eGovernment Summit 2023 Synergien für effizientes eGovernment
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Beim 16. eGovernment Summit kommen Experten aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft in diesem Jahr auf dem Bonner Petersberg zusammen. An zwei Tagen diskutieren sie dort die aktuelle Themen rund um die digitale Transformation der Verwaltung.

„Das OZG ist kläglich gescheitert“, sagte die Digital-Expertin Joana Cotar Anfang des Jahres. Statt der bis Ende 2022 geplanten 575 digitalen Verwaltungsdienstleistungen könnten deutsche Behörden lediglich wenige Dutzend flächendeckend anbieten. Genau gesagt, waren bis dahin lediglich 33 der geplanten Maßnahmen entsprechend verfügbar.
„Wir müssen lernen, positiver zu denken“, wirft Jörg Karpinski, Sales & Marketing Director Germany, Enterprise Business bei Huawei, ein. „Das OZG 1.0 war zumindest der erste Schritt weg von einer fragmentierten Insellösung in den 11.000 Kommunen, 401 Landkreisen, freien Städten als auch in den Bundesländern.“ Das Grundproblem deutscher Digitalisierung sei nun erkannt und werde angegangen. Auch Marc Reinhardt, Public Sector Global Leader bei Capgemini, hebt die vielen positiven Ergebnisse und Effekte, die während der Umsetzungsfrist erzielt wurden, hervor. „Aus meiner Sicht waren die Erwartungen an das Projekt allerdings zu hoch gesteckt – gerade im Hinblick auf den knappen Umsetzungszeitraum", erklärt er. „Darauf haben viele Experten von Beginn an hingewiesen. Trotzdem wurde schon einiges erreicht.“
Entscheidend sei nun, aus den Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit zu lernen und OZG 2.0 besser aufzusetzen, so Ralf Schneider, Geschäftsführer der Conet ISB GmbH. „Im Änderungsgesetz wurden bereits viele richtige Ansätze berücksichtigt: So soll die Verwaltungsdigitalisierung als Daueraufgabe von Bund und Ländern etabliert werden. Bund und Länder werden verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale elektronisch anzubieten. Eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung soll sicherstellen, dass nicht nur die Antragsstellung, sondern auch die Bearbeitung des Antrags digitalisiert wird." Auch die Überführung der Schriftform in eine elektronische Variante sowie das digitale Bürgerkonto zur Authentifizierung hebt er positiv hervor.
Aber was fehlt noch? „Ich sehe die größte Herausforderung in der Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen und dazu gehört insbesondere die Harmonisierung von IT-Systemen und Standards“, meint Isabel Netzband, Head of Governmental Relations & Public Policy Central Europe bei Fujitsu. „Aber auch die Prozesse müssen hinterfragt und vereinfacht werden und eine echte Transformation erfahren.“
Statt komplizierte bürokratische Prozesse zu entschlacken, heiße Digitalisierung hierzulande immer nur, bestehende Prozesse digital abzubilden, kritisiert auch Schneider. „Auch ist es definitiv nicht immer nötig, alle Besonderheiten und Ausnahmen von Prozessen zu digitalisieren.“ Die Anwendungen würden auf diese Weise unnötig komplex und teuer. Zum Festhalten dieser Spezifika würde häufig ein Textfeld reichen.
Das A&O des Erfolgs des Onlinezugangsgesetzes sei jedoch das Einer-für-Alle- (EfA-)Prinzip. „Wenn es nicht gelingt, einmal erstellte Software-Anwendungen mehrfach zu nutzen, wird eine umfängliche Digitalisierung nie gelingen“, ist Schneider sicher. Aufgrund der durch das föderale System bedingten Unterschiede bezüglich Verwaltungsabläufen, Datenmanagement und Verantwortlichkeiten sei es jedoch schwierig, Anwendungen so anzupassen, dass sie von allen Ländern beziehungsweise Kommunen eingesetzt werden können. Daher brauche es die Bereitschaft, entweder allen von Beginn an die Möglichkeit zu geben, ihre Anforderungen zu formulieren oder die eigenen Prozesse gegebenenfalls an die Software anzupassen.
