Gartner-Analyse Die deutsche eGovernment-Agentur darf keine elektronische Verwaltung wollen
Die große Koalition will die digitale Transformation vorantreiben. Dabei soll nicht nur der Digitalrat der Bundeskanzlerin eine wichtige Rolle übernehmen, eine eGovernment-Agentur soll die Digitalisierung der Verwaltung unterstützen. Doch kann die egovernment-Agentur di in sie gesetzten Erwartungen erfüllen? Unser Autor, Arthur Mickoleit von Gartner, untersucht die für einen Erfolg notwendigen Rahmenbedingungen.
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Um die digitale Transformation voranzutreiben, plant die Regierung eine sogenannte eGovernment-Agentur. Das klingt zunächst nach Fortschritt. Doch schon der Name birgt das Risiko, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Der Hype um eGovernment hat in vielen Ländern Erwartungen an mehr Bürgernähe und modernes Verwalten enttäuscht.
Auch die deutsche Verwaltung macht trotz Jahren von eGovernment-Investitionen größtenteils weiter wie zuvor. Zwar mit elektronischen Formularen, Bescheiden und Kontaktwegen aber ohne wirklichen digitalen Wandel – oder spürbare Verbesserung – für die Erfahrungen der Bürger und Unternehmen im Umgang mit Behörden.
Was braucht eine eGovernment-Agentur also, damit Verwaltung nicht primär elektronisch, sondern vor allem besser und bürgerfreundlicher wird? Ein paar Beispiele aus dem Ausland liefern Ideen:
Starke und fortlaufende politische Unterstützung
Ein einflussreicher Politiker sollte die Arbeit der Agentur unterstützen, ohne sie zu leiten. Im Großbritannien war Francis Maude von 2010 bis 2014 Minister für Kabinettsangelegenheiten und politischer Sponsor der 2011 gegründeten Agentur „Government Digital Services“ (GDS). Sein Fingerspitzengefühl war entscheidend für den Erfolg des Projekts. In Deutschland muss nun Dorothee Bär, die Staatsministerin für Digitales, starke politische Führung zeigen.
Eine Führungsriege mit der Lizenz zur Disruption ...
Im Gegensatz zur politischen sollte die geschäftliche Leitung der Behörde einer Führungskraft mit digitaler Erfahrung außerhalb der Verwaltung übertragen werden. Klar, es besteht ein gewisses Risiko, dass unterschiedliche Welten aufeinanderprallen. Andererseits braucht es in einer so konservativen Behördenlandschaft wie Deutschland eine unbürokratische Person, die den Wandel mit Vision, Charisma und anschaulichen Erfahrungen vorantreiben kann.
Andere „Ur-Bürokratien“ haben diesen Schritt auch gewagt und ernten nun erste Erfolge. So kamen zum Beispiel die ersten Geschäfts-Leiter/innen der Verwaltungs-Agenturen GDS in Großbritannien, Etalab in Frankreich und TeamDigitale in Italien allesamt aus der digitalen Wirtschaft: vom Medienhaus The Guardian, von DailyMotion (dem französischen YouTube) und von Amazon.
… und das richtige Personal
Die passenden Mitarbeiter der eGovernment-Agentur arbeiten dort wegen der spannenden Projekte und nicht primär wegen des Beamtenstatus. Motivation entsteht natürlich durch angemessene Bezahlung, aber auch durch die Aussicht, tatsächlich zum digitalen Wandel im Land beizutragen.
Es gibt kein Standard-Profil, doch mit Rechtswissenschaftlern und IT-Spezialisten alleine wird man den Wandel nicht herbeiführen. Der noch relativ neue Canadian Digital Service (CDS) rekrutiert in den Bereichen Kommunikation und Engagement, Daten, Design, Entwicklung und Produktmanagement. Ähnlich breit gefächert sind auch die Anforderungen Australiens „Digitaler Transformations-Agentur (DTA)“.
Ernsthafte Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Bürger
Der deutsche Staat hat leider – wie andere Länder auch – Erfahrungen mit Technologieprojekten, die am Bürger vorbei entwickelt wurden. Ein Paradebeispiel ist der elektronische Personalausweis samt digitaler Unterschrift. Das Augenmerk wurde fast komplett auf Technologie, Infrastruktur und Sicherheit gesetzt – mit dem Ergebnis, dass es heute immer noch kaum nennenswerte Angebote für den Dienst gibt und die notwendige Kombination von Ausweis und Lesegerät den meisten Menschen viel zu umständlich ist. Unsere Nachbarn in Österreich haben viel früher an die Anwendbarkeit gedacht und bieten zum Beispiel mit der Handy-Signatur eine sichere und nutzbare Lösung an.
