Aus Daten lernen Die Pandemie digital bekämpfen

Autor Susanne Ehneß

Digitale Hilfsmittel wie Apps oder Sensoren zur Abstandsmessung sind in der Corona-Krise ein zentraler Baustein. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat untersucht, wie sich die Wirksamkeit solcher digitalen Werkzeuge bei der Kontaktnachverfolgung verbessern lässt – und fordert eine nachhaltige, nationale Strategie sowie eine verstärkte Digitalisierung der Gesundheitsämter.

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Die Check-in-Möglichkeit sowie die Anzeige von Testergebnissen, Impf- und Genesenenstatus sind sinnvolle App-Funktionen
Die Check-in-Möglichkeit sowie die Anzeige von Testergebnissen, Impf- und Genesenenstatus sind sinnvolle App-Funktionen
(© Wirestock - stock.adobe.com)

„Der Einsatz digitaler Werkzeuge wird bis auf Weiteres auch bei ­hoher Immunisierungsrate der ­Bevölkerung notwendig bleiben“, schreiben die Autoren Peter Druschel, Hannes Federrath, Marit Hansen, Thorsten Lehr, Thomas Lengauer, Michael Meyer-Hermann, Simon Munzert, Viola Priesemann, Lars Roemheld, Albrecht Schmidt, Bernhard Schölkopf, Judith Simon, Indra Spiecker gen. Döhmann, Ute Teichert und Christiane Woopen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in ihrem kürzlich veröffentlichten Diskussionspapier. Wegen neuer Virusvarianten mit erhöhter Infektiosität und unbekannten Immunausweichmechanismen bestehe das Risiko neuer Infektionswellen, heißt es im Papier weiter. „Um Ansteckungsketten zu unterbrechen, ist es wichtig, Risikokontakte schnell zu erkennen sowie potenziell infizierte Personen zu warnen und zu isolieren.“

Digitale Helferlein

Im Diskussionspapier betrachtet werden die Corona-Warn-App des Bundes, die Luca-App, die Gesundheitsamt-Software Sormas, die dezentrale Bluetooth-Lösung „Pancast“, die derzeit von mehreren Max-Planck-Instituten entwickelt wird, sowie Wearables der Anbieter Kinexion, Redpoint, Tsingoal, Ubisense, Siemens und Estimote. Hinsichtlich IT-Architektur, Open Source, Zugang, Datenerhebung, -speicher und -zugang sind diese Lösungen allerdings schwer vergleichbar, haben sie doch verschiedene Ansätze:

Ansätze zur digitalen Unterstützung der Pandemiebekämpfung aus dem Leopoldina-Papier
Ansätze zur digitalen Unterstützung der Pandemiebekämpfung aus dem Leopoldina-Papier
(© Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina)

(Quellen: 3Corona-Warn-App (CWA), 4Luca-App, 5SORMAS, 6 Zum Beispiel Kinexion, Redpoint, Tsingoal, Ubisense, Siemens, Estimote, 7Überblick zu PANCAST)

Bei Entwicklung, Einsatz, öffentlicher Diskussion und Bewertung digitaler Tools sei es laut Leopoldina daher wichtig, „klar zu formulieren, welchen konkreten Zwecken sie dienen sollen“ – auch, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Ebenso müssten die jeweilige Wirkungsweise, der Nutzen, die Risiken und der jeweilige Umgang mit den erhobenen Daten klar kommuniziert werden. Und: Die Nutzung müsse freiwillig bleiben.

Nach der Einführung der Corona-Warn-App Mitte 2020 seien Chancen verspielt worden, das Vertrauen der Bevölkerung in die App nachhaltig zu stärken und deren Nutzung kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu bewerben. Dennoch nutze derzeit immerhin etwa jede vierte Person in Deutschland die App. „Eine solche Nutzungsquote wurde in fast keinem anderen Land erreicht“, heißt es dazu.

Weiterentwicklung

Die Autoren der Leopoldina heben als relevante Funktionen der Apps die Check-in-Möglichkeit sowie die Anzeige von Testergebnissen, Impf- und Genesenenstatus hervor. Für die weitere Entwicklung könnten die Integration von lokalen Inzidenzwerten und Corona-Regeln sowie Infos zu Test- und Impfzentren, zur Quarantäne oder zu Reisebestimmungen ein praktischer Mehrwert sein. Dabei sollen Zweckbindung und Daten­sicherheit „auch zukünftig nicht infrage gestellt werden“. „Add-On-Dienste, die womöglich eine Standortfreigabe verlangen oder die ­Daten an Dritte weitergeben würden, sollten daher ausgeschlossen werden“, raten die Autoren. Wert solle außerdem auf eine möglichst einfache, barrierefreie Gestaltung gelegt werden – zu viele oder zu komplexe Anwendungen und Bedienungsschritte könnten eher abschrecken.

