VDE | DGBMT Wegweiser zur Entwicklung und Herstellung medizinischer Software
Medizinische Software findet sich in immer mehr Medizingeräten und -produkten. Auf der Compamed / Medica hat der VDE einen Leitfaden zur Entwicklung und Herstellung medizinischer Software vorgestellt.
Anbieter zum Thema

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet in rasantem Tempo voran. Medizinische Software in Form eines eigenständigen Produktes wie eine Smartphone-App oder als integraler Bestandteil eines Medizinprodukts unterstützen Ärzte in der Diagnostik und Therapie. Das Problem: Schon bei der Produktentwicklung müssen Hersteller unterschiedliche und komplexe Anforderungen für rechtskonforme und damit marktfähige Produkte berücksichtigen. Und erst kürzlich hat der europäische Gesetzgeber die Anforderungen für Medizinprodukte drastisch verschärft. Um Start-ups und mittelständischen Herstellern von medizinischer Software Orientierung und Hilfestellung zu bieten, haben die Experten der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE (VDE|DGBMT) zur Medica 2017 die Publikation „Entwicklung und Herstellung medizinischer Software“ herausgegeben – und im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt.
Kostengünstige Produkte in hoher Qualität gesetzeskonform entwickeln
Neben Best-Practice-Empfehlungen gibt der Wegweiser einen Ausblick auf künftig verschärfte rechtliche Anforderungen im neuen europäischen Rechtsrahmen. Denn „Medizinproduktehersteller werden unter den neuen Vorschriften sehr leiden“, prognostiziert Dr. Thorsten Prinz, Herausgeber der Publikation und wissenschaftlicher Referent in der DGBMT.
Hintergrund der „Medizinsoftware-Problematik“: Hersteller von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika (IVD) stehen vor der Herausforderung, kostengünstige Produkte in hoher Qualität gesetzeskonform zu entwickeln. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es aber meist an Ressourcen und ausreichender Kenntnis der regulatorischen Rahmenbedingungen. Dr. Boris Handorn, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Simmons & Simmons, verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf die neue EU-Medizinprodukteverordnung, sondern auch auf die Datenschutzgrundverordnung.
Wechselwirkungen zwischen Software und IT-Umgebung einbeziehen
Seiner Ansicht müssen sich „Softwareentwickler klarmachen, in welchem regulatorischen Rahmen sie sich bewegen – auch Firmen wie Microsoft.“ Die Anforderungen an medizinische Software seien jüngst gestiegen – Klasse-I-Software werde es deshalb zukünftig nicht mehr gehen. Die Produktklassen reichten von Klasse II bis aufwärts. Das bedeutet: Für diese Produkt wird es Benannte Stellen brauchen.
Grundsätzlich müssen Hersteller medizinischer Software mögliche Wechselwirkungen zwischen ihrer Software und der IT-Umgebung einbeziehen. Und sich der Frage stellen: Wie werden Safety und Security beim Design im jeweiligen Gerät sichergestellt? Außerdem wird es zukünftig eine „Deckungsvorsorgepflicht für alle Medizinproduktehersteller geben“. Gemeint ist eine Haftpflicht für Medizinprodukte, die als regulatorische Verpflichtung auch von Behörden geprüft werden kann. Für Hersteller medizinischer Software ist dies besonders brisant, wird das Angriffsrisiko von Software doch zunehmend auch zum Haftungsrisiko.
Normen legen ein Mindestmaß an Sicherheit fest
Zu den Autoren des Leitfadens gehört auch Dr. Andreas Rösch von Rösch & Associates Information Engineering. Er hat eine regelkonforme medizinische App auf den Markt gebracht und bringt die Perspektive des Softwareentwicklers ein. „Medizinische Software hat ganz andere Anforderungen an die Qualität als Business-Software“, erklärt er. Der Regulierung steht er positiv gegenüber: „Normen sind nichts anderes als gesunder Menschenverstand“, sagt er. Und: „Wir brauchen eine besser funktionierende Regulierung, um bessere Produkte herzustellen.“
Ähnlich sieht es Sonja Stephan, Certification Engineer bei der CSA Group Europe: „Die Normung legt ein Mindestmaß an Sicherheit fest. Sie repräsentieren auf nationaler wie internationaler Ebene den Stand der Technik“, stellt sie klar. Damit Hersteller medizinischer Software sich im Dschungel von Normen nicht verirren, dafür haben die Autoren den Leitfaden entwickelt.
Denn fehlendes Know-how beginnt häufig bereits mit der zentralen Frage, ob und wann eine Software ein Medizinprodukt ist. Den Hardware-Teil eines Medizinprodukts zu überarbeiten ist in der Regel sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Deshalb werden neue Funktionalitäten für das Produkt oft über die Software realisiert. Allerdings muss jede medizinische Software, ganz gleich ob sie Teil eines Medizinprodukts (embedded) oder ein eigenständiges Produkt (stand-alone) ist, den regulatorischen Anforderungen genügen, um in Verkehr gebracht werden zu können. Hinzu kommen Anforderungen aus dem Urheber- oder Datenschutzrecht sowie dem Haftungsrecht infolgedessen hohe Schadensersatzforderungen oder sogar weltweite Produktrückrufe auf den Hersteller zukommen können. Das vorliegende Buch bietet einen umfassenden Überblick zu allen relevanten Rechtsgebieten, „um diesen Produkten den Weg in den Markt zu erleichtern“, erklärt Prinz.
Darüber hinaus beschreiben die Autoren alle relevanten Normen mit ihren wesentlichen Inhalten und geben Schritt für Schritt Tipps zur Anwendung. Ausgehend von der Produktidee starten die Vorentwicklungsaktivitäten mit der Erstellung des technologischen Konzepts und ersten Überlegungen zur regulatorischen Strategie. Die nachfolgende Entwicklung berücksichtigt möglichst frühzeitig und fortwährend alle gesetzlichen und normativen Anforderungen. Dabei werden die notwendigen regulatorischen Aktivitäten entlang des Entwicklungsprozesses praxisorientiert dargestellt. Denn: „Ziel des Leitfadens ist, Mitarbeitern aus Unternehmensbereichen, die sich nicht schwerpunktmäßig mit den gesetzlichen Anforderungen und den einschlägigen Normeninhalten beschäftigen, einen praxisorientierten Einstieg in diese Thematik zu vermitteln“, so die Autoren.
Der VDE-Leitfaden Entwicklung und Herstellung medizinischer Software ist als E-Book und Print-Ausgabe beim VDE-Verlag erhältlich.
Der VDE auf der Medica 2017: Halle 10 / B09
Dieser Artikel erschien ursprünglich beiDevicemed.
(ID:45005320)