Digitalisierung in der Öffentlichen Verwaltung Soziale Kompetenz ist der Schlüssel zum Erfolg
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Die Digitalisierung in der Öffentlichen Verwaltung in Deutschland ist ein Nachzügler. Nun gilt es, zwar spät, aber dafür richtig die Digitalisierung ein- und umzusetzen. Denn längst hat die Wirtschaft die Chancen digitaler Technologien im Sinne ihrer Wertschöpfung genutzt und treibt die Transformation in großer Geschwindigkeit voran. Die Öffentliche Hand sollte daraus lernen und die richtigen Technologien und Prozesse implementieren.

Bei aller Begeisterung für die enormen Möglichkeiten, die Wertschöpfung durch Informationstechnologie zu steigern, geriet der Mensch aus dem Blick. Vernachlässigt wurden die emotionalen, sozialen und motivationalen Kompetenzen von Führungskräften und Mitarbeitern gleichermaßen. Ersetzt wurden sie durch technologische und rationale Kompetenzen. Sie standen im Vordergrund, sie wurden in der Mitarbeiterentwicklung betont, sie waren es, die die Transformation tragen und entwickeln sollten. In der Theorie zumindest. Klar ist auch, es braucht diese Kompetenzen viel mehr, sie sind ein wichtiges Standbein. Doch auf nur einem Bein steht keine Organisation stabil.
Der einseitige Ansatz der Personalentwicklung und im Transformations-Projektmanagement zeigt seine Schwächen nun bei vielen Unternehmen und unzähligen gescheiterten oder unvollständigen Projekten. Die Wechselbereitschaft der Mitarbeiter in Unternehmen ist hoch. Leistungsträger müssen nicht lange suchen, bis sie einen neuen Arbeitgeber finden, der kognitiv-rationale und emotional-soziale Kompetenzen in einem ausgewogenen Verhältnis schätzt und fördert. Dieses Problem wurde erkannt.
Change-Management beginnt beim Mitarbeiter
Die Studie der Firma Mercer mit dem Titel „Global Talent Trends 2023 – DACH Report“ schlägt genau in diese Kerbe. Demnach hat sich die Mehrheit der HR-Verantwortlichen, 60 Prozent, als Priorität für das Jahr 2023 die „Skill-basierte Ausrichtung“ vorgenommen. 50 Prozent werden sich auf die „Umgestaltung von Arbeit und/oder der Organisation“ widmen. Das Problem des vernachlässigten Skill-Developments ist also zumindest auf der Agenda. Dazu kommt, dass ESG (Environment, Social, Governance) ein „integraler Bestandteil von Transformationsinitiativen“ wird, so die Studie. HR-Manager gehen mehrheitlich in die richtige Richtung, wenn unter Skill-Development auch die Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen ist und eben nicht nur der Ausbau von Wissen.
Die digitale Transformation einer Organisation muss Hand in Hand gehen mit der Transformation von Mitarbeitenden im Sinne ihrer individuellen Weiterentwicklung. Adressiert werden müssen Widerstände und Ängste, die Innovationen immer mit sich bringen. Sie können ein Projekt ins Wanken bringen bis hin zum Scheitern. Bewusst machen muss man sich, dass diese Widerstände oftmals entstehen oder verstärkt werden, wenn politische Interessen die Arbeit verkomplizieren. Diese heiklen Arbeitsbedingungen können von Verantwortlichen im Amt selbst als auch von der Politik stammen. Hier muss derselbe Maßstab an Disziplin und Lösungsorientierung sowohl an die Mitarbeiter als auch an die politischen Stellen herangetragen werden. Ein Versagen kann sich die Öffentliche Verwaltung bei der Digitalisierung nicht leisten.
Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung ist eine Herkulesaufgabe
Im Koalitionsvertrag wird die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung ausführlich beschrieben. Gewollt und gemeint ist ein Konzept, das in Ländern wie Estland und Dänemark erfolgreich praktiziert wird. In Deutschland ist für die Realisierung das 2017 erlassene Onlinezugangsgesetz (OZG) hinterlegt: Bürgerinnen und Bürgern soll der Zugang zu Verwaltungsleistungen per PC ermöglicht beziehungsweise verbessert werden. Kommunen, Länder und der Bund stehen vor einer Herkulesaufgabe angesichts des jahrzehntelangen Reformstaus. Das Ziel sind am Ende durchgängige und durchlässige interoperable Systeme über alle Behörden hinweg. Das minimale Ergebnis ist ein kleinteiliger Flickenteppich von singulären digitalen Services, die zwar funktionieren, aber bundesweit nicht miteinander harmonieren. Auszubaden hätte es erneut der Nutzer.
Auf der nächsten Seite: Kennzahlen & Widerstand in Motivation verwandeln.
