Die EU-Kommission zielt mit ihrer Agenda darauf ab, nationale und regionale Initiativen zur Digitalisierung besser zu vernetzen, die Entwicklung gemeinsamer Standards, etwa bei den 5G-Kommunikationsnetzen, voranzutreiben und die öffentlichen Dienste zu modernisieren.“ Diese Aktivitäten seien zentral, damit die Europäische Union im weltweiten Wettbewerb ihre Spitzenposition halten könne, so Stefan Krebs.
Die Aufgabe des eGovernment Summit
Welche Aufgaben kann nun der eGovernment Summit in diesem komplexen Geflecht von Entwicklungssträngen leisten? Hans-Henning Lühr formulierte das so: „Wie in den Vorjahren können auf dem Summit die aktuellen Herausforderungen besprochen und gemeinsam analysiert werden. Die IT-Strategien, die im IT-Planungsrat, in der EU und bei uns in den Ländern und Kommunen verfolgt werden, können so besser aufeinander abgestimmt werden.“
Eine Ansicht, die auch Markus Söder teilt: „Als Austauschplattform der Verantwortlichen eignet sich der eGovernment Summit sehr gut zur gegenseitigen Information. So können unterschiedliche Ideen und Strategien direkt diskutiert werden – gleichzeitig stärkt dies das föderale Miteinander.“
Und Stefan Krebs ergänzte abschließend: „Der eGovernment Summit ist eine wichtige Plattform, um sich mit den IT-Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über aktuelle Entwicklungen und Innovationen auszutauschen und zu vernetzen. Er ist damit ein zentraler Impulsgeber für innovative und kreative Projekte und eine Agora für deren Vernetzung.“
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