Interview Klare Kante

Redakteur: Manfred Klein

Die Bürger wollen Erfolge sehen und setzen Politik und Öffentliche Verwaltung zunehmend unter Druck. eGovernment Computing sprach mit Lena-Sophie Müller von der Initiative D21 über die Folgen, die sich aus dem eGovernment Monitor ergeben.

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D21-Geschäftsführerin Lena-Sophie Müller fordert attraktive eGovernment-Dienste
D21-Geschäftsführerin Lena-Sophie Müller fordert attraktive eGovernment-Dienste
(© tokography/Tobias Koch (www.tobiaskoch.net))

Schon der Jahresbericht des Normenkontrollrats glich einem Pflichtenheft für die neue Bundesregierung in Sachen Digitalisierung. Auch die Kurzexpertise der D21 zu den Erwartungen der Bundesbürger an die Digitalisierung formulierte eine ganze Reihe von Forderungen und der aktuelle eGovernment Monitor warnt gar vor einem Vertrauensverlust der Bürger, falls es nicht zu raschen Verbesserungen kommt. Zwar fällt in den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und der FDP das Wort Digitalisierung allenthalben, doch ist auch die Gefahr einer erneuten Verzögerung – schon wegen der komplizierten Koalitionsverhandlungen – nicht von der Hand zu weisen. Die neue Bundesregierung steht also vor großen Herausforderungen.

Frau Müller, welche Aufgaben muss die neue Bundesregierung Ihrer Meinung nach bei eGovernment und der Digitalisierung mit absoluter Dringlichkeit warum angehen?

Müller: Wir erleben gerade in doppelter Hinsicht ein wichtiges Momentum: Es gibt eine ungemeine Aufmerksamkeit für das Thema Digitalisierung und einen enormen öffentlichen Handlungsdruck, denn die Pandemie zeigte unübersehbar, dass es in den Bereichen wie der digitalen Verwaltung oder Bildung viel nachzuholen gibt. Gleichzeitig bietet die politische Neu-Konstellation die Möglichkeit für ein Neu-Denken und echte Entwicklungssprünge. Die Politik sollte diese Gelegenheit nun entschlossen nutzen und mutige, konkrete und messbare Ziele formulieren.

Das betrifft in erster Instanz die Funktionsweise der (digitalen) Verwaltung an sich. Die Art, wie der Staat Leistungen bereitstellt, muss moderner und stärker vom Ende her gedacht werden. Was meine ich damit? Klar die Wirkung bei den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen fokussieren. Dafür brauchen wir ein effektiveres Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen und klar definierte Ziele. Die Politik muss den Erfolg von Vorhaben künftig daran messen, was bei den Bürgern und Unternehmen ankommt. Nicht die Bereitstellung eines Dienstes ist ein Erfolg, sondern dessen Nutzung und die Zufriedenheit.

Die Bürger wünschen sich mehr eGovernment-Angebote, doch gleich­zeitig sinkt die Zufriedenheit mit den angebotenen Diensten. Woran liegt das? Haben die Verwaltungen ihre Hausaufgaben nicht richtig gemacht?

Müller: Im eGovernment Monitor 2021 formulieren die Bürgerinnen und Bürger sehr konkret, was ihnen bei der digitalen Verwaltung wichtig ist: zuverlässige und durchgängige Systeme, einfache Bedienbarkeit, aktuelle Inhalte und Angebote sowie gute Auffindbarkeit. Das alles sind sie aus ihrem Alltag von privaten Dienstleistungen ganz selbstverständlich gewohnt – und das erwarten sie verständlicherweise auch im Umgang mit der Verwaltung. Die große Herausforderung für die Verwaltung ist es, mit diesen Entwicklungen und den stetig wachsenden Erwartungen Schritt zu halten. Deswegen muss es die Regel werden, dass zukünftig alle Angebote in sehr kurzen Abständen Updates erfahren. Auch hier gilt: Das Produkt stärker von den Nutzenden her denken. Als positive Nachricht aus der Studie nehmen wir mit, dass sich viele Bürger offen und interessiert für einfache und sichere digitale Verwaltungsleistungen zeigen – besonders die jungen und digitalaffineren.

