NKR-Jahresbericht 2023 Bürokratie am Limit: Handlungsbedarf für die Zukunft
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Deutschlands Bürokratie erreicht ein beunruhigendes Limit – mit einem Rekord-Erfüllungsaufwand von 9,3 Mrd. Euro jährlich und 23,7 Mrd. Euro einmalig. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) mahnt zum sofortigen Handlungsbedarf, fordert eine wirkungsvollere Bürokratiebremse und einen entschlossenen Schritt in die digitale Zukunft, um Wohlstand und politische Stabilität zu sichern.

Der aktuelle Erfüllungsaufwand für Unternehmen, Behörden und Bürgerinnen und Bürger erreicht zur Regierungshalbzeit ein alarmierendes Niveau, das dringend eine Trendumkehr erfordert. Mit einem Anstieg von 9,3 Mrd. Euro jährlich und 23,7 Mrd. Euro einmalig belastet die Bürokratie die Gesellschaft erheblich.
„Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem der Erfüllungsaufwand eine nie dagewesene Höhe erreicht hat. Größter Kostentreiber im Berichtszeitraum ist das Gebäudeenergiegesetz, mit dem allerdings auch ein großer zukünftiger Nutzen verbunden wird“, so Lutz Goebel, Vorsitzender des NKR. Die steigenden Zahlen zeigten den wachsenden Anspruch der Politik, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse regulatorisch zu verändern. Gleichzeitig verdeutlichten sie, was viele Unternehmen, aber auch die Behörden selbst, täglich erleben: Immer mehr Regelungen müssen in immer kürzerer Zeit beachtet und umgesetzt werden. „Der mögliche Nutzen fällt da weniger ins Gewicht. Was aus Sicht der Betroffenen zählt, ist der Aufwand, der unmittelbar entsteht. Viele sehen eine Belastungsgrenze überschritten.“
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) fordert in seinem aktuellen Jahresbericht daher eine effektivere Ausgestaltung der Belastungsbremse „One in one out“, „ indem auch der Erfüllungsaufwand für Verwaltungen sowie Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt, einmalige Umstellungsaufwände integriert und EU-Recht einbezogen werden“. Die Bundesregierung müsse zudem ihre Versprechen aus dem Deutschlandpakt und dem Deutschlandtempo mit messbaren Taten untermauern, um einen spürbaren Bürokratieabbau zu erreichen.
„Wir brauchen klarere Regeln, einfachere Strukturen und digitale Verfahren“
„Im Gegensatz zum breiter definierten Erfüllungsaufwand bleiben die auf administrative Aufwände fokussierten Bürokratiekosten weitgehend stabil und verharren unter dem Ausgangswert 2011. Das ist ein kleiner Erfolg, der durch das Wachstumschancen- und das Bürokratieentlastungsgesetz noch ausgebaut werden wird. Angesichts von Bürokratiebelastungen allein der Wirtschaft von rund 65 Mrd. Euro pro Jahr brauchen wir aber einen systematischeren Ansatz, um einen anhaltenden Entlastungstrend einzuleiten“, heißt es in dem Bericht weiter. Der NKR schlägt daher die Einführung einer „One in two out“-Regel vor, die nicht nur Unternehmen, sondern auch Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger betrifft. Die Bundesregierung sollte zudem ein nachprüfbares Abbauziel von mindestens 25 Prozent für den Bürokratiekostenindex vorgeben.
„Die Politik hat erkannt, dass es höchste Zeit ist, gegenzusteuern. Das geplante Bürokratieentlastungsgesetz und weitere Einzelmaßnahmen der Regierung werden einen Entlastungsbeitrag in Milliardenhöhe leisten. Der Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung hat erhebliches Potential, muss aber erst noch mit Leben gefüllt werden. Und auch die Initiativen von Justiz- und Wirtschaftsminister, den Bürokratieabbau auf europäischer Ebene zu forcieren, kann Verbesserungen auslösen, wenn eine intensive Begleitung durch die Bundesregierung erfolgt“, fasst Goebel zusammen. Was auf Regierungsseite derzeit in Ansätzen erkennbar ist, müsse in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode jedoch vertieft und in eine nachvollziehbare Strategie eingebettet werden, die über die Einzelmaßnahmen hinausgeht. „Wir brauchen weniger belastende und klarere Regeln, einfachere Strukturen und digitale Verfahren.“
Digitale Transformation als Lösung
Hier kommt das Onlinezugangsgesetz ins Spiel. „Größter Hebel, um Bürokratiekosten zu senken, ist die Digitalisierung der Informationsflüsse für Antrags-, Melde- und Genehmigungsverfahren und die Wiederverwendung von Daten“, so der NKR. Die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher, und die aktuellen Gesetzesvorhaben sind nicht ausreichend, um die dringend benötigte Beschleunigung zu erreichen. Der NKR mahnt an, dass Vision, Ambition und politischer Wille fehlen, um die Digitalisierung entscheidend voranzutreiben. „ Gleiches gilt für die überfällige Modernisierung der öffentlichen Register. Dabei ist längst klar, was zu tun wäre: Zentrale Basisinfrastrukturen und Plattformen, verbindliche Architekturvorgaben und Standards, schnellere Entscheidungsverfahren und leichtere IT-Beschaffung sowie ein öffentliches Umsetzungs-Monitoring und eine schlagkräftige föderale Steuerungsorganisation“, heißt es in dem Jahresbericht.
