Pflichtenheft der Verwaltungsdigitalisierung Ein zukunftsfester Staat

Redakteur: Manfred Klein

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat seinen Jahresbericht vorgestellt. Obwohl bei der Verwaltungsmodernisierung viel erreicht wurde, fällt die Bilanz durchwachsen aus. Auf die nächste Bundesregierung warten große Aufgaben.

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Übergabe des NKR-Jahresberichts am 16. September 2021 an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Übergabe des NKR-Jahresberichts am 16. September 2021 an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(© NKR)

Wenn Sie diesen Artikel lesen, dann ist die Bundestagswahl schon entschieden und die Parteien werden bereits mit der Sondierung möglicher Koalitionen begonnen haben. Doch welches Parteienbündnis auch immer in der kommenden Legislaturperiode die Bundesrepublik regieren wird, der Nationale Normenkontrollrat, kurz NKR, hat ihr schon mal ein Pflichtenheft in Sachen eGovernment und Verwaltungsdigitalisierung geschrieben.

In seinem aktuellen Jahresbericht mit dem Titel „Zukunftsfester Staat – weniger Bürokratie, praxistaugliche Gesetze und leistungsfähige Verwaltung“ widmet sich der Normenkontrollrat den Themen Verwaltungsdigitalisierung und Verwaltungsmodernisierung nach und widmet sich auch der Frage, wie eine bessere Rechtssetzung zu weniger Bürokratie führen kann.

So heißt es etwa zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes: „Bund, Länder und Kommunen treiben die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes engagiert voran. Trotzdem ist der Erfolg ungewiss. Komplizierte Strukturen und Regularien bringen das favorisierte Einer-für-Alle-Prinzip an seine Grenzen, auch was zukünftige Entwicklungsbedarfe betrifft.“ Nötig sei daher eine strategische Neuausrichtung – hin zu verbindlicher Standardisierung, mehr Plattformbetrieb und der einfacheren Verbreitung guter Lösungen. Dazu aber gleich mehr.

Digitalisierung der Verwaltung

Zum Stand der Verwaltungsdigitalisierung hält der NKR unter anderem fest: „Die Digitalisierung der Verwaltung ist für den NKR ein strategisch wichtiges Thema zum Abbau unnötiger Bürokratie. Digitale Verwaltungsverfahren bieten die Chance, staatliche Leistungen bürger- und unternehmensfreundlich anzubieten und staatliche Vorgaben einfacher zu erfüllen.“

Zwar erfordere die Transformation einer analogen in eine digitale Verwaltung erhebliche Investitionen. Längerfristig ließen sich jedoch deutliche Einspareffekte erzielen. Allerdings erfordere dies eine entschlossene Überwindung bestehender Digitalisierungshürden und eine effektive Umsetzung nutzerfreundlicher Lösungen.

Zudem habe sich das Entlastungspotenzial, dass die Digitalisierung für die öffentlichen Haushalte mit sich bringe, bereits deutlich gezeigt. Dazu schreiben die Autoren des Jahresberichtes: „Rund die Hälfte der damals abgebauten Bürokratiekosten, das heißt 6 Mrd. Euro pro Jahr, beruhten auf Gesetzesvorhaben, die eine Verwaltungsdigitalisierung zum Ziel hatten.“

Spätere NKR-Gutachten hätten zudem ein zeigten ein weiteres Entlastungspotenzial in Milliardenhöhe aufgezeigt, insbesondere dann, wenn konsequent auf die Nachnutzung schon vorhandener Verwaltungsdaten gesetzt werde – sowohl in der Verwaltung selbst, als auch in der Statistik. Diese Gutachten zeigten jedoch auch, wie stark der Nachholbedarf in Deutschland sei. Dies gelte in besonderer Weise für Fragen des Datenaustauschs zwischen Verwaltungen und die Notwendigkeit zur Modernisierung öffentlicher Register.

