Nationaler IT-Gipfel Netzneutralität mit Augenmaß

Redakteur: Manfred Klein |

Als Gastgeber das 10. Nationalen IT-Gipfels beschreibt der Landes-CIO Staatssekretär Jürgen Lennartz in seinem Gastbeitrag, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinsichtlich der Netz­neutralität zusammenarbeiten müssen.

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In der saarländischen Staatskanzlei werden Fragen zur Netzneuträlität diskutiert
In der saarländischen Staatskanzlei werden Fragen zur Netzneuträlität diskutiert
(Bild: © Henry Czauderna – Fotolia.com)

Der vom 16. bis 17. November 2016 im Saarland stattfindende 10. ­Nationale IT-Gipfel hat sich seit seiner Gründung im Jahre 2006 zu einem zentralen Treffen zwischen Wirtschaft und Politik entwickelt. Die Möglichkeit des stetigen kooperativen und konstruktiven Dialogs ist gerade im Hinblick auf die vielfältigen Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten, welche die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt, in ihrer Bedeutung nicht hoch genug einzuordnen. Das Ziel der Politik dabei muss sein, gemeinsam mit der Wirtschaft Bedingungen zu schaffen, die für die Infrastruktur notwendig sind, sowie den rechtlichen Rahmen zu entwickeln, der für eine gute Entwicklung der digitalen Wirtschaft erforderlich ist.

Ein europäischer Ansatz

Oftmals werden die USA als Vorbild für die Bereitstellung eines idealen Marktes für digitale Innovationen genannt. In Europa erscheint einem die Diskussion um Fragen der Regulierung entsprechender Märkte zuweilen differenzierter. Jedoch wird Europa mit einer allzu skeptischen Haltung gegenüber technischen Innovationen dauerhaft nicht erfolgreich sein, sondern muss selbst den Boden für Entwicklung und Innovation bieten. Hierzu brauchen wir die Vorzüge des europäischen Binnenmarktes und insbesondere die ­Realisierung eines gemeinsamen digitalen europäischen Binnenmarktes. Im Zusammenhang mit der Schaffung eines solchen ist derzeit das Thema der Netzneutralität eines der am emotionalsten geführten und eines mit der größten Symbolik beladene.

Der Kreis der Diskussionsteilnehmer beschränkt sich dabei nicht mehr nur auf bestimmte Fachkreise, sondern hat längst die breite Öffentlichkeit erreicht. Das Verständnis von Netzneutralität und die damit verbundenen Erwartungen sind dabei genauso unterschiedlich und vielfältig wie die am Diskurs Beteiligten.

Meiner Ansicht nach hat sich die Debatte etwas von den eigentlich zu beantwortenden inhaltlichen Fragen wegbewegt. Stattdessen nehme ich stärker ideologisch geprägte Äußerungen wahr:

Während die Einen die Innovationsoffenheit des Internet und die damit verbundenen wirtschaftlichen Wachstumschancen als Kern ausgemacht haben, sehen Andere Netzneutralität als gleichbedeutend mit Verbraucherschutz an. Wiederum Andere setzen Netzneutralität mit Meinungsfreiheit sowie Medienvielfalt gleich und sehen im Falle einer, wie auch immer gearteten unterschiedlichen Behandlung von Daten, grundlegende antidemokratische Tendenzen. Ist der Begriff der Netzneutralität mittlerweile also zu einer inhaltlosen Monstranz, einem konturenlos geratenen Füllbegriff, einer gern herangezogenen Worthülse ohne inhaltliche Schärfe geworden? Man denke nur an vergleichbare Fälle wie „Nachhaltigkeit“, „Bürokratieabbau“ oder „Deregulierung“. Fragt man in der Bevölkerung was damit denn konkret verbunden wird, offenbaren sich die Streuweite und der themenübergreifende Charakter.

Die vielfältigen und höchst unterschiedlichen Interpretationen verdeutlichen, wie schwer es ist, die Begrifflichkeit greifbar zu machen und auf die Kernprobleme der jeweiligen Thematik zu verdichten. Es ist jedoch Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik, aus dem vorhandenen Meinungsspektrum widerstreitende Interessen herauszufiltern, diese deutlich anzusprechen und im Zuge der politischen Willensbildung zu einem verträglichen Ausgleich zu bringen.

Politisches Augenmaß zeichnet sich meiner Meinung nach im Besonderen dadurch aus, in emotional und ideologisch aufgeheizten Debatten die sachlich relevanten Aspekte nicht aus dem Fokus der Überlegungen zu verlieren. Hierzu gehört aber auch, Begriffe wie den der Netzneutralität nicht zum Totschlagargument einer jeden ­Debatte geraten zu lassen. Zudem ist festzuhalten, dass ideologische Motivation nie zu erfolgreicher und verantwortungsvoller Politik geführt hat. Wie kann die Politik also ihrer beschriebenen Aufgabe im Falle der in die Begrifflichkeit der Netzneutralität hineinprojizierten Hoffnungen und Erwartungen gerecht werden? Einerseits darf die wirtschaftliche Stärke Einzelner nicht einen freien Zugang aller zum Internet beschränken, andererseits soll durch maßvolle regulatorische Tätigkeit die Innovations- und Entwicklungsoffenheit des Internets nicht negativ beeinflusst werden. Zudem muss die Verlässlichkeit ­vitaler und sicherheitskritischer Dienste gewährleistet sein. Ich denke hierbei zum Beispiel an die Bereiche der Telemedizin, die automatisierte Verkehrssteuerung und selbststeuernde Autos, bis hin zu vernetzten Produktionsprozessen der Industrie, welche berechenbare Qualitätsstandards benötigen.

Eine mittels Telekommunikationstechnik durchgeführte Operation darf beispielsweise auch zu Stoßzeiten im Netz nicht gestört werden. Deshalb muss die Möglichkeit einer „Blaulicht-Spur“ in der Form bestehen, dass die Daten solch sensibler Dienste im Stau Vorfahrt bekommen.

Die zur Konkretisierung der Telecom-Single-Market-Verordnung ergangenen Leitlinien des Gremiums der Europäischen Regulierungsbehörden für elektronische Kommunikation (engl. BEREC) erlauben solche Spezialdienste unter engen Voraussetzungen. Zur Umsetzung der Brüsseler Regelungen hat der Bund das Gesetzgebungsverfahren zur Anpassung des TKG eingeleitet. Die Länder werden sich in dieses Verfahren aktiv einbringen und gegebenenfalls gesetzgeberische Maßnahmen vornehmen.

Fazit

Solche gesetzgeberische Maßnahmen führen jedoch nur mit passenden infrastrukturellen Maßnahmen zum Ziel. Um für weitere, breitbandintensive Innovationen gewappnet zu sein und nicht in einer Knappheitsdiskussion zu verharren, brauchen wir für einen flächendeckenden Breitbandausbau auf nationaler und europäischer Ebene weitere Anstrengungen, um eine möglichst vielspurige Datenautobahn bereitstellen zu können. Der Nationale IT-Gipfel bildet ein ideales Forum, um die hierfür notwendige Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft fortzuentwickeln.

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