Energiemanagement Energiewende gestalten
Kommunen können die Energiewende durch digitale Lösungen mitgestalten. Die Gemeinden Plüderhausen und Tuningen sind diesen Schritt nun gegangen.
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Die Arbeiten in Plüderhausen laufen auf Hochtouren: 2020 soll in acht von 15 öffentlichen Gebäuden der 9.300-Einwohner-Gemeinde das kommunale Energiemanagement (KEM) des Energieversorgers EnBW installiert sein. Sprach-, Bewegungsmelder, Temperaturfühler und andere Meßtechnik erfassen dann die Intensität der Nutzung von Gebäuden und einzelnen Räumen und stimmen Heizung, Lüftung, Beleuchtung und Kühlung darauf ab. Die Software kann ab dann mit Vergleichszahlen zur Frequenz aus Vorjahrestagen sowie dem Wetterbericht hinterlegt werden, was Bedarf und Verbrauch weiter anpasst. Und per Fernmonitoring können Hausmeister oder Facility Manager in Echtzeit jederzeit überall eingreifen.
„Solche Smart-Grid-Lösungen sparen bis zu 40 Prozent Energie ein“, sagt Plüderhausens Hochbauamtsleiter Andreas Fichtner. Für Feuerwehr, Rathaus, Gemeindehalle und Schule, die alle eng beisammen liegen, plant die Gemeinde zudem ein zentrales Gas-betriebenes Blockheizkraftwerk für 1,2 Millionen Euro, das noch vom Gemeinderat bewilligt werden muss. Ab Ende 2020 sollen die vier Liegenschaften mit Wärme und Eigenstrom versorgt werden. Im Schnitt amortisieren sich all diese Investitionen in spätestens acht Jahren.
Investitionen
2017/18 hatte die Gemeinde im Remstal mit der Umstellung ihrer Straßenbeleuchtung auf LED die kommunale Energiewende eingeläutet. 2018/19 folgte die Umrüstung von 1.380 einzelnen Lichtpunkten in mehreren öffentlichen Gebäuden. Insgesamt investierte die Kommune in der Peripherie von Stuttgart 750.000 Euro. Das waren 60 Prozent der Kosten. Den Rest subventionierte das Bundesumweltministerium aus seiner 2008 gestarteten Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI), die bislang bundesweit 25.000 Maßnahmen gefördert hat.
Plüderhausen vermeidet dadurch binnen 20 Jahren 5.300 Tonnen CO2. Zum Vergleich: Jeder Bürger emissioniert im Schnitt elf Tonnen CO2 pro Jahr. Allein die Gebäudebeleuchtung verbraucht nun 326.000 Kilowattstunden (kWh) weniger pro Jahr, was 72.000 Euro entspricht, rechnet Fichtner vor.
„Den nächsten Schub bringen die Smart-Grids,“ freut sich der Hochbauamtsleiter, der rund fünf Prozent seiner Arbeitszeit mittlerweile für die Energiewende aufbringt. 15 Prozent seien wünschenswert, um tiefer in Themen einzusteigen und diese systematischer umzusetzen, sagt er.
Die meisten Impulse setze Bürgermeister Andreas Schaffer, der ihm Informationen weiterleite mit der Bitte um Prüfung auf Plausibilität. Vereinzelt kämen auch Initiativen aus dem Gemeinderat, der vor allem die Investitionsentscheidungen mittrage. KEM von der EnBW werde dank intelligenter Software sicher weitere 40 Prozent Energie einsparen, weil Verschwendung vermieden wird. Denn jeder kennt aus der eigenen Schulzeit, dass im Winter in allen Klassenzimmern die Heizung volle Pulle läuft, in den Pausen radikal gelüftet wird und in Sporthalle oder Foyer von 7.30 bis 22 Uhr die Beleuchtung ununterbrochen an ist. Die mit einer Steuerung verknüpfte Sensorik organisiert nun, dass sämtliche Prozesse bedarfsorientiert erfolgen.
Das deutlich kleinere Tuningen ging bei der Umrüstung seiner Straßenlaternen auf LED noch einen Schritt weiter als die Plüderhausener: Im 3.000-Seelen-Dorf auf der Schwäbischen Alb wurden die Leuchten so programmiert, dass sie nicht um 23 Uhr ausgehen, sondern auf zehn Prozent Leuchtkraft herunterdimmen. Erkennt der installierte Wärme- und Bewegungsmelder einen sich nähernden Menschen, fährt die Leuchtkraft für 90 Sekunden auf 100 Prozent hoch und verständigt die nächste Laterne. Dieser Invest hat den Verbrauch bei mehr Komfort halbiert, was 141.000 kWh entspricht. Technisch möglich ist bereits, Straßenlampen als eLadestellen mit Verbrauchs- und Abrechnungsfunktion auszustatten (Ubitricity).