„Alternativ dazu ist zu überlegen, ob wir den Schwerpunkt des EfA-Prinzips gar nicht auf klassische Verwaltungsleistungen wie Fachanwendungen legen, sondern uns bezüglich EfA – ähnlich wie in Großbritannien oder Estland – auf eine einheitliche gemeinsame Infrastruktur mit gemeinsamen Basisdiensten – wie zum Beispiel eine zentrale Authentifikations-, Payment- oder Kommunikationskomponente, die für alle Behörden verbindlich zu nutzen sind – konzentrieren.“
Auf der nächsten Seite: Zuständigkeiten und Informationsfluss
Klare Zuständigkeiten, ein Muss
Immer wieder in der Kritik stehen die zahllosen Zuständigkeitsbereiche, die den Informationsfluss und die Zusammenarbeit über alle Ebenen hinweg erschweren. Dabei wäre die technische Lösung hierfür so simpel, meint Karpinski. „ADN Technologie (Autonomous Driving Network) und autonome Speicherlandschaften, die mit dem ADN kommunizieren, ähnliche dem Level 4 (L4) fahren bei Fahrzeugen, können im Jahr 2023 problemlos komplexeste Datenströme KI-unterstützt in Echtzeit und bei minimalem Personalaufwand steuern. Die Aufgabe liegt rein in politischen Händen.“
„Alle reden davon, wie man den Informationsfluss und die Entscheidungen der Gremien beschleunigen kann. Die Strukturen als solches in Frage zu stellen scheint tabu zu sein“, gibt Schneider zu bedenken. Föderal heiße allerdings keineswegs, dass jede Kommune oder jedes Bundesland über alles selbst entscheidet. „Der Gesetzgeber müsste Rahmenbedingungen schaffen, die die heutigen handelnden eGovernment-Institutionen mit mehr Kompetenzen ausstattet. Wenn niemand übergreifend IT-Standards oder -Rahmenbedingungen beschließen darf, ist eine übergreifende Verwaltungsdigitalisierung immer auf das Goodwill aller Beteiligten angewiesen; kurzum zum Scheitern verurteilt.“
Für eine effektive und zielbringende Zusammenarbeit könne es auch sein, dass bestimmte Kompetenzen abgegeben werden müssen, erklärt Reinhardt. „Ein Beispiel: Aufgrund ihrer Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern kennen die Kommunen deren Bedürfnisse besonders gut und verfügen deshalb über hohe Expertise im Bereich User Experience.“ Der Bund hingegen sei mehr damit vertraut, große Systeme zu konzipieren, aufzubauen und zu betreiben. Versucht eine Kommune dagegen, eine Lösung für ganz Deutschland zu entwickeln, ist die Herausforderung umso größer. „Die verschiedenen Ebenen sollten ihre Kernkompetenzen besser abstecken, sich entsprechend untereinander koordinieren und voneinander lernen“, schließt er.
IT-Sicherheit neu denken
Eine Neuregelung der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen sei auch in Hinblick auf die IT-Security notwendig, findet Harald Felling, Chief Executive Officer der ]init[ AG. „Dies gilt ebenso für die vertikale Organisation zwischen Polizeien, Verteidigung und Verfassungsschutz. Auch hier muss die Governance dem Handlungsbedarf folgen, um angesichts der immensen Herausforderungen die limitierten Ressourcen auf allen Ebenen mit maximaler Wirkung einsetzen zu können.“
In den ersten zwei Monaten des Jahres habe es allein in der Umgebung Karlsruhe drei Angriffe auf Verwaltungsinfrastrukturen, auf sieben Karlsruher Schulen, die Stadtwerke Karlsruhe und die Stadtverwaltung Rastatt geben, macht Schneider die Dringlichkeit effektiver Security-Maßnahmen deutlich. „Nachrichten über Hackerangriffe gehören fast schon zum Alltag und zwingen allen Verwaltungen präventive Maßnahmen – zur Vermeidung bzw. zur Verminderung des Risikos eines IT-Angriffs – und reaktive Maßnahmen – zur Reaktion auf bereits erfolgte IT-Angriffe – auf.“
„Zuallererst braucht es in jeder Verwaltung eigene IT-Security-Spezialisten, die die eigene IT-Infrastruktur permanent auf IT-Sicherheit hin prüfen und diesbezüglich ständig verbessern“, ist er sicher. Darüber hinaus sind für ihn Informationssicherheitsmanagementsysteme (ISMS), Endpoint Data Protection, die Netzwerksegmentierung und die Optimierung des Backupkonzeptes sowie das Aufsetzen eines Identity und Access Managements ein Muss.
