eGovernment in NRW Es geht auch ohne Zaubertrank
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Im November 2021 stellte das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) seine Digitalisierungsstrategie 2.0 vor – die hohe Dynamik des digitalen Wandels mache eine zeitnahe Fortschreibung der Digitalstrategie erforderlich, heißt es aus NRW. Deshalb haben wir mit dem Landes-CIO, Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke, zum Stand der Verwaltungsdigitalisierung in NRW gesprochen.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wird von einer Folgefinanzierung zur Weiterentwicklung der OZG-Umsetzung gesprochen. An einer fristgerechten OZG-Umsetzung wird an verschiedenen Stellen gezweifelt. Wie schätzen Sie den bundesweiten Stand der OZG-Umsetzung ein? Ist die Digitalisierung der fast 600 Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 noch zu erreichen?
Meyer-Falcke: Zugegeben – es gibt immer mehr prominente Stimmen, die behaupten, dass die fristgerechte OZG-Umsetzung nicht mehr zu schaffen ist.
Es ist ja eine Binsenweisheit, dass IT-Projekte in der Regel nicht alle ihre Ziele innerhalb der vorgesehenen Zeit erreichen. Nach dem eigentlichen Projektende gibt es dann noch Aufräumarbeiten, zu optimistische Ziele werden in künftige Arbeitspakete verschoben. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Bei einem Mammut-Programm wie der OZG-Umsetzung ist nichts anderes zu erwarten als bei einem normalen IT-Projekt. Hinzu kommt, dass zum ersten Mal in einem so großen Umfang das Zusammenwirken von Bund und Ländern in informationstechnologischen Angelegenheiten in der Praxis umgesetzt werden soll.
Tatsächlich kann die Frist zur OZG-Umsetzung Ende 2022 doch nur ein Meilenstein auf dem Weg zu einer vollständig digital transformierten Verwaltung sein. Ihren Leserinnen und Lesern ist genauso wie uns der alleinige Online-Zugang sicher nicht genug. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten doch ein „OAG“, ein vollständig digital-automatisiertes Online-Abwicklungs-Gesetz.
Wer diesen Gedanken aufgreift, erkennt, dass das OZG auch als Treiber dienen kann, um durchgängig – also intern wie extern – digitalisierte, medienbruchfreie Verwaltungsvorgänge zu erreichen. Was wir wirklich brauchen sind: schlanke, nutzerfreundliche, orts- und zeitunabhängige digitale Leistungen, die möglichst vollautomatisiert und damit schnell ablaufen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Von daher kommt dem angekündigten Onlinezugangsgesetz 2.0, das dann auch Online-Abwicklungs-Gesetz heißen könnte, eine große Bedeutung zu. Dabei muss es mit dem Ziel einer nachhaltigen Finanzierbarkeit der Systeme auch um die Bereitstellung und gemeinschaftliche Nachnutzung zentraler Backendsysteme im Sinne der „Dresdener Forderungen“ gehen.
Etwas ganz anderes ist es, wenn man den Umstand, dass vielleicht nicht alle Umsetzungsziele des OZG erreicht werden, in erster Linie dazu benutzen will, bei der Diskussion um ein OZG 2.0 die Umsetzungsfristen zu verlängern. Das sehe ich kritisch.
Der Koalitionsvertrag spricht von einer „Weiterentwicklung“ und nicht von einer Verlangsamung der Umsetzungsgeschwindigkeit. Wir sollten das erreichte Tempo nicht durch eine Diskussion über Fristen verspielen.
Wie schätzen Sie die Aussagen des neuen Koalitionsvertrags in Bezug auf die Verwaltungsdigitalisierung ein? Was stimmt Sie optimistisch und was lässt Sie zweifeln?
