eGovernment in Deutschland Noch Stückwerk, aber die Richtung stimmt
Die Fortentwicklung von eGovernment ist im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland eine hochkomplexe Aufgabe. Mit den jeweils eigenen Verantwortlichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen wird die Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips wie in kaum einem anderen Bereich sichtbar und zugleich fragwürdig. Die gesamtwirtschaftliche Ineffizienz des gelebten Wettbewerbsgedankens beim eGovernment ist in Zeiten knapper Öffentlicher Kassen katastrophal, nicht nur aus der Perspektive der effizienten Verwendung von Steuermitteln.
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Der größte Teil der Kontakte zwischen dem Staat und den Bürgern, Gästen sowie der Wirtschaft findet auf der kommunalen Ebene statt. Kommunen halten – je nach Größe und Zählweise – mehr als 3.000 Dienstleistungen in 160 bis 200 Verfahren und 60 bis 100 Produktbereichen vor. Wenn nur ein Teil davon künftig elektronisch abgewickelt werden soll, sind zumindest kleine und mittelgroße Kommunen überfordert, wenn sie nicht Unterstützung durch Bund und Länder bekommen.
Die Rolle des Bundes
Um Fortschritte im kommunalen wie auch im Ebenen übergreifenden eGovernment erzielen zu können, kommt dem Bund in mehrfacher Hinsicht eine besondere Rolle zu:
- Bei der Entwicklung und Zurverfügungstellung gesamtstaatlicher Infrastrukturen, die bei der Umsetzung allen drei staatlichen Ebenen zugute kommen.
- Bei der Förderung der Standardisierung von Prozessen und Datenstrukturen (im Einklang mit den europäischen Bestrebungen).
- Bei der Förderung der Forschung und Entwicklung im Hinblick auf die vielen noch offenen Fragen.
- Beim eigenen vorbildhaften Agieren sowohl bei der Organisation als auch bei den Inhalten und Zielen der wichtigsten gesamtstaatlichen Initiativen.
- Bei der Koordinierung der Aktivitäten und Strategien von Bund, Ländern und Kommunen.
- Beim Transfer von Wissen mit dem Ziel der Verbreitung guter Lösungen.
- Bei der ausreichenden Mittelausstattung von Ländern und Kommunen zur Erledigung der subsidiär wahrgenommenen eGovernment-Aufgaben.
Bereits in den vergangenen Jahren hat sich der Bund bemüht, diesen Anforderungen zumindest ansatzweise gerecht zu werden. Die inzwischen abgeschlossenen Projekte BundOnline 2005 und – in der ersten Phase – Deutschland-Online in der Verantwortung des BMI stehen genauso dafür wie die Projekte MEDIA@Komm und MEDIA@Komm-Transfer des BMWi. Aber nur die Projekte des Wirtschaftsministeriums waren primär zur Verbesserung und Unterstützung des kommunalen eGovernment gedacht (wobei die Kommunalzuständigkeit eigentlich beim BMI angesiedelt ist). Die Liste der berechtigten Kritikpunkte an den bisherigen Projekten ist bekannt und soll hier nicht ausgeführt werden. Interessant ist vor allem, was der Bund aus diesen Projekten gelernt hat. Wenn man die Ankündigungen für die laufende Legislaturperiode nimmt, scheint es, als wäre die Kritik zumindest teilweise angekommen.
Die Richtung stimmt ...
Die treibenden Akteure im BMI sind sich offensichtlich mit der Vorstellung des Programms eGovernment 2.0 der gesamtstaatlichen Aufgabe des Bundes stärker bewusst geworden. Viele der geplanten Aktivitäten gehen in die richtige Richtung. Die wichtigsten neuen Initiativen dieser Legislaturperiode sind aus kommunaler Perspektive sehr positiv zu bewerten.
Mit der Fokussierung von Deutschland-Online auf ausgewählte Verfahren (Einrichtung zentraler Strukturen im Melde-, im Personenstands- und Kfz-Wesen), der Weiterentwicklung der Standards (vor allem die XÖV-Koordination) und der Planung eines integrierten sicheren Kommunikationsnetzes für die Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen (KIV-D) werden notwendige gesamtstaatliche Infrastrukturen entwickelt.
Aber nicht nur das: Es wurde erstmals eine tragfähige Organisations- und Managementstruktur für Deutschland-Online geschaffen, es werden Mittel zur Umsetzung und zum Einkauf von Beratungsleistungen zur Verfügung gestellt und mit dem hessischen CIO Harald Lemke wurde einer der schärfsten Kritiker zum Vorsitzenden der Lenkungsgruppe gekürt.
Die Schaffung von Möglichkeiten für die sichere Identifizierung im Internet auf der Basis des elektronischen Personalausweises sowie die Schaffung von Bürgerportalen mit eindeutiger Adressierbarkeit von natürlichen oder juristischen Personen im elektronischen Raum sind notwendige Infrastrukturen, für die der Bund jetzt endlich die lange geforderte Verantwortung übernimmt.
Sowohl die Aktivitäten im Rahmen von Deutschland-Online als auch die Initiativen zur Ermöglichung einer eindeutigen und sicheren elektronischen Präsenz im Netz mit elektronischer Meldeadresse sind für die Weiterentwicklung des kommunalen eGovernment zentral. Kommunen können sich so – durch ein zentralisiert betriebenes Back-Office – in bestimmten Bereichen auf ihre Organisations- und Betriebsaufgaben im Front-Office konzentrieren. Für sichere und rechtsverbindliche Transaktionen zwischen Kommunen sowie Bürgern und Unternehmen steht bis 2010 vermutlich eine breit nutzbare Infrastruktur zur Verfügung – was man sich schon zu Beginn von MEDIA@Komm durch die Kooperation mit Banken und Sparkassen erhofft hatte.
