Verwaltung Warum die Digitalisierung noch nicht stattfindet

Ein Gastbeitrag von Thomas Bönig Lesedauer: 8 min

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Die Digitalisierung hat für eine moderne Verwaltung enorme Potentiale, eine überbordende Bürokratie und damit verbundene Fehlentwicklungen in Deutschland zu korrigieren. Doch zum Leidwesen aller ist eine nachhaltige Digitalisierung der Verwaltung immer noch nicht in Sicht, wie Stuttgarts CIO Thomas Bönig in seinem Gastbeitrag erläutert.

Thomas Bönig, CIO und CDO Stuttgarts: „In Wahrheit ist in Deutschland alles durch politische Vorgaben inzwischen viel zu kompliziert oder komplex ausgestaltet“
Thomas Bönig, CIO und CDO Stuttgarts: „In Wahrheit ist in Deutschland alles durch politische Vorgaben inzwischen viel zu kompliziert oder komplex ausgestaltet“
(Bild: Messe Berlin GmbH)

Würde in Deutschland eine Umfrage durchgeführt, wo die Schwerpunkte deutscher Politik für eine zukunftsorientierte Ausrichtung des Landes liegen sollten, wären Klimaschutz, Energiewende, Verkehrswende sehr weit vorne, aber auch der Digitalisierung wäre eine Spitzposition sicher. Eine Wirtschaftsnation wie Deutschland benötigt eine leistungsfähige Verwaltung, um seine bisherige Position behaupten oder auch ausbauen zu können.

Vergleicht man jedoch die vermeintlichen Erwartungen mit den Ergebnissen, die in verschiedensten Analysen erhoben wurden, liegt Deutschland abgeschlagen hinter der Spitzengruppe und verschlechtert seine Position von Jahr zu Jahr, in rein europäischen Vergleichen rangiert Deutschland regelmäßig im hinteren Drittel der Mitgliedsstaaten. Doch was läuft schief und warum ist mit den enormen Investitionen, die bereits in die vermeintliche Digitalisierung deutscher Verwaltungen geflossen sind, noch nichts erreicht worden? Eine komplexe Frage, auf die es einige einfache Antworten gibt, und die sich hauptsächlich in der strategischen Bewertung der bisherigen Maßnahmen begründet sehen.

Das Online-Zugangsgesetz hatte nie die Zielsetzung, eine digitale Verwaltung zu erreichen

In der Politik ist immer noch die Vorstellung existent, dass Digitalisierung darin besteht, Bürgern und Bürgerinnen oder der Wirtschaft über Online-Formulare einen elektronischen Zugang zur Verwaltung anzubieten. Wie die Verwaltung jedoch mit diesen Anträgen umzugehen hat, war bisher ohne größere Relevanz. Die Realität zeigt jedoch, dass in den meisten Fällen nach dem Eingang des Antrags verwaltungsintern genauso wie jeher analog weitergearbeitet wird. Über das OZG wird nur der Zugang bzw. das dabei verwendete Papier digitalisiert, wobei die Bezeichnung ‚digitalisiert‘ im eigentlichen Sinn nicht einmal zutreffend ist, eine Art elektronischer Zugang würde es deutlich besser beschreiben.

Für die Antragssteller und Antragsstellerinnen ist es damit in einigen Fällen etwas komfortabler geworden, einen Vorgang in der Verwaltung zu starten. In den meisten Konstellationen jedoch ist das Ausfüllen eines Online-Formulars immer noch ein hoch bürokratischer Vorgang, der digitale Optionen für einen vereinfachten Zugang nicht unterstützt. Die Eingabefelder sind nicht mit vorhanden Informationen vorbefüllt, eine bidirektionale Kommunikation während der Dateneingabe findet nicht statt usw. Die bisherige Vorgehensweise einer Antragsstellung wurde damit nahezu deckungsgleich ins Internet übertragen, wobei alle Nachteile übernommen, aber auch noch neue hinzugefügt wurden. Viele Zielgruppen haben mit der Amtssprache erhebliche Probleme, so dass sie den elektronischen Zugang selten oder gar nicht nutzen oder oft falsche Informationen eingeben.

Um die für die Verarbeitung notwendige Qualität zu erreichen, entsteht ein hoher interner Zusatzaufwand. Daher existieren in einigen Ämtern Bestrebungen, den Online-Zugang zur Verwaltung nicht mehr zu unterstützen und die Personen wieder ins Amt zu holen. Es war und ist ein großer Fehler, die digitalen Bedarfe der Verwaltung bei den OZG-Zielsetzungen unbeachtet zu lassen und den Schwerpunkt nicht auch auf die Digitalisierung der internen Abläufe zu setzen.

Das Potential der Digitalisierung wird in politischen Ebenen immer noch nicht verstanden

Die Potentiale der Digitalisierung sind enorm, und wir stehen erst am Anfang der technologischen Entwicklungen. Anstatt eine nachhaltige Vision zu verfolgen, wie eine zukünftige moderne Verwaltung nach einer digitalen Transformation aussehen könnte, wird weiterhin versucht mit Online-Formularen zu arbeiten, statt die Prozesse in einem modernen, bürgerzentrierten und weitgehend automatisierten System serviceorientiert abzubilden, so dass intelligente Maschinen die routinemäßige Arbeit für die Menschen übernehmen können – man verharrt somit weiter in Denkmustern und Strukturen des letzten Jahrtausends.

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