Es braucht jeden Mitarbeiter in jeder Behörde
Die Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite erwarten zurecht, dass sich Deutschland zu einem wenigstens einigermaßen modernen Staat entwickelt. Für sie ist die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung oft vor allem dadurch erfahrbar, dass sich der Gang zur Behörde erübrigt und sie stattdessen sichere Informationstechnologie von zuhause aus nutzen können. Für die Behörden selbst bedeutet Digitalisierung mehr: Es geht zum Beispiel um die Automatisierung von Standardeingaben, um die Vernetzung von Daten und Systemen und um die Erleichterung der klassischen Sachbearbeitung.
Wie kann es gelingen, die notwendigen Veränderungen umzusetzen? Und umgesetzt werden muss die Digitalisierung, keine Frage. Der Personalmangel in den Behörden ist nur ein Katalysator. Viele Kommunen sind finanziell klamm, müssen an allen Ecken und Enden sparen. Dafür gibt es keine alleinige oder einfache Lösung. Beitragen kann jedoch unternehmerisches Denken und eine klare Strategie zur Leistungsentfaltung. Was bedeutet dies? Ein klares Bild der Ausgangslage muss gebildet werden, indem vorhandene Daten intelligent und zielgerichtet ausgewertet werden, zum Beispiel über die Kombination von Mitarbeiterbefragungen und Kennzahlen.
Auf Basis dieser Fakten, im Vergleich zu Meinungen oder lautstarken Äußerungen Einzelner, kristallisieren sich Handlungsfelder heraus. Sie zu lösen ist immer amtsspezifisch und individuell. Insbesondere mit begrenzten Mitteln kommt es umso mehr darauf an, im Sinne der Gesamtstrategie so zu priorisieren, dass die Mittel, die verfügbar sind, so eingesetzt werden, dass bei den Mitarbeitenden ein Plus an Leistung entstehen kann. Erreicht werden kann dies beispielsweise durch die Ermöglichung von Heimarbeit, über den Einsatz modernerer Software, bis hin zu der Einrichtung von situativen Projektteams zur Lösung komplexer Themen. Auf beiden Seiten, bei Bürgern und Behörden, ist am Ende eine Effizienzsteigerung und dadurch eine höhere Zufriedenheit das Ziel.
Ängste und Widerstände in Motivation wandeln
Zugegeben, wenn das Wort „Effizienzsteigerung“ fällt, ist die erste Assoziation „Stellenabbau“. Veränderungen, für die dieses Ziel ausgegeben wird, können bei Mitarbeitenden auf unterschiedliche Resonanz stoßen: Von Gleichgültigkeit über Widerstand bis hin zur blanken Existenzangst kann alles dabei sein. Deshalb hat die Kommunikation als Führungsinstrument im Change-Management im Sinne der Wertschöpfung eine fundamentale Bedeutung. Das strategische Projektmanagement von Transformationen muss jeden einzelnen Mitarbeiter mitnehmen. Sonst läuft er Gefahr, dass negativ eingestellte Personen rasch andere in ihre kritische Verweigerungshaltung einbeziehen. Die Amts- und Projektleitung kämpft dann irgendwann gegen Windmühlen – und scheitert.
Weitere Erfolgsfaktoren für das Management einer Transformation sind Kooperation, Vertrauen, Überzeugen, Führung und Kreativität. Um die Angestellten mitzunehmen, frühzeitig einzubinden und für die anstehenden Veränderungen zu motivieren, ist soziale Kompetenz des Managers unerlässlich. Er braucht Empathie, muss sich einfühlen in die Bedürfnisse und Ängste seiner Mitarbeiter. Deren Vorbehalte haben unterschiedliche Facetten wie zum Beispiel die Angst, der neuen Technik nicht gewachsen zu sein, sie nicht zu verstehen und nicht bedienen zu können. Die Angst davor, das bisherige Ansehen bei den Kollegen zu verlieren bis hin zur Angst, durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz den Job zu verlieren.
Den Ursprung dieser Vorbehalte und Ängste plus die jeweiligen Lebenssituationen der Mitarbeitenden zu kennen und darauf individuell zu reagieren, hilft jedem Manager, Veränderungsprozesse schnell und produktiv umzusetzen und auf weniger Ablehnung zu stoßen. Jede Führungskraft muss die Zielsetzung verfolgen, mehr Leistung zu ermöglichen, indem, wie vorher genannt, priorisiert und auf Maßnahmen mit Multiplikatorwirkung gesetzt wird. Hier zeigt sich der Wert von „menschlicher Intelligenz“, die die Arbeitsweise der Zukunft gestaltet und gegebenenfalls künstliche Intelligenz einschließt, aber nie umgekehrt.
Kleine Geschichte aus der Praxis
Die Digitalisierung in der Öffentlichen Verwaltung hat mitunter skurrile Züge: In einer kleinen Gemeinde nahe München war es bisher üblich, sich vor die Zimmer der jeweils zuständigen Behörde wie zum Beispiel dem Passamt zu setzen. Man fragt in die Runde von drei Wartenden: „Wer ist vor mir dran?“ Jemand hebt die Hand und man wusste Bescheid.
