Föderalismus im eGovernment-Zeitalter Kommunale Verwaltungen zwischen Kooperation und Selbstständigkeit

Redakteur: Manfred Klein

Welche Auswirkung hat der Einsatz von Informationstechnologie auf Struktur, Selbstverständnis und Legitimation der Öffentlichen Verwaltung?

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eGovernment Computing diskutiert diese Fragen mit dem Oberbürgermeister von Kiel, Torsten Albig, dem Politologen und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, Christian Geiger, und dem Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Prof. Dr. Utz Schliesky.

eGovernment, vor allem in den Bereichen Shared Service Center und Cloud Computing, wird sich auch auf die politischen Strukturen auswirken, da Leistungserbringung und -inanspruchnahme nicht mehr räumlich zusammenfallen müssen. Welche Veränderungen erwarten Sie hier im Allgemeinen und für den Föderalismus im Besonderen? Wie werden sich etwa die Gemeindegrößen verändern?

Geiger: Die Unabhängigkeit von Zeit und Raum im Rahmen einer Dienstleistungs- und Produkterstellung bei IT-Kooperationen in Form von Cloud Lösungen oder Shared-Service-Zentren stellt ein wesentliches Charakteristikum des Internet, des Web 2.0 und der darin nutzbaren Anwendungen dar. Diese Eigenschaften haben selbstverständlich auch Auswirkungen auf eGovernment.

Dabei sind die Veränderungen vielschichtig und wirken sich auf unterschiedliche Art und Weisen auf Bürger, Politik, Verwaltung und Wirtschaft aus: Sämtliche Bürger sollen den Zugang zu allen Leistungen des öffentlichen Sektors haben, auch wenn sie nicht im Internet online sind. Dabei ist für den Bürger entscheidend, die Leistung möglichst schnell zu erhalten, während ihn der Prozess in den jeweiligen Verwaltungsebenen und die einzelnen Zuständigkeiten nicht oder nur sekundär interessieren.

Aus der Sichtweise der Verwaltung kann es unter Effizienzaspekten sinnvoll sein, mit anderen Gebietskörperschaften zusammenzuarbeiten. Auch wenn der Föderalismus in Deutschland als Wettbewerbsföderalismus ausgelegt ist, kann eine kooperative Form der technischen und politischen Zusammenarbeit aus Gründen der effizienten Leistungserstellung gefordert und gefördert werden.

Kommunen können aus Gründen der Effizienz (Economies of Scale und Economies of Scope) die IT in Form von Rechenzentren – für Kreise oder ganze Regionen – planen, bauen und bewirtschaften. Eine Standardisierung ist dabei aus funktionalen und aus Kostenaspekten sinnvoll. Gute eGovernment-Lösungen müssen keine Insellösungen bleiben, sondern können Skaleneffekte erzielen. Doch möchte ich als Kommune den Vorteil einer smarten und hart erarbeiteten IT-Lösung verspielen, indem ich das Konzept an andere Kommunen weitergebe? Das Denken und Handeln in Regionen hat damit Auswirkungen auf die praktische Ausgestaltung der IT-Landschaft, nicht aber zwingend auf physische Gemeindegrößen oder Grenzziehungen von Gebietskörperschaften. Kleinere (Verwaltungs-) gebiete bleiben auch in Zukunft eigenständig und relevant. So kann eGovernment die Strukturen der Verflechtung im Föderalismus aufbrechen und staatliche Prozesse effizienter und bürgernäher gestalten.

Schliesky: Die Verwaltung ist traditionell territorial organisiert – durch die Möglichkeiten der IuK wird die Raumbindung der Verwaltung aber erheblich gelockert. Dementsprechend wird die Raumgröße eine immer geringere Rolle für die Verwaltungsorganisation spielen. Gleichzeitig eröffnen die neuen technischen Möglichkeiten sowie existierenden verwaltungswissenschaftlichen Konzepte wie etwa Shared Service Center oder One-Stop-Government ganz neue Möglichkeiten für professionelle, effektive und kostengünstige Verwaltungsstrukturen, ohne dass Gebietsreformen durchgeführt werden müssen. Gebietsreformen sind insoweit ein Lösungsrelikt der 1970er-Jahre. Denn gerade die örtliche und politische Identität stiftenden kleinen Kommunen können erhalten bleiben. Dies ist angesichts zunehmend komplexerer, für den Bürger nur schwer nachvollziehbarer Entscheidungen auf europäischer oder gar internationaler Ebene ein ganz wichtiger Faktor für die Zukunft der Demokratie. Entscheidend ist, dass politische Gemeinwesen und Verwaltungsstrukturen oft nicht mehr deckungsgleich sein werden.

Albig: Für die Landeshauptstadt Kiel, aber auch für das ganze Bundesland ist die Entwicklung leistungsfähiger eGovernment-Strukturen ein Standortfaktor erster Güte. Eine moderne Landeshauptstadt und ein Flächenland müssen möglichst viele ihrer Dienstleistungen auf qualitativ hohem Niveau im Internet verfügbar machen.

Welche Auswirkungen das auf den Föderalismus haben könnte, ist nur schwer zu beantworten. Vielleicht ist die Antwort auch gar nicht so wichtig. Denn Strukturen bestehen ja nicht um ihrer selbst willen; sie sollen helfen, das Leben für die Bürger in diesem Land so attraktiv, einfach und komfortabel wie möglich zu machen. Deshalb sollten wir auch lieber über ein Höchstmaß an Funktionalität und nicht über die Größen von Gemeinden diskutieren. Eine die kommunalen Grenzen überschreitende Zusammenarbeit kann viel wirkungsvoller als eine Strukturreform sein, wenn sie funktioniert und nicht 20 Jahre harten und verlustreichen politischen Kampf erfordert.

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