Kritik an der OZG-Umsetzung

Auch mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes geht der NKR hart ins Gericht. Zwar erkennen die Autoren an, dass in keiner Legislaturperiode so viel zur Digitalisierung der Verwaltung unternommen worden sei wie in dieser. Auch halten sie fest, dass das OZG eine erhebliche Dynamik ausgelöst habe und der Wille sowie die Bereitschaft, Verwaltungsleistungen zu digitalisieren, mit wenigen Ausnahmen überall vorhanden seien, kommen die Autoren dennoch zu dem Schluss: „Trotzdem dringt es immer mehr ins Bewusstsein, dass die Dynamik nicht reichen wird, um die OZG-Zielsetzung der flächendeckenden Digitalisierung von rund 600 Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 zu erreichen.“ Zwar gingen erste Onlinelösungen an den Start, die großen Stückzahlen und vor allem die flächendeckende Umsetzung stünden aber weiterhin aus.

Bisher seien erst 54 Leistungen aus dem OZG-Programm online. Davon seien 14 Bundes- und zwei Landesleistungen flächendeckend verfügbar, so dass doch ernüchternde Fazit.

Und in dieser Tonlage geht es weiter: „Vier Jahre nach Verabschiedung des OZG zeigt sich, dass der Großteil der bisher erreichten Umsetzungs-Meilensteine vor allem Ergebnisse bei der Fortentwicklung der Programmstrukturen und der Schaffung weiterer Verfahrensgrundlagen umfasst. Der Aufbau leistungsfähiger Governance-Strukturen ist wichtig. Wie groß der Koordinierungsaufwand aber tatsächlich ist und wieviel Zeit und Kraft der begleitende Struktur- und Kulturwandel wirklich kosten, ist massiv unterschätzt worden.“

Weiter heißt es: „Trotz wachsender Skepsis hinsichtlich des Zeitplans besteht weiterhin die Hoffnung, dass das Jahr 2021 den Wechsel von der Aufwärm- in die Leistungsphase der OZG-Umsetzung markiert.“ Hoffnungsvoll stimmt die Autoren die Tatsache, dass zum einen der Bund angekündigt hat, die 115 Bundesleistungen bis Ende des Jahres digitalisiert zu haben und zum anderen, das auf der föderalen Ebene noch in diesem Jahr über 200 Einer-für-Alle-Leistungen (EfA) zur Nachnutzung zur Verfügung stehen sollen.

Sorgen bereitet den Autoren auch die komplexen Umsetzungsstrukturen. Dazu heißt es: „Zunehmend wird deutlich, dass die gegenwärtigen Governance-Strukturen zur Umsetzung des OZG sehr komplex, Abhängigkeiten groß und Schnittstellen vielfältig sind. Dies erzeugt erhebliche Orientierungs- und Koordinierungsaufwände und führt zu Unsicherheiten bei vielen Akteuren, insbesondere auf der kommunalen Ebene. Hinzu kommt die Skepsis, ob das eher planwirtschaftlich ausgerichtete EfA-Prinzip zu bedarfsgerechten, dauerhaft innovativen und wirtschaftlich angemessenen Lösungen führt.“

Somit stelle sich trotz der im Grundsatz positiven Entwicklungen der letzten Jahre die Frage, wie nachhaltig die derzeitige OZG-Strategie sei, zumal schon jetzt erheblicher Weiterentwicklungsbedarf erkennbar sei. Dieser werde in Zukunft noch viel stärker in Richtung antragsloser, individualisierter und automatisierter Leistungserbringung gehen.

Um die Komplexität bei der OZG-Umsetzung zu reduzieren, werden derzeit drei Modelle diskutiert: die bekannte EfA-Strategie, die Dresdner Forderungen, die dafür plädieren, dass bestimmte Pflichtaufgaben ohne eigentlichen kommunalen Gestaltungsanteil nicht mehr in kommunaler Zuständigkeit erledigt werden müssen, und schließlich ein mehr marktorientierter Ansatz, der die Notwendigkeit einer konsequenten und Standardisierung und Modularisierung von IT-Komponenten betont.

