15. Europäischer Gesundheitskongress Krankenhausplanung und Kosten im Fokus

Autor Ira Zahorsky |

Mehr als 950 Teilnehmer kamen zum 15. Europäischen Gesundheitskongress in München. Dieser fand unter dem Motto „Innovationsjahr 2016 – Neue Chancen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Patientennutzen“ statt.

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Zahlreiche Besucher informierten sich auf dem 15. Europäischen Gesundheitskongress
Zahlreiche Besucher informierten sich auf dem 15. Europäischen Gesundheitskongress
(Bild: Klaus D.Wolf)

Um zwei Kernfragen drehte sich der Kongress: Was stärkt die Wettbewerbsposition von Leistungserbringern nachhaltig und welche Bedeutung kommt dabei dem Patientennutzen zu?

Rund 140 Referenten gingen zahlreiche gesundheitspolitische Themen an, unter anderem standen auf der Agenda:

  • Krankenhausbedarfsplanung
  • Durchsetzung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Rente“
  • Erkenntnisse zu effektiverer Gesundheitsprävention
  • Medikamentensicherheit im Kontext von Multimorbidität und Polypharmazie
  • Konzepte gegen überlaufene Notfallambulanzen
  • Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis
  • Beschwerdemanagement im Krankenhaus
  • Bekämpfung nosokomialer Infektionen
  • Digitalisierung als Kostenbremse bei den Krankenkassen
  • bessere Finanzierung von Sterbebegleitung
  • Entgeltsystem der Reha

Krankenhausplanung

Der Leiter des Bereichs Healthcare der Unternehmensberatung KPMG, Volker Penter, wünscht sich eine Krankenhausplanung mit Fokus auf der Qualität, nicht der Betten. Zudem müsse eine bessere Abstimmung zwischen den Sektoren des Gesundheitswesens gewährleistet werden. Wichtig sei auch, die demografische Entwicklung mit einzubeziehen. So sollte die regionale Bedarfsplanung im Vordergrund stehen und es müsse allgemeingültige Vorgaben für die Erreichbarkeit von Kliniken geben.

Krankenhäuser kämpfen mit überfüllten Notfallambulanzen, weil die kassenärztlichen Notdienste lückenhaft oder unattraktiv organisiert sind und den Patienten der Unterschied nicht bewusst ist. Der Verband der Ersatzkassen fordert, dass die Krankenhäuser so genannte Portalpraxen einrichten, von denen ankommende Notfallpatienten in die „richtige Versorgungsstruktur geleitet“ werden – gegebenenfalls zum niedergelassenen Arzt.

„Landarztquote“ und „regionaler Faktor beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich“ waren Thema bei der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml
„Landarztquote“ und „regionaler Faktor beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich“ waren Thema bei der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml
(Bild: Klaus D.Wolf)

Die bayrische Gesundheitsministerin Melanie Huml brachte auch das Thema „Landarztquote“ auf den Tisch, wenn nicht als bundeseinheitliche Regelung, dann im Rahmen einer Länderöffnungsklausel. Es sollten einige Studienplätze für jene Medizinstudenten reserviert werden, die nach dem Studium in die ländliche Versorgung gehen wollten.

Kosten

Beim Thema Kosten wurden mehrere Aspekte angesprochen. Melanie Huml kritisierte den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (RSA) und forderte für Bayern einen „regionalen Faktor“. Nur dadurch sei ihrer Meinung nach vor dem Hintergrund steigender Zusatzbeiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung „eine faire Verteilung der Gelder“ möglich.

Auch die deutschen Reha-Einrichtungen haben mit dem Kostendruck zu kämpfen. Die häufig kleinen Anbieter müssen ihre Vergütungssätze individuell mit den Sozialversicherern aushandeln. Bei einem durchschnittlichen Tagessatz von 120 Euro für eine stationäre Rehabilitation sehen die Einrichtungen den Therapieerfolg der Patienten gefährdet. Die 2014 eingeführte demografische Komponente, die das Budget für wenige Jahre zusätzlich schrittweise um bis zu gut vier Prozent erhöhen soll, kritisieren sowohl Reha-Betreiber als auch der Sachverständigenrat als zu gering.

