Gaia-X: eine europäische Erfolgsgeschichte? Der Traum vom Datenraum

Von Sylvia Lösel

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Neue Datenräume, neue Geschäftschancen. Hinter dieser scheinbar einfachen Formel verbirgt sich ein höchst komplexes Unterfangen. Denn es müssen die Konditionen geklärt sein, unter denen Daten Dritten zur Verfügung gestellt werden. Und genau das will, stark verkürzt, Gaia-X leisten. Den aktuellen Stand der Entwicklung hat unsere Kollegenin von IT-Business einmal zusammengefasst.

Der Datenaustausch zwischen einzelnen, souveränen Quellen mit dem Ziel, neue Geschäftsfelder zu erschließen und zu entwickeln – und das mit einem europäischen Werte- und Sicherheitssystem – ist das Ziel von Gaia-X.
Der Datenaustausch zwischen einzelnen, souveränen Quellen mit dem Ziel, neue Geschäftsfelder zu erschließen und zu entwickeln – und das mit einem europäischen Werte- und Sicherheitssystem – ist das Ziel von Gaia-X.
(Bild: Alex - stock.adobe.com)

Gaia-X ist kein Server, der irgendwo in Brüssel steht und mit dem Europa den Hyperscalern Konkurrenz machen will. Auch wenn sich diese Interpretation des Vorhabens, das noch die alte Bundesregierung an den Start gebracht hat, hartnäckig hält. Es geht um weit mehr und um weit komplexere Strukturen.

Gerade die Entwicklungen der vergangenen Monate haben den Europäern nochmals deutlich vor Augen geführt, wie Abhängigkeiten als Druckmittel genutzt werden können und Lieferketten sowie ganze Wirtschaftszweige in eine Krise geraten. Die Gasabhängigkeit von Russland, die Halbleiterfertigung in Asien sind beides Beispiele, wozu dies führen kann. Diverse Lieferanten und Produzenten erhöhen die Stabilität und bieten Alternativen. Nichts anderes gilt auch im digitalen Raum und vor allem auch in der Cloud. Wenn immer mehr Unternehmen Daten in der Cloud ablegen, austauschen und bearbeiten, muss man sich Gedanken darüber machen, ob diese Strukturen auch in einem Krisenfall stabil sind.

Wenn wir in Europa unseren Kunden Datenökosysteme zur Verfügung stellen wollen, möchten wir diese nach unserem Werteverständnis den Kunden anbieten.

Rainer Sträter, Senior Vice President Cloud Services and Global Platform Hosting bei Ionos

„Gaia-X entstand aus der Fragestellung, wie datensouverän Europa geopolitisch agieren kann. Neben Deutschland, haben auch andere europäische Länder Forschungsprojekte an den Start gebracht, um dies künftig zu ermöglichen“, erläutert Steven Handgrätinger, Bereichsvorstand Public Sector bei Bechtle. Der Dienstleister ist beim Gaia-X-Forschungsprojekt Possible an Bord und hat daneben gerade erst mit dem Projekt Kolibri, unabhängig von Gaia-X, einen ersten Datenraum-Prototypen für den Bildungssektor an den Start gebracht. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass sich die Definition von Gaia-X auch in der gerade eben erst vorgestellten Digitalstrategie der Bundesregierung wiederfindet. „Mit Gaia-X entsteht ein sektorübergreifend nutzbares, europäisches, offenes, innovatives Ökosystem für datengetriebene Geschäftsmodelle und Produkte. Dieses basiert auf einer Dateninfrastruktur, die Cloud- und Edge-Angebote über Open Source-Anwendungen und interoperable Standards verbindet und auch in die Wissenschaft hinein vernetzt. Diese Entwicklung unterstützen wir, weil sie digitale Souveränität durch Transparenz und Selbstbestimmtheit für die Nutzerinnen und Nutzer gewährleistet.“

Digitale Souveränität ohne nationale Grenzen

In eine ähnliche Kerbe schlägt Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der deutschen Industrie auf der GXFSConnect22 des Eco Verbandes: „Ziel muss es sein, die digitale Souveränität zu stärken, ohne Protektionismus und Autarkie Vorschub zu leisten. Dafür ist eine enge Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren unabdingbar.“ Wichtig sei aber auch, digitale Souveränität nicht in nationalen Grenzen zu denken, sondern einen europäischen und international ausgerichteten Ansatz zu verfolgen.