Neben weiteren Funktionen spiele laut Leopoldina auch die fortwährende transparente Kommunikation von Neuentwicklungen und die kontinuierliche Bewerbung der digitalen Werkzeuge eine große Rolle: „Dabei kann neben staatlichen Bemühungen um die transparente Vermittlung der Funktions- und Wirkungsweise von Apps und Wearables die Einbindung von Personen des öffentlichen Lebens in die Kommunikation für zusätzliche Bekanntheit, Akzeptanz und Nutzung sorgen. Dazu gehört auch ihr Einsatz im staatlichen Bereich, zum Beispiel vermittelt über öffentliche Einrichtungen wie etwa Schulen und andere Bildungsstätten.“

Unterstützung der ­Gesundheitsämter

In ihrem Diskussionspapier sprechen sich die Autoren der Leopoldina für eine verstärkte Digitalisierung der Gesundheitsämter und ihre Einbindung in die automatisierte Infektionskettennachverfolgung aus. Dazu gehören

  • eine technische Aufrüstung vor Ort,
  • einheitliche Schnittstellen in den verwendeten Softwaresystemen,
  • die Gewährleistung der Inter­operabilität und
  • entsprechende Schulungen für das Personal.

„Bei exponentiellem Wachstum der Infektionszahlen in einer Pandemie stößt jeder vornehmlich auf händischer Verarbeitung basierende Prozess zur personenbezogenen Kontaktverfolgung an Grenzen, und zwar unabhängig von der Anzahl der damit beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, betonen die Autoren. Daher werde auch der unterstützende Einsatz von digitalen Werkzeugen angestrebt – beispielsweise Apps und Wearables. Hierfür sei es allerdings notwendig, die Nutzerzahlen signifikant zu erhöhen. Als „nützliche Erweiterung“ wird der Einsatz von Bluetooth-Sendern anstelle ausgedruckter QR-Codes genannt.

Aus der Pandemie lernen

Die Autoren gehen noch einen Schritt weiter. Im Hinblick auf künftige Pandemien sei es wichtig, die Daten genauer zu benennen, die für die Arbeit der Gesundheitsämter in der Infektionsbekämpfung – neben der Telefonnummer zur Kontaktaufnahme – relevant sein könnten. Zusätzliche Angaben zur infizierten Person, zur Örtlichkeit oder zum Kontext könnten eine bessere Einschätzung des Gefährdungspotenzials durch eine infizierte Person und die Identifizierung von Infektionsclustern ermöglichen. „Entsprechend ist es eine Aufgabe der Wissenschaften und des Robert Koch-Instituts als zuständige Bundesbehörde in Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst, solche Daten zu identifizieren und Vorgaben für geeignete Software­lösungen und interoperable Standards zu formulieren“, fordern die Autoren.

Vorausschauend sollte laut Leopoldina auch an Daten für Forschungszwecke gedacht werden, da sich diese von jenen zur Nachverfolgung unterschieden: „Es sollten wöchentlich repräsentative, randomisierte Teststichproben in einer Größenordnung von etwa 100.000 Personen oder Haushalten als Datengrundlage für Forschungsprojekte erhoben werden, um das epidemiologische Geschehen und die Testpraktiken besser interpretieren zu können. Idealerweise sollten solche Daten europaweit in einheitlicher Form erhoben werden.“

„Vor allem bei dynamischem Infektionsgeschehen sind digitale Hilfsmittel für die Kontaktnachverfolgung unerlässlich“, resümiert Professor Thomas Lengauer, Mitglied des Leopoldina-Präsidiums und einer der Autoren des Papiers. Der konsequente Ausbau digitaler Werkzeuge sei zum Management dieser Pandemie erforderlich – ebenso wie für die Vorbereitung auf eine nächste Pandemie. „Die Digitalisierung der Prozesse in den Gesundheitsämtern sowie die automatisierte Unterstützung bei der Infektionskettennachverfolgung sollte mit Nachdruck vorangetrieben werden“, betont der Informatiker.

Das vollständige Leopoldina-Diskussionspapier „Ansatzpunkte für eine Stärkung digitaler Pandemiebekämpfung“ kann online als PDF eingesehen werden.

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