Ladeinfrastruktur „Es wäre unsinnig, an jede Straßenlaterne ein Schnellladekabel zu hängen“
Der Bedarf für E-Auto-Ladeinfrastruktur wird massiv steigen. Der Informationsdienstleister PTV will Städte dabei unterstützen, ihre Planungen dafür zu optimieren. Dafür haben die Karlsruher ein Online-Tool entwickelt, das sich auf die verschiedensten Szenarien einstellen können soll.
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Als Udo Heidl „2025“ in das Programm eingibt, sprießen noch relativ überschaubare, rote, grüne und lila Balken aus dem Boden der Karte von Liverpool. Nächste Eingabe: 2035. Und schon wimmelt es nur so von Balken, die teilweise weit in die Höhe ragen. Die Grafik soll zeigen, wie viel Strombedarf an welchen Orten in der britischen Küstenstadt für Elektroautos in den jeweiligen Jahren besteht. Rot steht für den Strombedarf an Arbeitsstätten, grün für den Bedarf im öffentlichen Raum und lila für den Ladebedarf direkt an Straßen.
„Zwischen 2025 und 2035 wird es eine Verzehn- bis Verfünfzehnfachung des Energiebedarfs in jenem Bereich geben“, sagt Heidl. „Darauf müssen sich Städte und Stadtwerke vorbereiten.“
Und Udo Heidl und sein Team wollen diese dabei unterstützen. Heidl arbeitet als Director beim Karlsruher Informationsdienstleister PTV. Eines der aktuellen Projekte: Ein Online-Tool, das den potenziellen Bedarf an E-Ladestationen und Anforderungen an die Infrastruktur sowie die Daten des Stromnetzes visualisiert.
Seit 2019 arbeitet PTV dazu mit dem britischen Stromnetzbetreiber SP Energy Networks zusammen. Die Partner konzentrieren sich dabei auf die Regionen Nord- und Mittelwales, Liverpool, Wirral sowie Teile von Cheshire und Shropshire. Das Ziel: Prognosen darüber zu erstellen, wie sich die E-Mobilität in den kommenden Jahren bis 2050 entwickeln wird und was dies für den Bedarf an Ladeinfrastruktur und für das Stromnetz bedeutet.
PTV arbeitet dabei mit Mobilitätssimulationen. Die Strom-Nachfrage und das Netz werden semantisch abgebildet. Alle Visualisierungen basieren auf Szenarien und können immer wieder angepasst werden. Vorstellbar sind beispielsweise folgende Entwicklungen:
- Szenario 1: Fast alle Elektroauto-Fahrer laden zuhause
- Szenario 2: Der Hochlauf der Elektromobilität geht nicht so schnell voran wie erwartet. Viele Ladepunkte sind praktisch überflüssig
- Szenario 3: Hochlauf und Infrastrukturausbau gehen schnell voran
Auch das Stromnetz ist visualisiert
Für die Modellierung sind darüber hinaus noch weitere Parameter wichtig. Wo fahren E-Autos im Normalfall? Wie viel verbrauchen sie und wie weit fahren sie? Zu welcher Uhrzeit? Wie lange parken sie und wie viel Strom laden sie? All das rechnet PTV auf Basis aller E-Mobilitätsfahrer in einem Gebiet durch. Heraus kommen Simulationen, an welchen Orten Ladebedarf besteht und wie gut dort schon geladen werden kann.
Auch die Voraussetzungen durch das örtliche Stromnetz lassen sich einsehen. Selbst Kabelstärken und Trafostationen sind hinterlegt. Sind die Äste grün, spricht das für eine gute Stromversorgung, bei gelber oder roter Färbung eher nicht. Das soll Entscheidern bei der Frage helfen, wo sie Ladestationen platzieren können, ohne beispielsweise einen Trafo aufrüsten zu müssen. „Unser Tool soll zeigen: Wo brauche ich Ladestrom für die Mobilität und welchen Schmerz würde es bedeuten, das in das bestehende Netz zu integrieren?“, erklärt Account-Executive Matthias Pfriem.
Dabei maßen sich die PTV-Mitarbeiter nicht an, genau voraussagen zu können, wie sich einzelne Verbraucher im Jahr 2030 verhalten werden. Pfriem erläutert: „Bei der Modellierung gilt das Gesetz der großen Zahl.“
Interessierten Städten soll das Tool dabei helfen, attraktive Standorte für den Auf- und Ausbau von Ladeinfrastruktur zu identifizieren, die auch aus finanzieller Sicht Sinn ergeben. „Heute gehen viele in der Planung noch sehr sequentiell vor“, sagt Pfriem. „Am Anfang steht die Frage nach dem Standort. Dann holt man irgendwann die Stadtwerke ins Boot. Und am Ende wird das Ganze dann oft deutlich teurer als gedacht, weil die Voraussetzungen nicht stimmen.“ Beispielsweise würde zu oft vergessen, im Vorfeld die Erschließungskosten zu prüfen. „Wir wollen den Planungsprozess systematisieren“, so Pfriem.
Heißt: Wo ist der Nutzen für Verbraucher am größten und wo sind gleichzeitig die Kosten erträglich, um einen Ladepunkt ans Netz zu bringen. „Dabei geht es um verschiedene Fragen: Wie hoch ist die zu erwartende Auslastung zu welchen Tages- und Nachtzeiten? Braucht es dafür eine Schnellladesäule oder reicht auch weniger?“, erläutert Matthias Pfriem. „Unser Ziel ist, dass aus dem vorhandenen Budget der maximale Nutzen herausgeholt werden kann.“
„Dort wo sich die Menschen sowieso aufhalten, müssen sie laden können“
Überall auf Schnellladen zu setzen, sei nicht die Lösung, sind sich Pfriem und Heidl einig. „Strom bereitzustellen, ist keine Hexerei. Die Frage ist aber: Zu welchen Kosten? Es wäre unsinnig, an jede Straßenlaterne ein Schnellladekabel zu hängen“, sagt Matthias Pfriem. Anders als etwa in neugegründeten Modellstädten im arabischen Raum stehe man in Europa auch vor der Herausforderung, nicht komplett neu planen zu können, sondern gewachsene Strukturen transformieren zu müssen. Dabei spielen auch Dinge wie der Flächenbedarf eine Rolle. „Städte müssen entscheiden: Wie viel Fläche lassen wir dem Leben und wie viel Fläche geben wir dem Verkehr? Für Schnellladeinfrastruktur braucht man beispielsweise deutlich mehr Platz.“
Bei der bedarfsgerechten Planung sollten Kommunen aus Sicht der PTV-Experten keine Zeit verlieren. „Für die Psychologie ist es wichtig, dass die Lademöglichkeiten dem Bedarf ein Stück weit vorausgehen“, meint Pfriem. Die Maxime sollte dabei laut Udo Heidl sein: „Dort wo sich die Menschen sowieso aufhalten, müssen sie laden können.“ So könne es beispielsweise für Supermärkte zum Wettbewerbsvorteil werden, wenn sie Kunden für ihren halbstündigen Einkauf Schnelllademöglichkeiten bereitstellen. Gleichzeitig wäre es aus Sicht von Matthias Pfriem beispielsweise weniger sinnvoll, in Städten vorwiegend größere Schnellladehubs zu platzieren. „Das impliziert, dass man dafür Umwege in Kauf nimmt. Damit erhöht man die Fahrleistung Und das ist nicht im Sinne der Umwelt.“
Dieser Beitrag stammt von unserem Partnerportal Next Mobility.
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