Dadurch, dass man über diese Projekte redet, kommen auch Industrieunternehmen auf uns zu und informieren sich.

Steven Handgrätinger, Bereichsvorstand Public Sector bei Bechtle

In den vergangenen Jahren wurden nun die Grundlagen geschaffen, um darauf aufbauend, konkrete Projekte umzusetzen. Wichtig sei, betont Plöger, „dass Gaia-X jetzt schnell in die Umsetzung kommt. Den Federation Services kommt die Aufgabe zu, zentrale Services und Funktionalitäten, wie das Identitätsmanagement, umzusetzen.“ Für viele sei die Umsetzungsgeschwindigkeit aber noch nicht hoch genug, so die BDI-Vertreterin. Wichtig sei nun, zügig in die breite Anwendung zu kommen. Davon würden sowohl der Mittelstand profitieren als auch die öffentliche Verwaltung.

„Datenschutz haben Amerikaner, Russen und Chinesen auch“, stellt Rainer Sträter von Ionos klar. „Aber wir hier in Europa haben eine andere Interpretation, ein anderes Verständnis dieser Werte. Wenn wir in Europa unseren Kunden Datenökosysteme zur Verfügung stellen wollen, möchten wir diese nach unserem Werteverständnis den Kunden anbieten. Das ist die Grundidee.“ Um das zu können, braucht man aber zunächst einen Konsens und eine Art „Container“ in dem man so etwas entwickeln und umsetzen kann. Zunächst wurden dafür die so genannten Gaia-X Federation Services (GXFS) entwickelt. Das Projektmanagement dafür liegt beim Eco Verband, wie Andreas Weiss, Leiter digitale Geschäftsmodelle beschreibt: „Wir koordinieren die Ausarbeitung von Servicespezifikationen und haben fünf Kernservices erarbeitet.“ Dazu gehört das Identitäts- und Vertrauensmanagement genauso wie ein Katalog aller verfügbarer Services, Compliance-Regeln und ein Datenaustausch-Konzept. „Hier geht es vor allem darum, die weitere Entwicklung zu unterstützen und die Interoperabilität aller Gewerke zu gewährleisten“, erläutert Weiss.

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Fruchtbare Zusammenarbeit ohne kartellrechtliche Bedenken

Auf dieser Basis wird dann in einzelnen Projekten weitergearbeitet. Hier sind inzwischen zahlreiche Unternehmen vertreten, so auch Ionos und Bechtle. „Keines der Industrieunternehmen, das im Konsortium dabei ist, macht das wegen der Förderung, räume ich gleich mal mit einem Vorurteil auf“, schmunzelt Sträter. „Damit kann man die Schmerzen gar nicht kompensieren, die man mit so einem Projekt hat.“ Die Intention ist eine andere. „Hier können wir in Konsortien arbeiten, die sich sonst so nicht finden würden. Wir können Herausforderungen gemeinsam mit Mitbewerbern lösen, die wir allein wirtschaftlich nicht stemmen könnten. Und das, ohne dass das kartellrechtlich bedenklich wäre. Denn alles ist ja öffentlich und jeder kann Mitglied werden.“ Aktuell sind dies 350 Unternehmen, auch die Hyperscaler sind an Bord. Ein Kritikpunkt, der immer wieder genannt wird, den Sträter aber deutlich relativiert. Denn mit dabei sein dürfen alle, abstimmen nur Unternehmen, deren Muttergesellschaft den Sitz in Europa hat. Auch wenn die Hyperscaler damit bei der Abstimmung über Regeln und Standards außen vor sind, betont Sträter „Wir sind da mit einem soliden Wertesystem unterwegs und das heißt auch Inklusion. Wir sind als Land stark im Export unterwegs über Europa hinaus. Da ist es doch viel cleverer, wenn wir ein Wertesystem liefern, das die Hyperscaler adaptieren können. Wir wollen keinen wirtschaftlichen Protektionismus, sondern wir wollen unseren Kunden die Möglichkeit geben, nach unseren Werten zu leben, Daten zu verarbeiten und hosten.“ Und vor allem: eine Cloud-Alternative bieten, die es bislang in dieser Form eben nicht gab. „Wenn wir es schaffen, Interoperabilität und Portabilität zu schaffen, das sind ja die Kernziele von Gaia-X, dann reißen wir das Vendor Lock-in ein und spielen den Vorteil föderierter Ökosysteme aus“, begeistert sich Sträter. Es bleibt abzuwarten, ob das klappt und sich Amazon, AWS, Google und Co. auf dieses Spiel einlassen.

