Nutzerorientierung in der OZG-Umsetzung Blaupause mit Lücke
„In Deutschland kommt eGovernment weiterhin nur schwer in die Gänge“. So oder so ähnlich beginnen in der Regel die Beiträge zur Lage der Online-Verwaltung im Land. Wir werden in diesem Artikel die guten Ansätze in den aktuellen Digitalisierungsbemühungen hervorheben und zeigen, wie die gewünschte Nutzerorientierung in der Entwicklung digitaler Verwaltungsleistungen konsequent zu Ende gedacht werden kann.
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Der Erfolg des Digitalisierungsprogramms wird daran gemessen werden, wie hoch Akzeptanz und Nutzung bei Bürgern und Unternehmen sein werden. Doch haben wir mit dem Digitalisierungsprogramm wirklich eine Blaupause vorliegen, an der sich die Bedarfsträger orientieren können? Wir glauben, dass es hier noch eine Lücke gibt, denn das Digitalisierungsprogramm gibt zwar die methodisch korrekte Grundlage für die Leistungscluster vor, bietet jedoch keine Orientierung, wie diese priorisiert und nutzerorientiert umgesetzt werden können.
Wir wollen hier ein strategisches Instrument zur Steuerung der OZG-Umsetzung vorstellen und damit ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem digitale Innovationen nachhaltig und konsequent aus der Nutzerperspektive erschaffen werden können: das Customer-Journey-Framework.
Ein Steuerungs- und Lerninstrument
Die Grundlage für das Customer-Journey-Framework bildet der ganzheitliche Service-Design-Ansatz, der es ermöglicht, Innovationen nachhaltig und am Menschen ausgerichtet zu entwickeln. In Bezug auf die Digitalisierung bedeutet das: Diese ist viel mehr als nur ein Wechsel von Kanälen (Channel Switch), sondern die große Chance, Dienstleistungen von Grund auf nutzerzentriert zu gestalten. Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn wenn es grundlegende Fehler in einer Dienstleistung gibt, dann wird auch ein reiner Kanalwechsel diese Probleme nicht lösen. Viele Dienstleistungen der Öffentlichen Verwaltung sind schlicht und ergreifend nicht für das digitale Zeitalter gestaltet.
Digitale Verwaltungsdienstleistungen hingegen, die richtig gestaltet sind, verbessern das Leben der Menschen nachhaltig. Um einen wirklichen Mehrwert zu schaffen, müssen Services von Anfang an aus der Perspektive der Nutzer (Outside-In) und von allen relevanten Akteuren der öffentlichen Institutionen gemeinsam gestaltet werden.
Somit kommt dem Service-Design eine zentrale Bedeutung zu: Ziel ist es, skalierbare Lösungen zu entwickeln, die aus Nutzersicht, also aus der Perspektive von Bürgern, Unternehmen und Verwaltungsmitarbeitern, attraktiv sind, deren Risiken mittels agiler Entwicklung aber minimiert werden und die die Verwaltungsprozesse effektiv und effizient digitalisieren. Der Service-Design-Ansatz verknüpft verschiedene agile Ansätze – wie etwa Design Thinking oder Scrum – und schließt an das klassische Projektmanagement an. Die Verflechtung aus Nutzerperspektive und internen Anforderungen mündet so in zukunftsweisende Services.
Das Customer-Journey-Framework besteht aus zwei Bauteilen: dem Customer-Journey-Schema und einem definierten Kriterienkatalog. Das Customer-Journey-Framework liefert eine strukturierte Beschreibung aller Journeys auf Basis der OZG-Themenfelder und somit eine ganzheitliche Beschreibung aller Leistungen von Verwaltungen und deren Bezug zur Lebensrealität der Nutzer. Dabei beginnt das Customer-Journey-Framework zunächst damit, die einzelnen Journeys aus der Binnensicht (Inside-Out) durch Kurzanalysen zu erfassen.
Dafür werden sowohl die Frontstage-Prozesse (Leistungen, Kanäle, Berührungspunkte) der Nutzer als auch die Backstage-Prozesse der Verwaltung (Datenverarbeitung, Entscheidungsregeln, IT-Verfahren, Schnittstellen, beteiligte Behörden) beleuchtet. Diese noch einfache Beschreibung kann nun im ersten Schritt für die Priorisierung und Auswahl relevanter Lebens- und Geschäftslagen entlang gewichteter Kriterien genutzt werden.