Meyer-Falcke: NRW kann mit den Aussagen zur Verwaltungs- digitalisierung im Koalitionsvertrag sehr zufrieden sein. Dabei war sicherlich von Vorteil, dass der nordrhein-westfälische Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart den Digitalisierungsabschnitt des Koalitionsvertrags mitverhandelt hat. Aber auch unabhängig davon lassen viele Passagen des Koalitionsvertrags erkennen: NRW ist bundesweites Vorreiter-Land bei der digitalen Transformation der Verwaltung und kann daher Impulse für Bund und Länder geben.
Ein Beispiel ist der Digitalisierungs-Check für Gesetze, der in Nordrhein-Westfalen schon besteht und nun auf Bundesebene eingeführt werden soll.
Das bedeutet aber auch: Bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages hat der Bund in Nordrhein-Westfalen einen starken Partner, der viele Erfahrungen einbringen kann. So sieht der Koalitionsvertrag vor, dass zeitgemäße digitale Leistungen nutzerorientiert, medienbruchfrei und flächendeckend zur Verfügung gestellt werden sollen. In NRW arbeiten wir schon seit Längerem daran, die Digitalisierung der internen Verwaltungsabläufe und des Zugangs zu Verwaltungsleistungen zusammen zu denken. Die Schaffung einheitlicher, medienbruchfreier digitaler Prozesse sollte aus unserer Sicht zentrales Ziel eines OZG 2.0 sein. So hat NRW im vergangenen November die Novellierung seiner Digitalstrategie veröffentlicht. Darin wird mit Blick auf OZG 2.0 unter anderem die Verzahnung der verwaltungsinternen Binnendigitalisierung mit dem Online-Zugang beschrieben. Ziel ist der vollständig digitalisierte Verwaltungsvorgang – vom Antrag über die verwaltungsinterne Bearbeitung bis schlussendlich zur elektronischen Bescheidung. Der Koalitionsvertrag enthält für uns alle besondere Herausforderungen, die wir aber gemeinsam meistern werden.
So müssen beispielsweise im vorgesehenen Föderalismusdialog zur besseren Nutzung der Chancen der Digitalisierung sehr dicke Bretter gebohrt werden. Aber ohne wird es nicht gehen. Insbesondere bundesweit einheitliche Standards sind notwendig. Denn ohne zentrale Festlegung verlaufen wir uns entweder im Irrgarten der verschiedensten IT-Lösungen oder im Schnittstellendschungel.
Wie kann und sollte es nach 2022 mit der Verwaltungsdigitalisierung weitergehen?
Meyer-Falcke: 2022 ist ein wichtiges Jahr. Hier entscheidet sich, ob wir das Ziel des OZG erreichen: die erstmalige Bereitstellung eines flächendeckenden, nutzerfreundlichen Onlinezugangs zu allen Dienstleistungen der Verwaltung. Aber wir sollten rechtzeitig in eine ernsthafte Diskussion über das OZG 2.0 eintreten.
Wichtige Kernpunkte hierbei sind: Die nachhaltige Finanzierung von Betrieb und Weiterentwicklung der OZG-Online-Dienste sowie die Ausweitung des Umsetzungsprogramms auf die internen Verwaltungsabläufe. In NRW haben wir diesen nächsten Schritt schon im Blick. Unser eGovernment-Gesetz verpflichtet uns, bis Ende 2025 die wesentlichen Binnenprozesse optimiert und digitalisiert zu haben. Das eigentliche Ziel muss die „wirklich“ digital transformierte Verwaltung sein. Noch heute bilden wir häufig nur den ursprünglich analogen Verwaltungs-Prozess ab, der dann zwar digital unterstützt wird, aber im Grunde nichts Neues ist. Stattdessen müssen wir bereit sein, Rechtsetzung, Behördenorganisation und -prozesse unter digitalen Vorzeichen neu zu denken. Erst dann kann die digitale Verwaltung das erreichen, was die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen von uns erwarten: unmittelbare Leistungen der Verwaltung 24/7 an 365 Tagen jährlich wie bei den allgegenwärtigen Onlineportalen und -händlern.
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