Blaupausen für weitere Datenräume schaffen

Und auch wenn die Kritik an Gaia-X von Anfang an war, dass die Umsetzung dieses europäischen Datenraumes lange dauern könnte, nimmt das Ganze langsam Formen an. Mit den GXFS stehen die Grundlagen fest, Projekte laufen und inzwischen gibt es auch schon funktionierende Datenräume wie den Marispace-X und mit Catena-X. Ein wichtiges Projekt für den Automobil-Sektor, das aber das Potenzial habe, auch für andere Branchen adaptiert werden zu können, wie Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auf der GXFSConnect 2022 des Eco Verbandes sagte.

Das Engagement für Possible mit seinen Elementen Bildung, Verwaltung und KMU ist das eine. Natürlich muss sich das irgendwann auch einmal auszahlen. Aber da steht für Handgrätinger fest: „Dadurch, dass man über diese Projekte redet, kommen auch Industrieunternehmen auf uns zu und informieren sich.“ Hier lauert also großes Geschäftspotenzial. Auch deshalb „werden wir alles daransetzen, dass wir ein attraktives Produkt entwickeln. Zwar in erster Linie für die beiden so genannten ‚Domänen‘ Bildung und Verwaltung. Aber eben auch mit Potenzial für die Industrie, genauer KMUs. Das demonstrieren wir mit einem Use Case für KMU innerhalb des Förderprojektes.“

Bei diesen Projekten wird auch deutlich, es ist ein Markt, dessen Schmerz nicht die Cloud-Infrastruktur ist, sondern der Datenaustausch mit mehreren Akteuren. Sträter: „Heute tauschen wir Daten meist bilateral aus. Verträge werden einzeln ausgehandelt. Das macht die Sache wirtschaftlich unattraktiv“. Das andere Extrem wäre, alle Daten in einen Pool zu werfen auf den jeder zugreifen darf. Aber das macht keiner. Denn wenn Daten das neue Gold sind, warum sollten Unternehmen diese kostenfrei zur Verfügung stellen? „Das wird nicht passieren“, ist sich Sträter sicher. „Das Konzept des Data Lake ist tot. Wir reden heute über Data Meshes oder Data Spaces. Das sind verteilte Datenquellen, die Eigentum der jeweiligen Unternehmen bleiben. Dann regle ich nur noch wer, wann, wie lange auf welche meine Daten zugreifen darf und kann diese entsprechend monetarisieren.“

Systemhäuser als Ideengeber

Wichtig dabei ist Vertrauen und deshalb ist das Identitätsmanagement ein wichtiger Teil von Gaia-X. Da habe man schon wichtige Meilensteine gelegt, meint Sträter. Für Ionos bedeutet dies nicht nur die Infrastruktur für die Kunden bereitzustellen, sondern auch die Basistechnologien für diese Datenräume zu schaffen. Es gehe im weiteren Zeithorizont nicht um einzelne Projekte, sondern darum, Ökosysteme zu schaffen und neue Business Cases zu entwickeln. Und dafür prädestiniert sind die Systemhäuser. „Denn diese haben bereits Zugang zu den Kunden und deren Daten und verhandeln solche Dinge heute schon bilateral. Nun kommt eine neue Dimension hinzu. Das ist keine triviale Aufgabe“, weiß Sträter, aber so könnten Systemhäuser das Bindeglied werden, wenn es darum geht, neue Datenräume zu etablieren und zu monetarisieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf IT-Business.

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