EU-Dienstleistungsrichtlinie Überstürzte technische Umsetzung
Dass die EU-Dienstleistungsrichtlinie kommen würde, war ebenso bekannt, wie der Umstand, dass sie gravierende Auswirkungen auf die eGovernment-Initiativen in Deutschland haben würde. Allerdings wurden die Konsequenzen lange ignoriert. Nachdem die Richtlinie nun in Kraft getreten ist, beherrscht hektische Betriebsamkeit das Bild.
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Ursache für die enge Verflechtung von eGovernment und Dienstleistungsrichtlinie sind der in der Richtlinie vorgesehene Abbau bürokratischer Hürden, die Schaffung einheitlicher Ansprechpartner für die entsprechenden Behördengänge sowie der Umstand, dass alle Dienste, welche die Behörden im Zusammenhang mit der Richtlinie anbieten, auch online zur Verfügung stehen müssen. Auf der dritten eGovernment-Klausur, die Mitte November des vergangenen Jahres in Kiel stattfand, haben sich Vertreter der Bundesregierung und der Länder über die weitere Vorgehensweise ausgetauscht.
Gemeinsame Infrastruktur
Auf der Klausurtagung brachte Dr. Utz Schliesky, Abteilungsleiter im Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein, die Situation so auf den Punkt: „Der europäische Umsetzungsdruck durch die Dienstleistungsrichtlinie sollte auch als Chance für eine umfassende Modernisierung der Verwaltung verstanden werden. Dabei kommt eGovernment eine besondere Bedeutung zu.“ In diesem Zusammenhang sind seiner Meinung nach nicht nur Fragen bezüglich des Anforderungsprofils und der Rechtsnatur des geforderten einheitlichen Ansprechpartners zu klären, sondern insbesondere auch Fragen bezüglich der notwendigen IT-Infrastruktur und sowie der eingesetzten eGovernment-Lösungen.
Anforderungen an die IT
Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang vor allem die Anforderungen an die zu schaffenden IuK-Systeme. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem Fragen hinsichtlich der technischen Auslegung des zur Abwicklung der Dienstleistungsrichtlinie notwendigen Portals sowie des damit verbundenen Workflows.
So führte Georg Schäfer von der Stabsstelle für Verwaltungsreform in Baden-Württemberg aus, dass man zur elektronischen Abwicklung der Dienstleistungsrichtlinie zwei getrennte IT-Systeme benötigen wird. Zum einen Binnenmarktinformationssystem (BIS). Über dieses System sollen die Anfragen von Behörden zu Dienstleistern und die Anfragen an Behörden in den verschiedenen Mitgliedsstaaten zu den Dienstleistern abgewickelt werden.
Ein Informationssystem für den Binnenmarkt
Hinzu kommen die IuK-Verfahren in den verschiedenen Mitgliedsstaaten zur Verwaltungsvereinfachung und zur Realisierung des einheitlichen Ansprechpartners. Für notwendig hält Schäfer ein Binnenmarktinformationssystem, um die erforderliche Zusammenarbeit der Verwaltungen in den Mitgliedsstaaten zur Anwendung der Binnenmarktregeln koordinieren zu können. Weitere Anforderungen an dieses System sind die Bereitstellung rechtssicherer Informationen zur Dienstleistungsrichtlinie, die elektronische Verfahrensabwicklung nach Artikel 8 der EU-Dienstleistungsrichtlinie, die Integration von ePayment-Verfahren, die Integration einer automatischen Zeitüberwachung der Prozesse und die Integration eines zeitüberwachten Workflows mit sequenziellen und parallelen Teilprozessen zur Sicherstellung der verfahrensrechtlichen Anforderungen.
Die von Schäfer skizzierte Architektur eines Dienstleistungsportals zur EU-Dienstleistungsrichtlinie machte zudem deutlich, dass ein solches Portal nur funktionieren kann, wenn es nicht nur über Schnittstellen in die entsprechende Landesverwaltung hin verfügt, sondern auch mit den eGovernment-Anwendungen auf Bundes- und Kommunalebene harmonisiert.
Aus den hier skizzierten Anforderungen wiederum ergeben sich umfangreiche Auswirkungen für die notwendigen organisatorischen Maßnahmen. So muss in den kommenden Monaten nicht nur geklärt werden, wer für die Technik zuständig ist. Ebenso müssen sich alle Beteiligten auf gemeinsame Standards einigen und den Einsatz des Binneninformationssystems und der beteiligten nationalen eGovernment-Anwendungen koordinieren.
Kooperatives eGovernment
Dr. Michael Tschichholz vom Fraunhofer eGovernment-Zentrum FOKUS wies im Hinblick auf die eben skizzierte Situation in seinem Beitrag darauf hin, dass die EU-Dienstleistungsrichtlinie die Notwendigkeit neuer Kooperationsformen zwischen den Verwaltungen und des Aufbaus Service-orientierter eGovernment-Infrastrukturen unterstreiche. Denn die für die Dienstleistungsrichtlinie notwendigen Infrastrukturen seien nicht nur Voraussetzung für ein One-Stop-eGovernment, sondern auch für ein überregionales Callcenter beziehungsweise Bürgertelefon nach New Yorker Vorbild und andere überregionale Dienstleistungen.
Schlussfolgerungen
Die beschriebenen Dienstleistungen werden – ebenso wie die Richtlinie selbst – in den kommenden Jahren deutliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesländer und Kommunen haben. Umso wichtiger ist daher eine zügige und erfolgreiche Umsetzung. Noch aber sind nicht alle Länder so weit wie Schleswig-Holstein. Das kleine Bundesland hat nämlich schon im Januar des vergangenen Jahres einen Referentenentwurf zur Umsetzung der Richtlinie in Auftrag gegeben. Andere Bundesländer sind leider noch nicht so weit. Das ist umso bedauerlicher, als gerade die Abstimmung zwischen den einzelnen Bundesländern und dem Bund selbst von großer Wichtigkeit für eine erfolgreiche Umsetzung ist.
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