Europa und die Herausforderungen der Digitalisierung eGovernment in Europa
An einer europäischen eGovernment- und Digitalisierungspolitik führt kein Weg vorbei. Internationale IT-Konzerne führen täglich vor Augen, dass IT nicht an nationalen Grenzen Halt macht. Davon ist unser Autor, Dr. Wilfried Bernhardt, überzeugt.
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Ich darf mich zunächst als überzeugter Europäer outen und ich habe in meinem Leben in verschiedenen Funktionen für die europäische Idee gearbeitet und gekämpft. So habe ich bereits in meiner 1987 veröffentlichten Dissertation europäische Verfassungsprinzipien im EWG-Vertrag identifiziert und für die Anwendung dieser Verfassungsprinzipien im Verfahrensrecht geworben – genauso wie ich das heute tun möchte für die einen europäischen Ansatz bei den Fragen der Digitalisierung von Staat und Verwaltung.
Denn eines möchte ich gewissermaßen vor die Klammer ziehen: Gerade im Zeitalter der Digitalisierung muss uns bewusst werden, dass die Grenzen des Nationalstaats keine ernsthaften Barrieren mehr darstellen können und dürfen. Digitalisierung hilft, Grenzen zu überwinden und lässt auch ganz neue Chancen zu, Entfernungen zu überbrücken, Errungenschaften, die in weit entfernten Regionen entstanden sind, bis ins kleinste Dorf in Deutschland und Europa nutzbar zu machen. Europa ist der Garant des Friedens und Deutschland hat seinen wirtschaftlichen Wohlstand auch dem europäischen Binnenmarkt zu verdanken. Ebenso wenig lassen sich mit nationalen Maßnahmen allein die Vorteile der Digitalisierung voll nutzen. Ein nationales Netzwerkedurchsetzungsgesetz ist daher ein ebenso untauglicher Ansatz wie die – vom EuGH glücklicherweise blockierten Versuche nationaler deutscher Vorratsdatenspeicherungsregelungen.
Ich möchte daher zunächst Beispiele dafür präsentieren, welche Wirkung europäische Regelungen bereits in Deutschland entfaltet haben und wie wichtig es ist, die europäischen Gesetzgebungsaktivitäten in Deutschland wahrzunehmen und darauf auch frühzeitig Einfluss auszuüben. Leider fanden die europäische Gesetzgebung in der Vergangenheit in Deutschland nicht die gewünschte Aufmerksamkeit bzw. reichlich spät.
Beispiel DSGVO
Zuletzt hatten wir eine solche Situation im Frühjahr 2018, als kurz vor dem Datum der verbindlichen Anwendung der Datenschutzgrundverordnung am 24. Mai 2018 die Öffentlichkeit realisierte, dass eine – wohlgemerkt bereits zwei Jahre vorher in Kraft getretene – europäische Regelung nicht mehr zu ignorieren war. Und es war dies auch keine Regulierung, die – wie vielleicht manche Politiker den Bürgern glauben machen wollten – über Nacht und ganz von oben, abgekoppelt von nationalen demokratisch gewählten Regierungen, in Kraft gesetzt wurde.
Es war eine Regelung, an der mehr als sieben Jahre lang gearbeitet worden war, und die natürlich auch inhaltlich äußerst bedeutsam war. Datenschutz, die Absicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ist sinnvollerweise nicht auf nationaler Ebene zu organisieren, wenn viele maßgebliche IT-Unternehmen gerade nicht in Deutschland ihren Hauptsitz haben und ihre Geschäftstätigkeit weit über Deutschland hinaus entfalten.
Die deutsche Bundesregierung, der Bundestag, der Bundesrat, alle maßgeblichen Institutionen waren intensiv eingebunden worden, hatten die Möglichkeit zu Stellungnahme gehabt und – aber vielleicht nicht intensiv genug – wahrgenommen. Was in diesem Zusammenhang auch gerne vergessen wird: Gerade die Bundesregierung als Vertreterin des größten EU- Mitgliedsstaates war gefordert, früh ihre Position in die Erarbeitung der Datenschutzgrundverordnung einzubringen.
Leider geschah dies aber erst in einer sehr späten Phase – zum Beispiel durch Briefe des damaligen Bundesinnenministers de Maiziere. So manches Mal hatte die EU-Kommission in den Jahren zuvor auf eine entsprechende Interessenvertretung der deutschen Bundesregierung gewartet.
So waren es erst deutsche EU-Parlamentarier, die sich intensiv in die Diskussion um die DSGVO einbrachten. Und dennoch schienen erst Anfang 2018 die betroffenen Unternehmen, Branchen und Berufsgruppen in Deutschland zu verstehen, dass sie sich vorbereiten müssen. Ich möchte dabei nicht den Eindruck erwecken, ich wollte die DSGVO generell kritisieren. Im Gegenteil: Im Großen und Ganzen halte ich sie für eine gute Regelung.
Jeder Internetnutzer weiß, dass das Internet gerade nicht in nationalen Dimensionen zu begreifen ist. In Echtzeit werden Messenger-Nachrichten ausgetauscht, Fotos und Videos verschickt, zivilrechtliche Verträge geschlossen, aber auch Cybercrime-Attacken gestartet. Wie kann dann staatliches Handeln auf die drei klassischen Ebenen Bund, Länder, Kommunen reduziert werden?
Es lohnt sich, an dieser Stelle die ersten beiden Sätze des Artikels 23 Abs. 1 unseres Grundgesetzes in Erinnerung zu rufen:
„Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen“.
Und mit der Zustimmung zu EUV und AEUV hat der Bund genau dies getan. Dennoch verliert Deutschland damit nicht seine Einflusschancen auf die EU-Gesetzgebung. Man behält sie im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der Konsultationen. Und natürlich im Gesetzgebungsverfahren generell. Europa ist eine weitere Ebene des Staats- und Verwaltungshandelns und nicht nur ein Marketinggag im Vorfeld der Europawahlen. Es empfiehlt sich, Europa ernst zu nehmen.
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