Interview eGovernment ist systemrelevant
Über die Wichtigkeit der Verwaltungsdigitalisierung herrschte unter den Teilnehmern des eGovernment Summit 2021 Einigkeit. Sachsens CIO Thomas Popp erläutert im Interview die aus seiner Sicht wichtigsten Punkte.
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Herr Popp, Sie haben auf dem eGovernment Summit einen Vortrag zum Thema „Digitale Verwaltung im Spannungsfeld von faktischer Notwendigkeit und haushälterischen Zwängen“ gehalten. Wie stellt sich dieser Zusammenhang dar?
Popp: Die Corona-Pandemie hat bewiesen, dass die digitale Option systemrelevant ist. Hierfür ist der aktuell erreichte Stand in der Verwaltung und in der Gesellschaft insgesamt aber noch längst nicht ausreichend. Es hat vielfältige digitale Erfolgserlebnisse während der Pandemie gegeben und die Dynamik, dies fortzuführen, ist aktuell hoch. Allerdings stehen die öffentlichen Haushalte durch pandemiebedingte Mehrausgaben enorm unter Druck. Sparpotenzial wird gesucht und die Versuchung ist groß, auch beim digitalen Umbau nun eher wieder zu kleckern, statt zu klotzen. Aber das wäre ein fatales Signal. Die umfassende digitale Transformation in der Verwaltung hat gerade erst begonnen, und sie ist ein Marathonlauf. Um ans Ziel zu kommen, brauchen wir Ausdauer und genügend Reserven, um in zeitgemäße Infrastruktur und digitale Verwaltungsleistungen investieren zu können.
Welche Auswirkungen hat der aktuell vom IT-Planungsrat verabschiedete Beschluss zur EfA-Finanzierung auf die geschilderte Situation, und was verändert sich dadurch in Sachen OZG-Umsetzung?
Popp: Für eine zielgerichtete OZG-Umsetzung müssen wir ebenenübergreifend in Bund, Ländern und Kommunen kooperieren. Effekte und Mehrwert in der Fläche erzielen wir nur, wenn wir uns auf bestimmte Rahmenbedingungen einigen und gemeinschaftlich Lösungen umsetzen. Dafür steht das EfA-Prinzip exemplarisch. Es hilft uns dabei, die verfügbaren Ressourcen nachhaltig und zum Nutzen Vieler zu investieren. Warum sollten wir nicht eine erfolgreich entwickelte Lösung aus einem anderen Bundesland nachnutzen? Warum sollten wir noch einmal Personal- und Finanzressourcen in die eigene Hand nehmen, um am Ende ein ähnliches Produkt zu erhalten, das den gleichen Verwaltungsprozess abbildet? Gerade, weil wir künftig die digitale Option immer mitdenken müssen, sollten wir von Erfahrungen anderer lernen und gute Lösungen übernehmen. Sinnvolle Kooperation betreiben wir als Sachsen schon lange. Beispielsweise entwickeln wir unser Serviceportal Amt24 in enger Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg und unser sächsisches Beteiligungsportal wird jetzt auch in Nordrhein-Westfalen für mehr digitale Partizipation genutzt.
Die Möglichkeit der Übernahme zum Selbstkostenpreis wird die Situation nur kurzfristig entspannen. Ab 2023 werden viele Kommunen weitere Finanzmittel benötigen, um die OZG-Verfahren weiter betreiben und ausbauen zu können. Reichen die Landesmittel in Sachsen und anderen Bundesländern dazu aus oder gibt es eine Finanzierungslücke? Wie ließe sich diese beheben?
