Digitale Souveränität Status quo und Handlungsfelder
Was ist digitale Souveränität eigentlich genau, welche Aspekte werden durch sie berührt und welche politischen Folgen ergeben sich aus ihrer Umsetzung? Die Deutsche Akademie der Wissenschaften hat darauf eine Antwort versucht.
Anbieter zum Thema

Das Thema digitale Souveränität war in den vergangenen Monaten immer wieder Gesprächs-, ja Streitthema. Doch eine Definition, was der Begriff zu bedeuten habe, wurde dabei nur selten geliefert. Meist wurde darunter bloß die Unabhängigkeit von bestimmten Hard- und Softwareproduzenten verstanden.
Damit wollen sich die Autoren der vorliegenden Studie, die bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, kurz acatech, erschienen ist, nicht zufrieden geben. Die Autoren Prof. Dr. Henning Kagermann, ehemaliger SAP-Vorstand und ehemaliger acatech-Präsident, Karl-Heinz Streibich, Aufsichtsratsvorsitzender der Software AG und aktueller acatech-Präsident, sowie die ehemalige Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung, Dr. Katrin Suder, stellen vielmehr ein umfangreiches Schichtenmodell zur Definition der digitalen Souveränität vor.
Das Trio liefert ein umfassendes Stufenmodell zum Thema digitale Souveränität, das für viele gänzlich neue Facetten des Themas beleuchten dürfte. Dieser Anspruch wird schon im Vorwort deutlich, in dem es heißt: „Digitale Souveränität ist nicht nur eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch der politischen Selbstbestimmtheit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten, der Innovationskraft von Unternehmen und der Freiheit der Forschungseinrichtungen und aller Europäer in der digitalen Welt.“
Digitale Souveränität europäischer Prägung müsse dabei auf einen eigenständigen Weg der Digitalisierung abzielen. Weder staatliche Eingriffe und Abschottung im Sinne einer „Great Firewall“ noch eine De-facto-Setzung entscheidender Normen durch Marktmacht könnten Ziele sein.
Schon hier wird deutlich, dass man digitale Souveränität nicht ausschließlich als technisches Problem versteht, sondern vielmehr als politische Fragestellung. Heißt es doch dazu weiter: „In seiner Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union hat sich Deutschland für Digitale Souveränität als Leitmotiv der europäischen Digitalpolitik stark gemacht. Diese Notwendigkeit einer strategischen Befassung auf europäischer Ebene wurde jüngst in einem gemeinsamen offenen Brief der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen Dänemarks, Estlands und Finnlands an die Kommissionspräsidentin nochmals unterstrichen. Mit dem GAIA-X-Projekt haben europäische Vorreiter bereits die Grundlage für die Standardisierung einer vertrauenswürdigen europäischen Dateninfrastruktur auf Basis europäischer Wertvorstellungen und Grundrechte geschaffen.“
Zur Zielvorgabe des Positionspapiers heißt es: „Das Ziel aller Maßnahmen sollte eine digital geprägte Industrialisierung in Europa und darauf aufbauend eine globale Skalierung der Technologien und damit neuer Wertschöpfung sein. Das würde auch dazu beitragen, die bekannte Transferschwäche Europas trotz erstklassiger Forschung zu überwinden.“
Und weiter heißt es: „Durch eine Bündelung der Ziele und Aktivitäten der relevanten Bereiche sollten digitale Schlüsseltechnologien zukünftig bis zum höchsten Technology Readiness Level begleitet werden.“ Auf diesen Bereich wird später noch einmal zurückzukommen sein, wenn es um die Handlungsempfehlungen der Verfasser geht. Zunächst wollen wir uns jedoch dem schon angesprochenen Schichtenmodell widmen.
Das Technologie- Schichtmodell
In diesem unterscheiden die Autoren nicht weniger als acht verschiedene Schichten. Die Ebenen der digitalen Souveränität heißen bei ihnen:
- 1. Europäisches Rechts- und Wertesystem,
- 2. Softwaretechnologien,
- 3. Europäische Datenräume,
- 4. Platform-as-a-Service (PaaS),
- 5. Infrastructure-as-a-Service (IaaS),
- 6. Kommunikationsinfrastruktur,
- 7. Komponenten und schließlich
- 8. Rohmaterialen und Vorprodukte.
Ein solcher Ansatz erlaubt natürlich auch sehr viel detailliertere Aussagen als einfachere Modelle. So kommen die Autoren für den Bereich Rohstoffe und Vorprodukte sehr schnell zu dem Schluss, dass Souveränität im Sinne von Unabhängigkeit hier weder für Deutschland noch für die Europäische Union möglich ist. Dazu heißt es lapidar: „Die europäische Wirtschaft wird dauerhaft von Rohstoffimporten abhängig bleiben. Kritische Abhängigkeiten lassen sich nur durch kontinuierliches Monitoring, vorausschauendes Handeln und die Entwicklung von Alternativen vermeiden. Bei Hightech-Rohstoffen wäre darüber hinaus die Schaffung gegenseitiger Abhängigkeiten denkbar.“
Auch den Bereich der Komponenten sehen die Autoren durchaus kritisch. Zu den High-End-Chips merken sie an: „Die etablierte technologische Abhängigkeit bei High-End-Mikrochips auf Basis von Fertigungsverfahren mit einer Auflösung von fünf Nanometern und weniger (More Moore) ist nicht mehr ohne Weiteres zu lösen.“
Lediglich TSMC (Taiwan) und Samsung (Südkorea) seien in der Lage, solche High-End-Chips zu produzieren. Bei ihrem Einsatz erlaube jedoch die Überprüfung der Chips und die Verschlüsselung der verarbeiteten Daten eine gewisse Souveränität.
Das abschließende Fazit fällt auch hier deutlich aus. „Während also Investitionen in den Versuch, im reinen More-Moore-Bereich aufzuholen, wenig sinnvoll erscheinen, kann der politisch unterstütze Aufbau von Kapazitäten im Design und in der Fertigung spezialisierter Chips (More Than Moore) und neuartiger Chips auf Basis innovativer Materialien, Architekturen, dreidimensionaler Strukturen oder Fertigungstechnologien (Beyond Moore) lohnen.“
Lehrreich ist auch ein Blick auf die Analyse der Kommunikationsinfrastruktur. Sie erinnern sich noch an die teils erbittert geführten Debatten, ob chinesische Unternehmen wie Huawei zum Aufbau von Mobilfunknetzen herangezogen werden sollen?
Dazu heißt es im Positionspapier: „Aktuell beherrscht Huawei den Weltmarkt. Alternative Ausrüster aus Europa sind Ericsson und Nokia, jedoch verwendet jedes dieser drei Unternehmen proprietäre Standards. Dies führt zu unerwünschten Lock-in-Effekten, hemmt die Innovationskraft und reduziert die Flexibilität bei der Umstellung auf aktuelle und zukünftige Mobilfunkstandards (5G, 6G).“
Als Lösungsansatz wird stattdessen ein O-RAN-Ansatz empfohlen, wobei das Kürzel für Open Radio Access Network steht: „Potenziell negativen Konsequenzen für die technologische Souveränität aufgrund von Lock-in-Effekten infolge der Konzentration auf wenige Hersteller wird mit dem Ansatz O-RAN über eine standardisierte und offene Netzwerkarchitektur für das Mobilfunk-Zugangsnetz begegnet.“
(ID:47357019)