Doppelte Nutzerzentrierung im öffentlichen Sektor Warum der digitale Bürgerdialog nur über einen Personaldialog gelingen kann
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Mehr Digitalisierung, mehr Transparenz und bessere Services: Die Forderungen an den öffentlichen Dienst und seine Angebote für Bürger und Bürgerinnen sind klar umrissen. Doch viele Bedürfnisse bleiben unbeantwortet – weil niemand die Mitarbeitenden im öffentlichen Dienst fragt.

Bereits seit Schedler und Felix (2000) wird Bürgernähe mit Kundenorientierung gleichgesetzt; die Bedürfnisse der Menschen gelten als Kompass für die Weiterentwicklung staatlicher und öffentlicher Dienstleistungen. Um die klar abgesteckte Zielgruppe zu erreichen, wird in digitale Strukturen und neue Technologien investiert: Der Staat sucht den Bürgerdialog und erweitert seine Informationsangebote.
Trotzdem knirscht es im öffentlichen Getriebe. Staat und Bevölkerung scheinen weiter entfernt als jemals zuvor. Die Gründe dafür werden meist in mangelnder Digitalisierung oder lebensferner Gesetzgebung gesucht. Doch das eigentliche Problem liegt in einer unvollständigen Produkt- und Zielgruppendefinition.
Staatliche und öffentliche Dienstleistungen sind keine simplen „Konsumentenprodukte“, die nur bestimmte Merkmale aufweisen müssen, um von Kunden und Kundinnen genutzt und verstanden zu werden. Es sind vielmehr komplexe, erklärungsbedürftige und vor allem folgenreiche Produkte, die obendrein jedes Mal in zwei Richtungen wirken: vom Staat zum Bürger und vom Bürger zurück zum Staat.
In jeder dieser beiden Richtungen braucht es Übersetzer, Vermittler und Verwalter, die dafür sorgen, dass Bürger und Bürgerinnen die an sie gestellten Aufgaben und Pflichten verstehen und erfüllen. Doch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im öffentlichen Dienst, die diese Rollen übernehmen, sind als Ziel- und Nutzergruppe bisher weitestgehend undefiniert, ihre Bedürfnisse werden daher kaum berücksichtigt.
Zwei Zielgruppen, ein Anspruch – doppelte Nutzerzentrierung als Digitalisierungsmotor
Während der öffentliche Sektor einen transparenteren Bürgerdialog sucht, müsste er eigentlich einen Personaldialog führen. Behörden, behördliche Strukturen und alle damit zusammenhängenden Vorgänge werden jedoch noch immer von oben nach unten gestaltet und implementiert. Das öffentliche Personal führt aus, was der Staat entscheidet.
Der Status als reine Exekutive verkennt, dass die Mitarbeitenden letztendlich dieselben Bedürfnisse wie die Bürgerschaft haben – eben weil sie die „Produkte“ nicht nur „an den Mann“ bringen sollen, sondern sie gleichermaßen nutzen, verarbeiten und transformieren: Damit der Staat etwa Steuern einnehmen kann, müssen Mitarbeitende Steuererklärungen nicht nur einfordern, sondern sie auch bearbeiten, prüfen, das Geld einziehen usw. Dafür benötigen sie bestimmte Strukturen, Informationen und Handlungsmöglichkeiten, die sich unterm Strich ebenfalls in Forderungen nach mehr Digitalisierung, mehr Transparenz und besseren Services übersetzen lassen. Zudem geht es um typische Personalbedürfnisse wie mehr Flexibilität, mehr Vereinbarkeit von Beruf und Leben und ein anderes Denken über die Mitarbeitenden: nicht mehr Rädchen im staatlichen Getriebe, sondern produktive Säule der Organisationsentwicklung.
Wenn in der Öffentlichkeit vom problematischen Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung gesprochen wird, sind eigentlich die Folgen der mangelnden doppelten Nutzerzentrierung gemeint. So fehlt es zum Beispiel nicht an digitalen bürgerorientierten Strukturen. Die eID-Funktion des Personalausweises wurde bereits 2010 eingeführt. Doch bis heute haben nur 40 Prozent der Bürger und Bürgerinnen in Deutschland mit gültigem Personalausweis diese freigeschaltet – genutzt haben sie bislang lediglich 10 Prozent. Die Verbreitung digitaler Identifikationsmöglichkeiten liegt in den Vergleichsländern deutlich höher: In Österreich besitzen 64 Prozent Zugang zur digitalen Identifikation, in der Schweiz gibt es verschiedene Verfahren (z. B. SwissID und TAN-Verfahren), 63 Prozent haben mindestens eines davon genutzt.
Denn was Bürger und Bürgerinnen digital erledigen, muss in vielen Bereichen von Mitarbeitenden immer noch manuell verarbeitet werden. Die Digitalisierung im öffentlichen Sektor überspringt oft die eigentlichen Schnittstellen und bleibt ein Flickenteppich, der im Endeffekt nicht funktioniert. Darüber hinaus fehlt es an Bestrebungen, die Vermittlerrolle des öffentlichen Personals kommunikativ und mit entsprechenden Ausbildungen zu stärken. Für eine bessere Kundenorientierung braucht es jedoch ausgebildete, motivierte und erfahrene Mitarbeitende im Kundenservice.
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