„Sicherheit ist zukünftig keine Alleinaufgabe eines ‚Türstehers’ mehr“, so auch Karpinski. Security bedarf einer IT-Architektur, die als ganzer Organismus in jeder Abteilung auf Angriffe vorbereitet ist, diese abwehren kann oder zumindest deren Schaden begrenzt.“ Als Beispiel nennt er aktuelle Speichertechnologien. „Denkt man an Storage, würde man nicht zwingend sofort an Security denken. Moderner Storage jedoch hilft, wenn Angreifer einmal den Türsteher unbemerkt passieren.“ Der Storage habe dafür eine eigene Intelligenz, die fragwürdiges Verhalten detektieren und im Worst Case umfangreiche Datenmengen wieder zurück schreiben könne. „Verwaltungen müssen sich von klassischem IT-Design trennen und fachbereichsübergeifende Strukturen realisieren“, plädiert Karpinski.
Isabel Netzband wird zudem nicht müde zu betonen, dass eine stärkere Sensibilisierung der Mitarbeitenden nötig ist. „Viele Angriffe zielen einfach auf menschliches Fehlverhalten ab“, stellt sie fest.
Auf der nächsten Seite: Digitalisierung auf EU-Ebene
Die digitale Dekade Europas?
Digitalisierung und die damit verbundenen Hürden sind allerdings nicht allein Sache des Bundes. „Viele Digitalisierungsvorhaben sind so komplex, dass sie nur mit einer gewissen kritischen Masse sinnvoll umgesetzt werden können – das gilt beispielsweise bei Souveränität, Cloud und künstlicher Intelligenz, oder bei der Regulierung von Plattformen“, so Marc Reinhardt. „Deshalb ist es hier besonders wichtig, dass diese Aufgaben auf EU-Ebene angegangen werden und sich die Nationen gemeinsam als europäische Einheit aufstellen.“
Grundlage dafür soll die europäische Digitalstrategie bilden. Diese soll drei Säulen abdecken:
- Technologie im Dienste der Menschen,
- eine faire und wettbewerbsfähige digitale Wirtschaft,
- eine offene, demokratische und nachhaltige Gesellschaft.
Damit diese Ziele realisiert werden können, sei es jedoch zwingend notwendig, europäische harmonisierte Datenlakes und -straßen mit Standort in Europa und im operativen Betrieb europäischer Organisationen und/oder Unternehmen aufzubauen, erklärt Karpinski. „Darüber hinaus müssen Technologien aller Hersteller, gleich welchen Herkunftslandes, definierten Sicherheitsstandards entsprechen und einheitlich zertifiziert werden. „Je mehr operative Eigenständigkeit die EU erreicht, desto größer sind die Chancen einer konfliktfreien internationalen Kooperation.“
Eine vollständige digitale Souveränität sei nicht realistisch, meint Schneider. „Eine völlige Unabhängigkeit würde zu einer vollständigen Abschottung oder zu Protektionismus führen.“ Da es jedoch keinesfalls wünschenswert sei, vollständig von anderen Nationen und ihren Systemen abhängig zu sein, müsse man klar definieren, wo man konsequent souverän sein will und wo dies nur schade. Letzteres gelte etwa bei Schlüsseltechnologien wie Mikroelektronik, 5G, KI, Blockchain und Quantencomputing.