Das Customer-Journey-Framework liefert somit die strukturelle Grundlage für eine systematische initiale Einschätzung, Bewertung und Priorisierung der potenziellen Digitalisierungsmaßnahmen. Am Anfang braucht es freilich Zeit für die Inside-Out-Betrachtung der Themenfelder, Geschäfts- und Lebenslagen. Die Journeys werden dann in eine Umsetzungsroadmap überführt.
Wesentliche Kriterien für die Evaluation der Journeys müssen messbar und prozessbezogen operationalisiert werden durch: Schnittstellen, Prozesskosten, Fallzahlen und Bearbeitungsdauer. Diese quantitativen Faktoren werden um qualitative Beurteilungskriterien, wie politische und juristische Rahmenbedingungen oder das Digitalisierungspotenzial, ergänzt.
Diese strategische Roadmap, die stetig aktualisiert wird, ermöglicht später intelligente Entscheidungen und einen effizienten Ressourceneinsatz im Umsetzungsprozess.
Die ersten Customer-Journeys werden im zweiten Schritt präzisiert: Zunächst durch die Anforderungen der Kunden und Mitarbeiter und dann durch die entwickelten Teillösungen oder Produktinkremente. Ziel ist es, ein Archiv von standardisierten und wiederverwendbaren Komponenten zu erstellen, die für verschiedene Dienstleistungen und Verwaltungsprozesse genutzt werden.
Darüber hinaus stellen die im Framework festgehaltenen Customer-Journeys die Grundlage für ein umfassendes Monitoringsystem für die agile, kontinuierliche Weiterentwicklung der Dienstleistungen dar. Diese Herangehensweise steht im direkten Gegensatz zu bisherigen Vorgehensmodellen, die in der Logik „Bau-Lieferung-Übergabe-Abschluss“ keine weitere Entwicklung der Dienstleistungen nach der Übergabe in den Betrieb vorsehen.
Vision und Mehrwerte
Auf der strategischen Ebene ist das Customer-Journey-Framework ein Steuerungsinstrument zur richtigen Auswahl und Priorisierung der OZG-Vorhaben und deren Überführung in eine Roadmap. Es kann von allen öffentlichen Akteuren genutzt werden und bietet – aufbauend auf den jeweiligen Aktionsfeldern – Orientierung bei der OZG-Umsetzung. Auf der operativen Ebene ist es ein ganzheitliches Werkzeug, um in Digitalisierungsprojekten konsequent die Nutzerorientierung zu verankern und ein agiler Ansatz zur ko-kreativen Entwicklung von Produkten und Services.
Was anfänglich vielleicht komplex anmutet, ist auch wirtschaftlich absolut sinnvoll. Denn durch den unmittelbaren Einbezug der Nutzer (intern und extern) und deren Mitwirken in der Konzeption und Tests der Produkte wird das Risiko von Fehlentwicklungen vermieden. Lösungen können so effektiver designt werden und früher an den Start gehen. Entwicklungsprozesse werden so deutlich wirtschaftlicher. Das stetige Lernen in den Projekten führt zudem zu einer Weiterentwicklung der Reifegrade von Services und Produkten und kann wieder in das Customer-Journey-Framework eingebracht werden.
Somit können Lernwerte und Erfahrungen aggregiert werden, um die Customer-Journeys in Beziehung zueinander zu setzen und Überschneidungen und Parallelen aufzudecken. Die identifizierbaren Synergiepotenziale können die Digitalisierungsvorhaben kontinuierlich anreichern und beschleunigen. Aus dem Framework wird so ein stetig wachsendes und intelligentes Archiv zur Wissensvermittlung und im Grunde somit auch ein Archiv an Dienstleistungskomponenten. Aus den Innovationsprojekten entstehen Erkenntnisse und Lösungen, die nachfolgende Projekte beschleunigen, weil ganze Arbeitsphasen und Arbeitspakete überflüssig oder effizienter werden.
Die Vision ist eine umfassende nutzerzentrierte Gestaltung öffentlicher Dienstleistungen. Um diese wirklich und vollumfänglich effizient und effektiv zu machen, müssen diese in jeder Phase auf Basis der Nutzerbedürfnisse gestaltet werden. Und zwar vom Design der Richtlinien (Policy-Making) bis hin zur Gestaltung der Dienstleistung (Policy-Delivery). Das benötigt allerdings ein Umdenken in sehr viel größeren Dimensionen, als eine rein „digitale“ Transformation. Die Öffentliche Verwaltung steht – will sie den digitalen Wandel wirklich nutzerzentriert gestalten – vor nichts anderem als einem Paradigmenwechsel.
Der Text entstand in Kooperation mit Fujitsu Technology Solutions GmbH und Sopra Steria Consulting.
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