Popp: Mein Credo war und ist: Digitalisierung geht nicht mehr weg. Durch die Pandemiesituation ist das nun in allen Köpfen angekommen – auch in der politischen Entscheidungsebene und beim Haushaltsgesetzgeber. Im aktuellen sächsischen Doppelhaushalt spiegelt sich dieser neue Trend wider. Erstmals sind dort eine beträchtliche Anzahl neuer Stellen für den Bereich Digitalisierung enthalten – für die OZG-Umsetzung, den zentralen Betrieb bei unserem landeseigenen IT-Dienstleister Sächsische Informatik Dienste und für die Informationssicherheit. Um diese Stellen möglichst effektiv und effizient einzusetzen, bündeln wir die Fachexpertise – sei es in einem eigenen OZG-Referat in der Sächsischen Staatskanzlei oder im Computernotfallteam SAX.CERT, das für die Informationssicherheit in der digitalen Verwaltung unerlässlich ist. Neben diesen Kompetenzzentren, die natürlich auch Dienstleistungen für die sächsischen Kommunen erbringen, stellen wir eine zentrale eGovernment-Architektur zur Verfügung. Sowohl unser Verwaltungsnetz als auch die eGovernment-Basiskomponenten können staatliche und kommunale Behörden und Einrichtungen nutzen. Damit haben wir bereits seit vielen Jahren ein sächsisches „Einer-für-Alle-Prinzip“ etabliert. An die Führungskräfte in den Verwaltungen und an die für den Haushalt zuständigen Politiker appelliere ich, sich ebenfalls für die nachhaltige finanzielle Absicherung der digitalen Verwaltung einzusetzen.
Sie haben in Ihrem Vortrag auch von der faktischen Notwendigkeit der Digitalisierung gesprochen. Wie stellt sich diese dar, und welche Rolle spielen dabei die Digitallotsen?
Popp: Wir alle haben in den letzten Monaten erlebt, dass Digitalisierung uns in einer Ausnahmesituation hilft, arbeitsfähig zu bleiben. Nun gilt es diese Erfahrungen in die „Normalität“ zu transportieren. Hier warten in Zukunft große Veränderungen auf uns. Allein durch den demografischen Wandel werden schon in wenigen Jahren mehr Bedienstete in Ruhestand gehen als neue Arbeitskräfte hinzukommen. Wie sollen wir dann sicherstellen, dass Verwaltungsaufgaben erledigt werden? Mehr Digitalisierung und Automatisierung hilft uns, die entstehende Lücke zwischen Aufgabenanfall und verfügbarem Personal zu überbrücken. Digitale Kompetenz beim Personal auf- und ständig auszubauen ist die andere Seite derselben Medaille. Bedienstete und Führungskräfte müssen mit verändertem Blick auf ihre jeweilige Arbeit schauen. Wenn wir akzeptieren, dass sich unsere Arbeitsroutinen ändern, können wir sie proaktiv und digital-tauglich gestalten. Die Digital-Lotsen sollen als zentrale Wissens- und Veränderungsmanager diesen Prozess begleiten. Insbesondere für die kommunale Ebene verspreche ich mir durch dieses Multiplikatorenmodell, dass wir Digitalkompetenz nachhaltig und flächendeckend in Sachsen verankern können.
Die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung ist nach der OZG-Umsetzung nicht abgeschlossen. Welche künftigen Zielmarken sehen Sie hier, und welche Rolle soll der eGovernment Summit dabei spielen?
Popp: Ein Blick in die normale Tageszeitung genügt, und wir bekommen eine Ahnung, was alles möglich ist – im Guten wie im Schlechten. Hackerangriffe gehören zur alltäglichen Bedrohungslage in einer vernetzten Welt. Der Schutz von Daten und Informationen muss daher so normal werden, wie eine Haustür abzuschließen. Neue Möglichkeiten der Datenhaltung wie Cloud-Computing bieten Chancen für noch leistungsfähigere Produkte und Verarbeitungsprozesse. Allerdings müssen wir als Verwaltung immer bewerten, wie viel digitale Souveränität wir abgeben wollen. Natürlich soll Verwaltung digitaler, schneller und leistungsfähiger werden. Aber wir garantieren mit unserer Arbeit auch Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Jeder Vertrauensverlust wäre dann nicht nur ein Imageschaden, sondern eben auch eine Bedrohung für die Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Formate wie der eGovernment Summit helfen uns, über Trends, Erfahrungen und Risiken zu sprechen. Die digitale Zukunft der Verwaltung – und auch der Gesellschaft insgesamt – wird maßgeblich davon beeinflusst werden, wie offen und transparent wir mit unseren Ideen und auch unseren Fehlern umgehen. Wir brauchen ein gutes Netzwerk, wo wir in vertrauensvoller Umgebung genau darüber sprechen. Gerade nach so langer – und erzwungener – Distanz genieße ich das persönliche Treffen beim eGovernment Summit sehr. Digital vernetzt ist praxistauglich und eine echte aufwandsärmere Alternative. Eine Präsenzveranstaltung behält trotzdem ihren ganz eigenen Zauber und ich freue mich auf den nächsten Summit, der in Sachsen stattfinden soll.
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