Doch bei der Digitalisierung geht es eben nicht nur um Technologien, sondern auch um den Menschen dahinter. „Der aktuelle Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger, dass im Internet die gleichen Regeln und Gesetze herrschen wie in der analogen Welt, ist nachvollziehbar und sollte statt belächelt ernst genommen werden“, erklärt Schneider. Technisch sei es zwar herausfordernd, anonymisierte Hassmails und Morddrohungen zu identifizieren und kriminaltechnisch nachzugehen, dennoch sei es vonnöten, solche Verbrechen konsequenter zu bekämpfen. „Auch die in IT-Kreisen gerne belächelte Forderung, dass man in den sozialen Medien nur noch mit Identitätsnachweis agieren darf, sollte endlich in Erwägung gezogen werden. Im Internet sollte nur noch jemand schreiben oder kommentieren dürfen, der sich eindeutig zu erkennen gibt.“
Vor allem braucht es in der breiten Gesellschaft aber digitale Kompetenzen. „Ich könnte mir auch eine EU-weite Förderung digitaler Kompetenzen vorstellen, um sicherzustellen, dass alle Bürger und Bürgerinnen auch in Zukunft gut für den Arbeitsmarkt aufgestellt sind und kompetent mit digitalen Lösungen umgehen können“, so Netzband.
Die Expertise der Wirtschaft nutzen
Egal, ob auf EU-Ebene oder innerhalb der hiesigen Verwaltungen, ohne externe Hilfe ist dieses Mammutprojekt kaum zu bewältigen. „Insourcing oder Outsourcing – diese Frage stellt sich im IT-Umfeld schon lange nicht mehr. Sicherlich gibt es auch im IT-Umfeld Kernkompetenzen, die man nicht aus der Hand geben will bzw. bei denen man nicht von anderen Unternehmen abhängig sein will. Aber der Mangel an IT-Fachkräften zwingt nahezu jede öffentliche Einrichtung und jedes Unternehmen, auf Ressourcen von IT-Beratungsunternehmen zurückzugreifen“, fasst Schneider die Situation zusammen.
„Unternehmen tragen Impulse und innovative Ansätze aus der Wirtschaft in die Verwaltung“, betont Felling. Ein Beispiel hierfür sei KI. Digitale Beratungsunternehmen durchdrängen die neuen Möglichkeiten schnell und untersetzten sie mit konkreten Anwendungsszenarien. „Das macht es der Verwaltung einfacher, eigene Chancen zu verstehen und für sich nutzbar zu machen, aber auch Berater und Umsetzer herauszufordern, echte Mehrwerte für die Zielgruppen der Verwaltung zu identifizieren bzw. zu erreichen.“ Ein weiteres Beispiel für den Technologietransfer aus der Wirtschaft sei der sehr erfolgreiche Nutzerfokus in der OZG-Umsetzung.
Auf der nächsten Seite: Fazit und Ausblick
„Ähnlich wie bei den verschiedenen Ebenen der Verwaltung ist es auch hier von großer Bedeutung, ein kompetenzbasiertes Modell zu etablieren. Die Verwaltung muss festlegen, welche Aufgaben der digitalen Transformation sie eigenständig bewältigen muss, und welche durchaus oder sogar besser an Externe ausgelagert werden können“, so Reinhardt. Karpinski warnt jedoch: „Vorsicht gilt beim operativen Outsourcing von Prozessen. Hier sollte die Verwaltung stets ‚Betreiber‘ bleiben.“
Fazit
„Die Herausforderungen der Verwaltungsdigitalisierung erfordern eine enge Zusammenarbeit – vor allem zwischen den Ländern. Sie müssen sich aufeinander zubewegen und voneinander lernen, aber auch bereit sein, loszulassen und Kompetenzen abzugeben, wenn es dem langfristigen Erfolg dient. Dafür müssen sich die verschiedenen Akteure aufeinander einlassen, um gemeinsame Lösungen zu sondieren“, bringt es Reinhardt auf den Punkt. Dafür biete der eGovernment Summit den idealen Raum.
Das sieht auch Felling so: „Der eGovernment Summit ist das richtige Format, um drängende Herausforderungen im offenen, vertraulichen Austausch zu diskutieren – auch kontrovers. Um dann schnellere Schritte in die erfolgreiche Umsetzung gemeinsam anzugehen.“ „Um ein ermutigendes Beispiel zu nennen“, so Reinhardt. „In den letzten Monaten haben mehrere Länder ihre Servicekonten aufgegeben und sind auf das Nutzerkonto des Bundes umgestiegen. Eine Grundlage für diesen wichtigen Fortschritt wurde unter anderem durch die konstruktiven Diskussionen und Zusammenarbeit auf dem Summit gelegt.“
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