Apropos „einfach und sicher“. Viele Bürger wünschen sich eine Ausweisfunktion beziehungsweise den elektronischen Personalausweis am Handy. Doch die derzeit favorisierte Lösung setzt auf ein technisch kompliziertes Verfahren und benötigt teure Endgeräte von Apple und Samsung. Droht da nicht das gleiche Schicksal wie zum Beispiel bei der digitalen Signatur und wie verträgt sich das mit dem Bestreben nach digitaler Souveränität?

Müller: Die Erfahrung mit dem elektronischen Personalausweis aus den letzten zehn Jahren haben uns gelehrt, dass Sicherheit nicht auf Kosten der Bedienbarkeit gehen darf, sondern beides Hand in Hand funktionieren muss. Das sicherste und technisch komplexeste System nutzt nichts, wenn es am Ende niemand nutzt. Ein gesondertes Lesegerät wurde von den Bürgern nicht angenommen und auch die Möglichkeit, den Personalausweis per NFC-Schnittstelle des Smartphones auszulesen, brachte nicht den erhofften Durchbruch. Man kann positiv festhalten: der elektronische Personalausweis wurde ständig weiterentwickelt. Der neue Ansatz, die Speicherung im Smartphone-Wallet kennen die Bürger teilweise auch schon von Eintrittskarten, Bahn- oder Flugtickets und sogar Bankkarten – das lässt also hoffen. Am Ende ist die Entscheidung für eine neue Technologie immer mit gewissen Startschwierigkeiten verbunden, daher können anfangs wohl nur einige Geräte die Funktion nutzen. Perspektivisch muss diese Lösung unabhängig vom Betriebssystem auf den Smartphones möglich sein, das die Bürger nutzen.

Gibt es Gründe, weshalb die großen eGovernment-Angebote die Bürger nicht erreichen und wie ließen sie sich aus der Welt schaffen?

Müller: Die Politik tat sich in der Vergangenheit oft schwer damit, den Erfolg einer Verwaltungsleistung auch aus Sicht der Bürger zu definieren. Wenn man den Erfolg daran bemisst, ob ein Dienst online gegangen ist oder nicht, dann kommt man zu fundamental anderen Ergebnissen, als wenn man fragt, ob die Bürger einen Dienst nutzen und gut bewerten. Will man erfolgreiche eGovernment-Angebote schaffen, muss die Wirkung an oberster Stelle stehen. Ein positives Beispiel ist ELFE – Einfache Leistungen für Eltern, das es schafft, verschiedene Vorgänge logisch für die Bürger zu bündeln und sie nicht mit der internen Logik der Verwaltung zu konfrontieren. Für die Bürger steht am Ende ein digitaler Kombi-Antrag, der ihnen viel unnötige Arbeit abnimmt und sie schnell zum Ziel bringt. Nach dieser Wirkung sollten smarte Verwaltungsleistungen funktionieren.

Technik und Marketing sind das Eine. Aber die Verwaltungen werden sich auch selbst an die Digitalisierung anpassen müssen. Welche Veränderungen halten sie für notwendig und wahrscheinlich?

Müller: Aus meiner Sicht braucht es dringend auch eine Modernisierung nach innen. Die Verwaltung hat über viele Jahrzehnte gute Dienste geleistet, aber nicht alles ist in der hochgradig dynamischen Gegenwart noch zeitgemäß. Dazu gehört beispielsweise ein durchlässigeres Personalsystem, das die Logik der starren Laufbahnen durchbricht – es gibt nicht wenige Fachleute, für die ein Wechsel in die Verwaltung nicht in Frage kommt, weil sie nicht die notwendige formale Qualifikation für eine Aufgabe mitbringen, die sie an anderer Stelle seit Jahren erfolgreich ausfüllen. Es sollte auch Möglichkeiten geben, für eine gewisse Zeit in der Verwaltung zu arbeiten und sich dann wieder anders zu orientieren, aktuell ist das allein wegen der Regelungen zu Pensionsansprüchen kaum attraktiv. Ich bin davon überzeugt, dass mehr Austausch und Wechselwirkung zwischen Staat und dem privaten Sektor sehr fruchtbar wäre und auf allen Seiten die Diversität an beruflichen Hintergründen und Denken bereichern könnte.

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