Beim NKR favorisiert man eindeutig den dritten Ansatz. Dazu heißt es im Jahresbericht: „Aus Sicht des NKR sollte jedoch verstärktes Augenmerk auf den dritten Ansatz gelegt werden, das heißt, auf Standardisierung und Architekturmanagement, auf die Bereitstellung von Plattformen und Verbindungsmechanismen (Middleware)Komplexität durch Standardisierung reduzieren sowie auf die vereinfachte Beschaffung beziehungsweise die Nachnutzung standardisierter Lösungen.“

Damit ein solcher Ansatz auch im Bereich der öffentlichen IT funktioniere, müsse aus Sicht des NKR ein zügig arbeitendes, verbindliches Standardisierungsregime geschaffen werden. Dazu bedürfe es der Rückbesinnung auf die im OZG verankerten Möglichkeiten zur Standardsetzung. Diese würden schließlich vorsehen, dass der Bund im Benehmen mit dem IT-Planungsrat und ohne Zustimmung des Bundesrates IT-Standards festlegen dürfe. Von dieser Möglichkeit habe er aber bisher keinen Gebrauch gemacht. Entscheidungen dieser Art würden nach wie vor gemäß der bisherigen Entscheidungslogiken des IT-Staatsvertrags getroffen, das heißt „vom IT-Planungsrat mit der Zustimmung des Bundes und einer Mehrheit von elf Ländern, welche mindestens zwei Drittel ihrer Finanzierungsanteile nach dem Königsteiner Schlüssel abbilden.

Wie geht es beim OZG und mit FITKO weiter?

Auch darüber, wie es mit der OZG-Umsetzung weitergehen soll, haben sich die Autoren Gedanken gemacht. Im Jahresbericht heißt es dazu: „Angesichts der beschriebenen Herausforderungen und der unterschiedlichen Lösungsansätze der OZG-Umsetzung bedarf es aus Sicht des NKR einer verstärkten Strategiearbeit, um daraus eine Digitalisierungsstrategie über 2022 hinaus zu entwickeln. Allerdings sind die Steuerungs- und Arbeitsgremien des OZG, allen voran der IT-Planungsrat, stark mit akuten operativen Fragestellungen ausgelastet. Wichtige Aufgaben tendieren dazu, hinter dringlichen Entscheidungen zurückstehen zu müssen.“

Und weiter heißt es: „In Ermangelung einer ausreichend ausgestatteten FITKO als der operativen Arbeitseinheit des IT-Planungsrates hängt die Klärung wichtiger Grundsatzfragen noch zu sehr von den Vorarbeiten und der zufälligen Ressourcenausstattung einzelner Länder ab. Arbeits- und Strategiefähigkeit gehen jedoch Hand in Hand. Während der Bund über die Einrichtung eines Digitalministeriums nachdenkt, wäre es aus Sicht des NKR gewinnbringender, in eine Digitalisierungsagentur zu investieren, die ihren Namen verdient. In Hochrechnung der Mitarbeiterzahlen vergleichbarer Einrichtungen anderer Länder müsste eine deutsche Digitalisierungsagentur mehrere hunderte Mitarbeiter beschäftigen. Die verteilten Mitarbeiterressourcen in Bund, Ländern und Kommunen sind dafür kein Ersatz und können nicht jene Schlagkraft aufbringen, die mit der Bündelung selbst nur eines Bruchteils dieser Ressourcen einherginge.“

Angesichts der beschriebenen Probleme macht der NKR für die kommende Legislaturperiode folgende Vorschläge:

  • Aufbau eines verbindlichen Standardisierungsregimes in der öffentlichen IT,
  • „Datengetriebenes Regieren“ als verbindliches Grundprinzip für die Gestaltung öffentlicher Leistungserbringung etablieren,
  • Reduktion der Orientierungs- und Transaktionskosten durch Einrichtung eines föderalen IT-Kaufhauses,
  • Beschleunigung, Kostensenkung und Professionalisierung von IT-Entwicklung und Betrieb durch Etablierung einer Föderation der Betriebsplattformen sowie
  • Massiver Ausbau der strategischen und operativen Leistungsfähigkeit
  • der föderalen IT-Koordinierung (Digitalisierungsagentur).

Im Übrigen empfiehlt der NKR auch bei der Registermodernisierung weitere Anstrengungen, da neben den finanziellen und organisatorischen Herausforderungen nicht zuletzt die Nutzerakzeptanz über den Erfolg einer digitalen und bürgerfreundlichen Verwaltung entscheiden würden. mk

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