Friedrich Riempp installiert mit seiner gleichnamigen Firma seit 2013 solche softwarebasierten Lösungen. Sein Energiemanagementsystem (EMS) Emsyst 4.0 hat der Oberboihinger im Kontext des Atomausstiegs der Bundesregierung mit Bundesmitteln kreiert und seither immer weiter entwickelt und adaptiert: Kommunen und gewerbliche Nutzer können damit sämtliche Verbräuche (Heizung, Licht, Warmwasser etc.) und Erzeugerquellen (Stromnetz, Nahwärme, BHKW, PV-Anlage) via funkgesteuerter Sensoren erfassen und miteinander vernetzen. Sämtliche Daten werden in einem Rechner erfasst, und die Software ist so programmierbar, dass sie etwa Sommer-/Winterzeit, Ferien etc. hinterlegt und Verschwendung ausschließt.
So senkt sich etwa die Heizung automatisch ab, wenn Fenster offenstehen; die Beleuchtung ist auf eine Lux-Zahl fixiert, bei der so viel künstliches Licht zugeführt wird, bis der definierte Wert erreicht ist. Das System kann weiter ausgebaut werden, um etwa eine Lastkurve nicht zu überschreiten, indem nachrangige Verbräuche kurzzeitig abgeschaltet oder Lastspitzen via Energie aus einem Speicher gekappt werden. Nutzer sammeln damit Erfahrungen, um weitere öffentliche Gebäude mit Emsyst auszustatten.
An einem Strang ziehen
Riempp hat aber die Erfahrung gemacht, dass vielerorts in Kommunen das Prozessmanagement noch nicht passt: „Wenn niemand bei dem Thema den großen Hut aufhat, wird das nichts.“ Denn wenn im Rathaus Einkauf, Hochbauamt, Hausmeister, Gebäudeverwaltung und Nutzer nicht an einem Strang ziehen, fehlt die Handlungsfähigkeit, eine Immobilie zu digitalisieren. Eine zweite Einschränkung nennt Fichtner aus Plüderhausen: Auch hier fielen sieben Gebäude durch das Digitalisierungsraster, weil die Investitionen aus Gründen der Bausubstanz, mangels durchgängiger oder regelmäßiger Nutzung oder zu geringer Verbräuche nicht rentabel waren.
Ein weiterer Hebel für Kommunen, die Energiewende zu forcieren, liegt in der Erzeugung. So hat sich Tübingen 2011 das Ziel gesetzt, bis 2020 die Hälfte seines Bedarfs regenerativ zu decken. Dank massiver Investitionen in Photovoltaik (PV) und Windparks war das Ziel bereits 2017 erreicht. Das entsprach 200 Mio. kWh, die 90.000 Tonnen CO2 erzeugen.
Bundesweit liegt dieser Ausstoß bei 802 Mio. Tonnen pro Jahr. Über Standards bei Neubauten und Sanierungen, wie etwa in Waiblingen mit seinen PV-Vorgaben; intelligenter Verkehrsplanung oder klimaneutraler Wärmeversorgung können Kommunen sehr viel gestalten, wenngleich Klimaschutz keine kommunale Pflichtaufgabe ist. Deshalb stehen ihnen dafür keine Gelder zur Verfügung und sie hängen von Bundes- und Landespolitik ab, etwa bei Tempolimits auf ihren Straßen, bei Fördermitteln und widersprüchlichen politischen Signalen etwa bei Mieterstrom und EEG-Umlage.
Viel Potenzial liegt in der CO2-neutralen Nahwärmeversorgung durch Abwärmenutzung oder regenerative Quellen wie Geo-, Solarthermie oder Biomasse, was aber Investitionen in den Netzausbau erfordert. München will diesen Wandel 2040 abschließen. Karlsruhe nutzt bereits zu 60 Prozent die Abwärme einer Ölraffinerie. Göppingen heizt ein Wohnquartier mit der Abwärme seines Müllheizkraftwerks, und Ulm ersetzt aktuell Kohle durch Gas für Fernwärme.
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