Digitalisierung

Überschaubare Kosten verursacht dagegen die Digitalisierung, meint Thomas Ballast, Vorstand der Techniker Krankenkasse. Er fordert jedoch aufgrund der kurzen Innovationszyklen neue Methoden der Nutzerbewertung für digitale Medizin.

Vor Fatalismus in der Ärzteschaft in Bezug auf die Digitalisierung warnte der Vorstandsvorsitzende des Rostocker Universitätsklinikums, Christian Schmidt. Computer würden Ärzte nicht ersetzen, auch nicht der Super-Computer Watson von IBM. „Watson hat 400 Chefarztjahre auf dem Buckel – dennoch brauchen wir den einzelnen Arzt“, so Schmidt.

TTIP

Der Europapolitiker Elmar Brok hatte sich das Thema TTIP auf die Agenda gesetzt
Der Europapolitiker Elmar Brok hatte sich das Thema TTIP auf die Agenda gesetzt
(Bild: Klaus D.Wolf)

Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, dramatisierte die Bedeutung des Handelsabkommens TTIP für das deutsche Gesundheitswesen. „Wenn die Amerikaner allein mit dem pazifischen Raum Handelsverträge abgeschlossen haben und nicht mit uns, dann werden die Standards für medizinische Produkte nicht mehr in Europa und nicht mehr hier in Deutschland festgelegt“, mahnte Brok. Durch das Handelsabkommen würden auf jeweils einer Seite des Atlantiks pharmazeutische Prüfungen bei der Zulassung neuer Medikamente wegfallen, was eine erhebliche Reduzierung von Kosten für die Pharmaindustrie bedeute.

Big Data

Der Biotech-Pionier und Neurobiologe Friedrich von Bohlen und Halbach referierte zum Thema Big Data
Der Biotech-Pionier und Neurobiologe Friedrich von Bohlen und Halbach referierte zum Thema Big Data
(Bild: Klaus D.Wolf)

Auch das Thema Big Data war Teil des Europäischen Gesundheitskongresses. Wenn die Sequenzierung des individuellen Genoms, die Analyse des Proteoms und schließlich des Metaboloms medizinischer Standard werden, würden diese Daten kontinuierlich ermittelt und in so genannten longitudinalen Datenbanken gespeichert werden. Damit stünden umfangreiche diagnostisch verwertbare Daten zur Verfügung. So würden Patienten künftig länger und besser leben und die Kosten gleichzeitig sinken, prognostiziert der Biotech-Pionier und Neurobiologe Friedrich von Bohlen und Halbach.

Prävention

Die österreichische Bundesministerin für Familien und Jugend, Sophie Karmasin, plädierte dafür, Kindern bereits im Kindergarten und auch in der Schule Grundlagen der Gesundheitsprävention zu vermitteln, beispielsweise wie sich die Ernähung auf die Gesundheit auswirke.

Auch Sport solle stärker zur Vorbeugung genutzt werden. Die Präventionsforscherin Karen Steindorf vom Deutschen Krebsforschungszentrum sieht einen Zusammenhang zwischen Sport und dem Risiko einiger Krebserkrankungen.Vermutlich stünden etwa 15 Prozent aller Krebserkrankungen in Europa in Verbindung mit unzureichender körperlicher Aktivität, so Steindorf.

Leitlinien in der Kritik

Die unerwünschte Wirkung von Medikamenten verursacht oft Krankenhausaufenthalte, rund 90.000 pro Jahr. Etwa 60 Prozent davon sind Folgen fehlerhafter Medikamentenverschreibung, könnten also vermieden werden. Studien zufolge hielten sich Ärzte bei der Medikamentierung oft nicht an die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften. Doch die Ärzte wehren sich gegen den Vorwurf: Zumeist fokussieren Leitlinien nur auf eine Krankheit und berücksichtigen nur selten das Vorliegen von Komorbiditäten. iz

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