Offshoring vs. Nearshoring Outsourcing-Modelle für den Öffentlichen Sektor
„Do what you can do best and outsource the rest“ – immer mehr Unternehmen folgen diesem Motto und lagern Aufgaben in ferne Länder aus, wo Teams wesentlich günstiger arbeiten. An Organisationen der öffentlichen Hand ist dieser so genannte Offshoring-Trend weitgehend vorbeigegangen.
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Die Einhaltung der hierzulande geltenden gesetzlichen Anforderungen und Regeln für den Umgang mit personenbezogenen Daten schien für ausländische Entwicklerteams oft problematisch. Es galt deshalb, Modelle zu finden, die die wesentlichen Vorzüge des Outsourcings erhalten, den Anforderungen des Öffentlichen Sektors aber besser gerecht werden.
Mit Offshoring Kosten sparen
Die klassische Inhouse-Struktur gibt vor, dass Arbeitsplätze und Technik vorgehalten werden müssen, deren Auslastung deutlich schwanken kann. Das verursacht Kosten, die auch dann anfallen, wenn die verfügbare Arbeitskraft und die vorhandenen Ressourcen ganz oder teilweise nicht gebraucht werden. Diese klassische Struktur weist aber auch eindeutige Vorteile auf: keine Reisekosten für die eigenen Mitarbeiter, kurze Wege bei Abstimmungen mit dem Entwicklungsteam, volle Kontrolle darüber, wer für das Projekt arbeitet, keine fremde Technik im eigenen Netzwerk sowie die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen des eigenen Landes. Aus diesen Gründen setzen gerade Unternehmen der öffentlichen Hand traditionell auf dieses Modell. Dass es jedoch auch anders geht, zeigt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB). Dort werden seit einiger Zeit verschiedene Modelle eingesetzt, um den Bedarf an qualifizierten Softwareentwicklern zu decken.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns ist eine Organisation der rund 26.000 in Bayern niedergelassenen Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten. Sie organisiert die ambulante Versorgung im Freistaat und entwickelt innovative Lösungen für die medizinische Versorgung. Mit über 160 IT-Profis ist sie eine der leistungsstärksten eHealth-Organisationen Deutschlands. Bereits in der Vergangenheit nutzte die KVB unterschiedliche Formen des Outsourcings im Rahmen ihrer Softwareentwicklung. Bei der Zusammenarbeit mit Partnern aus dem Ausland stellten die sprachliche, kulturelle und örtliche Distanz jedoch stets komplexe Hindernisse dar. Kritisch war zum Teil auch ein unterschiedliches Qualitätsverständnis.
Mit solchen ambivalenten Erfahrungen ist die KVB nicht alleine – auch in anderen Unternehmen haben diese zu einer kritischen Betrachtung des Offshorings geführt.
Nearshoring made in Germany
Die Fragen nach Datensicherheit und Datenhoheit haben nicht zuletzt durch zahlreiche Hacks und die DSGVO an Brisanz gewonnen. Gerade im Öffentlichen Sektor spielen sie seit jeher eine besondere Rolle, da hier oft mit personenbezogenen Daten sowie mit Daten mit besonderem Schutzbedarf gearbeitet wird. Dies erschwert die Zusammenarbeit mit ausländischen Anbietern, die oft nicht gewährleisten wollen oder können, dass die im Heimatstaat ihrer Kunden geltenden Gesetze eingehalten werden.
Diesen Trend hat msg bereits vor einigen Jahren erkannt. Mit speziellen Nearshore-Entwicklungszentren in Deutschland ermöglicht sie ihren Kunden seither, die Vorteile des Standorts Deutschland mit attraktiven Kosten zu verbinden. Mit diesem Ansatz hat msg die KVB überzeugt und als Kunden gewonnen.
Als Pilotprojekt wurde zunächst ein gemischtes Entwicklungsteam zusammengestellt, das gemeinsam eine Software der KVB weiterentwickeln sollte. Dieses Team setzte sich aus Entwicklern und Architekten der KVB in München sowie Entwicklern und einem Architekten von msg in Passau zusammen. Diese kooperierten von Beginn an in einem gemeinsamen Scrum-Team. Die Projektleitung – Product-Owner und Scrum-Master – wurde von der KVB gestellt. Im Herbst 2013 war Projekt-Kick-off und im weiteren Projektverlauf wurden mehrere Releases erfolgreich produktiv gesetzt. Basierend auf diesem gelungenen Pilotprojekt wurde die Zusammenarbeit auf weitere Entwicklungs- und Wartungsprojekte ausgeweitet.
Die Erfolgsfaktoren im Projekt
In der Zusammenarbeit wurden verschiedene Maßnahmen umgesetzt, die zum Erfolg der realisierten Projekte beitrugen und gezielt übliche Probleme in Offshoring-Projekten adressierten:
Sorgfältige Vorarbeit und Planung
Noch vor dem Start des Pilotprojekts wurde die Infrastruktur sorgfältig aufgesetzt, um die hohen Performance- und Sicherheitsanforderungen zuverlässig einzuhalten.
