Hamburg Widerstand gegen Trojaner-Einsatz
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) klagt gegen den Trojaner-Einsatz durch den Verfassungsschutz und gegen Predicitive-Policing-Befugnisse der Polizei in Hamburg. Die Klage ist bundesweit von Interesse.
Anbieter zum Thema

Der Hamburger Verfassungsschutz und die Polizei dürfen seit April 2020 moderne, digitale Überwachungsinstrumente nutzen. Der Verfassungsschutz darf mittels Trojanern verschlüsselte Kommunikation ausloten, die Polizei mittels Algorithmen Personenprofile erstellen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und weitere Organisatonen wehren sich dagegen und haben Verfassungsbeschwerde gegen die entsprechenden Gesetzesänderungen erhoben.
„Angesichts der umstrittenen Überwachungspraxis von Geheimdiensten und wiederkehrender Polizei-Skandale sind neue Befugnisse für diese Behörden höchst bedenklich. Wie diese Befugnisse in Hamburg geregelt sind, ist darüber hinaus verfassungswidrig“, kommentiert Bijan Moini, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF.
„Ohne Kontrolle“
Wie die GFF ausführt, darf sich das Hamburger Amt für Verfassungsschutz „ohne Gerichtsbeschluss oder ähnliche Vorab-Kontrolle“ seit einer Änderung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes in Geräte bestimmter Personen hacken (§ 8 Abs. 12). Dies verletze Betroffene in ihrem IT-Grundrecht (Recht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme) und es verletze außerdem ihr Telekommunikationsgeheimnis.
Zudem gefährde der Geheimdiensttrojaner die vertrauliche Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten und Journalisten und verletze damit insbesondere die Pressefreiheit. „Mit dem Geheimdiensttrojaner sind nun selbst verschlüsselte Nachrichten nicht mehr sicher“, erläutert Sebastian Friedrich, einer der Kläger. „Das erschwert meine Arbeit ungemein: Es ist mir kaum möglich, wegen einer kurzen Nachfrage einmal quer durch Deutschland zu fahren, um mit meinem Kontakt face-to-face zu reden.“ Friedrich arbeitet als freier Journalist und recherchierte in der Vergangenheit zum Rechtsterrorismus.
„Verfassungswidrig“
Trojaner in Händen von Geheimdiensten sind nach Meinung der GFF verfassungswidrig, „wenn ihr Einsatz nicht hinreichend begrenzt ist und der Staat Sicherheitslücken in IT-Systemen ausnutzt, statt sie den Betreibern zu melden“. Dies sei in Hamburg der Fall. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde der GFF gegen die Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst im Mai 2020 geurteilt, dass die heimliche Überwachung bestimmter Personen einer gerichtsähnlichen Vorab-Kontrolle unterliegen müsse. „In Hamburg werden die Überwachungsbefugnisse deutlich erweitert, ohne das Kontrollregime zu verbessern – damit ist der Verfassungsverstoß programmiert“, sagt Moini.
Predictive Policing
Auch hinsichtlich der automatisierten Auswertung von Daten durch die Hamburgische Polizei wurde Beschwerde eingelegt. „Die Polizei darf automatisierte Personenprofile aus einer nicht näher bestimmten Menge an Daten erstellen, darunter gegebenenfalls auch öffentlich verfügbare Daten aus sozialen Netzwerken“, erklärt die GFF. In Hamburg solle dadurch die vorbeugende Verbrechensbekämpfung („Predictive Policing“) Einzug halten – allerdings unter Verletzung der Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht der weniger eingriffsintensiven Rasterfahndung gesetzt habe. „Es ist unklar, von wem Profile angefertigt werden können und welche Konsequenzen etwaiger ‚Beifang‘ für die Betroffenen hat, also die Erfassung von Personen, die selbst nicht als gefährlich gelten. Unklar ist auch, für welche Zwecke genau Software eingesetzt werden kann und wie lange die Profile gespeichert werden“, moniert die GFF.
Bundestrojaner
Die Klage ist nicht nur für Hamburg von Bedeutung. Bundespolitisch wird das Thema Trojaner schon lange diskutiert. „Die Reformpläne leiden an den gleichen Mängeln wie das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz“, meint die GFF. „Unsere Beschwerde gegen das Hamburger Gesetz ist ein Musterverfahren für die Reform auf Bundesebene: Wir wollen die mit dem Geheimdiensttrojaner verbundenen Grundsatzfragen frühzeitig durch das Bundesverfassungsgericht klären lassen“, betont Moini.
(ID:47006409)