Vor kurzem ist dort die „Digitalisierung“ eingezogen: Einen Termin muss der Bürger online buchen. Dann geht man ins Rathaus. An einem mannshohen Kasten soll man eine Wartenummer ziehen. Weil das wohl kaum jemand verstanden hat, kleben an dem nigelnagelneuen Designerkasten seitlich große Zettel mit einer handschriftlichen Anleitung, wo man wann zu tippen hat. Mit dieser Wartenummer soll man sich vor die verschlossenen Türen des Passamts setzen und warten, bis auf dem hoch hängenden 17-Zoll-Bildschirm angezeigt wird, welche Wartenummer in welches Zimmer darf. Alles fein.
Allein, der Wartenummerngeber funktioniert nicht. Und folglich der Rest auch nicht. Der Mensch muss eingreifen: Die freundliche Dame vom Empfang eilt heran, schiebt den Bürger beiseite, weil der bestimmt wieder falsch getippt hat. Aber nein. Auch ihr, dem Gatekeeper des Rathauses, gibt der Automat keine Nummer. „Aha“, stöhnt sie, „geht schon wieder nicht.“ Sie eilt in ihr Empfangskabuff und ruft die wohl leitende Sachbearbeiterin im Passamt an: „Das Ding funktioniert schon wieder nicht. Da wartet jemand.“ Daraufhin öffnet eine freundlich lächelnde Frau leicht verlegen die Tür: „Bitteschön.“ Geht doch.
Das nennt man dann wohl eine Hybrid-Digitalisierung. Sie funktioniert zum Teil online, aber vor allem offline.
Auf der nächsten Seite: Mitarbeiter beteiligen & Coaching für Führungskräfte.
Mitarbeiterbeteiligung fördert die Projektakzeptanz
Was bedeutet das in der Praxis? Die Mitarbeitenden mit aktiven Aufgaben im Digitalisierungsprojekt zu betrauen, sie einzubinden, verhindert das Gefühl, bei den Neuerungen nur ein passiver Zaungast zu sein. Bei der Mitarbeiterorientierung kann nach demselben Muster wie bei erfolgreicher Bürgerorientierung vorgegangen werden: Wird eine Dienstleitung wie zum Beispiel die Personalarbeit in ihren Grundzügen verändert, muss diese Änderung jedem bekannt gemacht und die möglichen Auswirkungen erklärt werden. Eine einfache Informations-E-Mail reicht hier nicht. Die neue Linie und die dazugehörige Anleitung müssen auf mehreren Kanälen kommuniziert werden.
Zugleich führen die Einbeziehung und Übertragung von Verantwortung, egal wie groß, dazu, dass sich die Einstellung der Mitarbeiter positiv entwickelt. Unterstützend wirken auch früh angedachte Pläne zur Weiterentwicklung der Angestellten in Anbetracht der Neuerungen im Bereich der Arbeitsprozesse und Technologien. Insbesondere Meinungsführer und Vertreter von Schlüsselpositionen sollen sich einbringen können – jedoch immer in einem konstruktiven Ansatz und nicht als Verhinderer. Denn klar ist auch: Verändern und auf die Zukunft einstellen muss sich jeder, egal ob er will oder nicht. Nur wenn partnerschaftlich über das „Wie“ statt „Ob/Ob nicht“ diskutiert wird, sind alle erfolgreich.
Coaching für Führungskräfte ist notwendig
Eine Gratwanderung ist dabei die Kommunikation. Das persönliche Gespräch mit dem einzelnen Mitarbeiter und mit dem Team wird, je nach Größe des Teams, unter Umständen begleitet durch die verschriftliche Kommunikation zum Beispiel über den laufenden Projektfortschritt und Lösungen akuter Herausforderungen. Warum ist die interpersonale Kommunikation ebenso wie die allgemeine Information eine sensible Aufgabe? Es kommt auf die richtige Wortwahl an, auf die ausgewogene Verteilung von Lob und Anerkennung, darüber, wie der Projektfortschritt die Motivation der Mitarbeitenden aufrechterhält und das zukünftige Arbeiten greifbar und attraktiv macht. In langwierigen Projekten müssen Angestellte bei der Stange gehalten werden. All diese Fähigkeiten haben nicht alle Projektleiter im Blut. Oftmals ist der beste Prozess- oder Fachexperte nicht der beste „Menschenversteher“.
Projektleiter, die zum ersten Mal vor einer derart komplexen Aufgabe wie der Einführung digitaler Strukturen in einer Behörde stehen, sind naturgemäß in den Anfängen unsicher, benötigen ihrerseits Coachings und konkrete, praktische Hilfe dabei, wie sie ihr Team vom Start weg ohne große Verwerfungen zum Ziel führen. Da aber, wie ausgeführt, auch die soziale Kompetenz jedes einzelnen Mitarbeiters und nicht nur der Personalverantwortlichen auf die Transformation von Organisationen einzahlt, ist das Training ihrer Skills von gleich hoher Bedeutung. Denn nur so gelingt das Miteinander, das Teamwork und das Gesamtprojekt Digitalisierung.
David M. Heimbring
Inhaber und Mit-Geschäftsführer der skills development solutions GmbH
Bildquelle: skills development solutions GmbH
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