… aber noch bleibt vieles Stückwerk
Bei allem Positiven aber bleibt – nicht nur aus kommunaler Perspektive – vieles noch Stückwerk. So werden die Aufgaben des Bundes im eGovernment weiterhin auf der mittleren Verwaltungs- und Staatssekretärsebene diskutiert. Für die politische Spitze des Landes ist eGovernment nach wie vor ein Nicht-Thema, wie es auch die Koalitionsvereinbarung deutlich macht. Die empirisch gestützte Erkenntnis auf kommunaler Ebene, dass eGovernment erst dann erfolgreich wird, wenn sich der „Chef“ drum kümmert, gilt auch für Bund und Länder. Es fehlt ein Bundes-CIO und die strategische Steuerung im Bundeskanzleramt, es fehlen die Minister und die Kanzlerin, die sich persönlich für das Thema stark machen.
Dieser fehlenden politischen Verankerung entspricht auch das bisher eingeschränkte Verständnis von eGovernment als eAdministration. So richtig es ist, dass Verwaltungsmodernisierung und Bürokratieabbau durch eGovernment forciert werden können, so falsch ist es, alle anderen zentralen politischen Ziele auszublenden. Wo bleiben die wichtigen Themen aus der Koalitionsvereinbarung im Zusammenhang mit eGovernment: Wachstum und Innovationsfähigkeit, soziale Integration durch Arbeit und Bildung, Neugestaltung der sozialen Sicherungssysteme, Konsolidierung der Öffentlichen Haushalte, Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements? Wo bleibt das Thema eParticipation konkret (außer allgemeinen Absichtserklärungen)? eGovernment ist ein Instrument, das in allen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Feldern wichtige Hilfestellung geben kann. Ein nationaler Masterplan über die Ziele von eGovernment wäre notwendig, unter Einbeziehung aller Ressorts und unter Konsultation der Länder und der Kommunen. Denn viele Probleme werden auf kommunaler Ebene virulent und können dort oft am Besten angegangen werden.
Nirgendwo in der Öffentlichen Hand werden bisher die Möglichkeiten des Staatsumbaus, der Transformation des Staates durch eGovernment, diskutiert, wie etwa die Möglichkeiten einer neuen Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Alles, was bundes- oder landeseinheitlich geregelt ist oder sich besser regeln lässt, sollte zentral oder hochstandardisiert abgewickelt werden. Nur so lassen sich Skaleneffekte wirklich ausschöpfen. Dies müsste Thema einer zweiten Runde der Föderalismuskommission sein.
Einige Stichworte noch, was nötig wäre, um aus dem bisherigen Stückwerk ein konsistentes gesamtstaatliches eGovernment entstehen zu lassen:
- Koordinierung der Förderpolitik zwischen den Ressorts im Hinblick auf eGovernment. Konzentration auf Wissenslücken und praxisbezogene Orientierungshilfen (wie z. B. der Leitfaden „Wirtschaftlichkeitsanalysen“).
- Ausweitung der Zahl der konkreten Projekte in Deutschland-Online bei Ausweitung der organisatorischen und finanziellen Ressourcen.
- Weitung der Sicht auf andere Zugangskanäle. Der Fokus auf die Internetkommunikation durch den Bund greift im elektronischen Zeitalter zu kurz. Mobile Technologien sind zukünftig wesentlich wichtiger; bundeseinheitliche Servicenummern wären ein wichtiges Signal.
- Inhaltliche Ausweitung des geplanten eGovernment-Kompetenzzentrums über die Geschäftsprozesse zwischen Wirtschaft und Unternehmen hinaus. Schaffung und Anschubfinanzierung einer zentralen Transferstelle, in der auch der breite Erfahrungsschatz des Wissens um kommunales eGovernment vermittelt und gepflegt wird. Es ist dramatisch, wie durch Steuermittel aufgebaute Wissensbestände wieder verfallen.
Alle sind gefordert
Nicht nur der Bund ist gefordert, das Thema eGovernment noch stärker auf die Agenda zu nehmen – mit allen organisatorischen und finanziellen Konsequenzen. Auch die Kommunen müssen sich auf zentrale Lösungen dort, wo es Sinn macht, einlassen. Die jüngste Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) zeigt, dass Kommunen die Zentralisierung von Verfahren und Datenbeständen als sinnvoll betrachten. Die Bereitschaft zur Mitwirkung am Aufbau zentraler eGovernment-Infrastrukturen ist hoch. Kommunen müssen dann aber auch bereit sein, einen gewissen finanziellen Obolus solidarisch beizusteuern.
Wirtschaft, Wissenschaft und Verbände können und müssen sich stärker in die Diskussionsprozesse um die Zukunft von eGovernment einbringen. Nicht, dass sie das in der Vergangenheit nicht getan hätten. Neu ist aber, dass die verantwortlichen Akteure im BMI das auch einfordern und ihrerseits das Gespräch suchen. Damit entstehen ganz neue Möglichkeiten eines stärker konsensualen eGovernment.
Wenn die neue Bereitschaft zur Kommunikation und zum Austausch weiter Früchte trägt und der Bund weiter bereit ist, zu lernen – etwa im Hinblick auf zentrale Infrastrukturen (von Bundesländern und anderen Staaten) oder auf ein strategisches Vorgehen (von Kommunen und Bundesländern) kann das vorhandene Stückwerk im Sinne eines Balanced eGovernment zum konsistenten Ganzen werden – im Interesse der Menschen und der Wirtschaft.
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