Regelmäßige persönliche Treffen
Entscheidend für das Gelingen war auch, dass die KVB von Anfang an auf persönliche Zusammenarbeit setzte. So gab es ein gemeinsames Projekt-Kick-off mit allen Teammitgliedern an einem Ort. Auch weitere persönliche Treffen von Koordinatoren, Führungskräften und Teammitgliedern konnten im Rahmen des Nearshoring-Modells mit geringen Kosten realisiert werden. Um eine enge Abstimmung und eine schnelle Reaktion auf operative Herausforderungen zu ermöglichen, wurden diese regelmäßig durchgeführt. Teammeetings dienten nicht nur der Koordination und besseren Zusammenarbeit, sondern auch dem Aufbau persönlicher Beziehungen und des Teamgeistes.
Einheitliche Qualitätsstandards und Coding-Conventions
Das beiderseitig hohe technische Niveau erlaubte eine schnelle Abstimmung der Entwicklungsvorgaben und -standards. Stark vereinfacht wurde diese auch durch die gute Dokumentation der technischen Standards, Architekturvorgaben und Blaupausen sowie durch die Einbindung der msg-Entwickler in das Clean-Code-Development-Programm der KVB.
Einsatz der zur Verfügung stehenden Technik
Um die Distanz zwischen den Mitarbeitern im Arbeitsalltag möglichst gering zu halten, kamen in den Projekten von Anfang an sämtliche Formen der Kommunikation, wie z. B. Video- und Telefonkonferenzen, Telearbeit und Chatrooms zum Einsatz. Dies vereinfachte die Zusammenarbeit erheblich. Darüber hinaus konnten die Mitarbeiter von msg unter Berücksichtigung strenger Sicherheitsanforderungen direkt auf bestimmte Teile der KVB-Infrastruktur zugreifen. Hierbei wurde der Datenschutz durch sorgfältig definierte technisch-organisatorische Maßnahmen gewährleistet.
Die Anwendung agiler Vorgehensmodelle wie Scrum und Kanban
Beide Methoden nutzen und benötigen den regen Austausch zwischen beteiligten Personen. Scrum etwa schreibt regelmäßige Meetings vor, um Probleme unmittelbar zu erkennen und mögliche Hindernisse frühzeitig zu beseitigen. Diese Meetings finden zwar in traditionellen Strukturen innerhalb des Unternehmensgebäudes statt, konnten aber auch gut per Videokonferenz und mithilfe von Collaboration-Tools abgehalten werden. Neben den Vorzügen für die Kommunikation waren die Fortschritte des Nearshoring-Teams für den Kunden so jederzeit sichtbar.
Eine Zusammenarbeit, die beide Partner bereichert
Nach nunmehr rund vier Jahren Zusammenarbeit hat sich die Kooperation der beiden Partner hervorragend bewährt. Beide Seiten sind mit den Ergebnissen der gemeinsamen Arbeit sehr zufrieden und loben vor allem die gute Stimmung sowie den partnerschaftlichen Ton im Projekt. Neben der Optimierung der Kostenstrukturen ergibt sich auf beiden Seiten ein hoher Mehrwert.
Besonders die regelmäßigen Treffen zwischen Führungskräften und Teammitgliedern haben dazu geführt, dass sich Prozesse einspielen konnten. Schon bald stieg das gegenseitige Vertrauen und die Arbeitsproduktivität erhöhte sich weiter. Stärkster Indikator für die gelungene Kooperation ist allerdings die extrem hohe Konstanz in der Mannschaft. Bisher konnten alle eingesetzten Mitarbeiter im Sinne beider Partner im Team gehalten werden. Zum einen zeigt das die hohe Zufriedenheit des Kunden mit der Leistung und der Kommunikation, zum anderen wird auch die hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsumfeld ersichtlich. Die Entwickler im Team fühlten sich vor allem von den aktuellen und innovativen Methoden, Technologien und Frameworks in den Projekten der KVB angesprochen.
Fazit: Warum in die Ferne schweifen…
Die erfolgreiche Zusammenarbeit von msg und KVB wäre ohne die räumliche und kulturelle Nähe sowie ohne einen Konsens über Qualitätsstandards und die Notwendigkeit der Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen kaum möglich gewesen. Sie zeigt, dass Nearshoring made in Germany einen Ansatz bietet, die Vorteile des Offshorings für den Öffentlichen Sektor zu erschließen, ohne sich dabei den üblichen Risiken und Fallstricken auszusetzen. Das Modell spart Kosten und ermöglicht die Schaffung flexiblerer Strukturen, bewahrt aber wesentliche Vorzüge der klassischen Inhouse-Struktur.
*Der Autor Florian Wüchner ist Bereichsleiter Public Sector Solutions Consulting bei msg.
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