Automatisierung gegen den Personalnotstand
Die drohende Personalnot in Staat und Verwaltung erfordert eine umfassende Modernisierung. Ohne einen Modernisierungsschub besteht die Gefahr, dass Pflichtaufgaben vernachlässigt und Transformationsaufgaben nicht angegangen werden. Der NKR betont die Dringlichkeit von Entbürokratisierung, Digitalisierung und Automatisierung für die Sicherung von Wohlstand und politischer Stabilität. „Um die Zukunftsfestigkeit unseres Gemeinwesens zu erhalten, braucht es nicht nur die Automatisierungswende, sondern eine größer angelegte Debatte über strukturelle Veränderungen“, heißt es weiter. „Der im Koalitionsvertrag angedachte Föderalismusdialog muss ernsthaft geführt werden und in eine mutige Verwaltungsreform zur klügeren Aufgabenverteilung im Föderalstaat münde.“
Praxis- und digitaltaugliche Gesetze
Dabei kommt auch dem Digitalcheck eine bedeutende Rolle zu. Seit April 2023 ist dieser für alle Ressorts verpflichtend. Die Zahl der durchgeführten Digitalchecks stieg auch stetig an: Wurden im ersten 1. Quartal noch 48 Prozent der Gesetze diesem unterzogen, waren es im 2. Quartal etwa 68 Prozent – Tendenz weiter steigend. Insgesamt wurden in den ersten drei Quartalen rund 160 Digitalchecks durchgeführt – 60 Prozent der Vorhaben wiesen einen Digitalbezug auf.
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Digitaltaugliche Gesetzgebung
Ein Jahr Digitalcheck
Damit der Digitalcheck seine Wirkung entfalten kann, sei es jedoch notwendig, dass die federführenden Ressorts die Prüffragen zu Beginn des gesetzgeberischen Designprozesses beantwortet, d.h. noch bevor der erste Paragraf geschrieben ist. „Und wenn es die Wirkmechanismen, Vollzugsprozesse und Entscheidungsbäume visualisiert; nicht zuletzt, um leichter mit Betroffenen und Vollzugsexperten ins Gespräch zu kommen.“ Immerhin: Im 3. Quartal wurden bereits für fast 30 Prozent aller Vorhaben mit Digitalbezug Prozessvisualisierungen vorgelegt.
Durch die langfristige Weiterentwicklung des Digitalchecks erwartet der NKR jedoch, dass die Quote der zu beanstandenden Digitalchecks steigen wird.
Zeit für gute Gesetze einräumen
Gute Gesetze brauchen jedoch auch Zeit, wie der NKR feststellt. Diese wird jedoch von der Politik nicht mehr gewährt. „Dabei würde mehr Qualität in der Gesetzgebung aufwändige Korrekturen und Verzögerungen im Vollzug ersparen.“ Nur noch 25 Prozent der Gesetzgebungsvorhaben halten aktuell schließlich die notwendigen Fristen ein. „Wer als Getriebener politischer Themenkonjunkturen durch das Gesetzgebungsverfahren hetzt, dem scheint es mehr um die Außendarstellung seiner Handlungsfähigkeit zu gehen, als um den Anspruch, Gesetze maximal wirksam, minimal aufwändig und in hoher ‚handwerklicher’ Qualität abzuliefern“, folgert der NKR darau und appelliert an die Bundesregierung, mehr Zeit für die fachliche Ausarbeitung und qualitätssichernde Überprüfung von Gesetzentwürfen einzuräumen und eine verbindliche Beteiligung von Verbänden und Betroffenen sicherzustellen.
Den gesamten Jahresbericht können Sie hier einsehen:
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