Um die Bedürfnisse der Bürger ernster zu nehmen sollte die eGovernment-Agentur folgendes tun:
- Die Bürger fragen: eigentlich selbstverständlich, aber oft vernachlässigt. In welchen Situationen ist der Umgang mit Behörden besonders umständlich oder lästig? Die Antwort könnte lauten: bei Umzug, Geburt, Unternehmensgründung oder dem Verlust eines Familienmitglieds. Eine bessere Analyse der Lebenslagen von Bürgern und Unternehmen, zum Beispiel durch Umfragen und Panels, kombiniert mit anderen Daten wie etwa der Häufigkeit der Ereignisse, geben der Verwaltung klarere Prioritäten.
- Den Bürgern erklären: Der Weg durch die Institutionen muss nicht mühsam sein. Einfache und grafische Erklärungen führen die Bürger durch den Bürokratiedschungel. Auch der digitale Wandel sollte auf diese Art und Weise vermittelt werden. „Citizen Journey mapping“ ist hier ein modernes und hilfreiches Konzept.
- Mit den Bürgern zusammenarbeiten: Die Zeiten der „Wasserfall-Logik“ sind vorbei, wo Nutzer einen neuen Service erst spät testen. Stattdessen sollten Behörden ihre Zielgruppen möglichst früh einbinden und nicht davor scheuen, unfertige Versionen zu präsentieren. Es gibt genügend motivierte Beta-Tester! Das digitale Team der französischen Staats-Verwaltung zelebriert diese neue Art der Zusammenarbeit sogar im Namen: beta.gouv.fr.
Partnerschaften suchen, auch abseits der Verwaltung
Organisationskultur ist allgemein ein großes Hindernis für die digitale Transformation. Das gilt besonders in Deutschland mit seiner föderalen Struktur und den vielen „Veto-Mächten“. Eine eGovernment-Agentur sollte sich also zeitig nach willigen Partnern umsehen, mit denen sie anschauliche Ergebnisse erzielen kann, um dann auch zögernde Behörden zu überzeugen.
Man könnte sich zum Beispiel an die Unternehmensgründung wagen und diese vereinfachen. Oder die Nachweispflicht von Geburtsurkunden in Papierform abschaffen. Frischgebackenen Eltern erleichtert es das Leben, wenn der Kindergeldantrag wie in Irland schon vorausgefüllt in der Post liegt oder einfach automatisch bewilligt, berechnet und ab dem Folgemonat ausgezahlt wird.
Das erfordert natürlich Budget und Mut zur Disruption – oder anders gesagt, zum Hinterfragen von gestandenen Prozessen. Nicht-Regierungs-Akteure können da sehr hilfreich zu Seite stehen. Die französische Regierung arbeitet zum Beispiel mit der gemeinnützigen Organisation OpenStreetMap an einer modernen Adress- und Geodatenbasis die unter anderem für Rettungsdienste wichtig sein kann. Die US-Regierung erhält von der NGO „Code for America“ Experten, die bis zu einem Jahr an Projekten in der Verwaltung arbeiten. Ähnliche Organisation gibt es auch in Deutschland, zum Beispiel „Code for Germany“, und die hätten sicher Lust auf gemeinsame Projekte mit der eGovernment-Agentur.
Fazit
Eine deutsche eGovernment-Agentur muss das Rad nicht komplett neu erfinden. Es reicht, die relativen Erfolge anderer Länder anzuschauen – und dabei bitte nicht immer nur Estland, sondern auch einfach mal Frankreich oder Österreich. Die Verwaltung hierzulande soll nicht kopieren, was andere Länder tun, sollte sich aber doch mal genauer anschauen, wie man es dort schafft, digitalen Wandel zu gestalten. Ganz wichtig ist dabei, immer im Auge zu halten, dass das Ziel digitaler Transformation nicht eine elektronische Verwaltung ist, sondern vor allem eine bessere Verwaltung – für die Bürger, Unternehmen und andere Nutzer.
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