Investieren trotz Schulden Drängende Aufgaben für Kommunen
Die deutschen Städte und Gemeinden haben das vergangene Jahr mit einem Defizit von über neun Milliarden Euro abgeschlossen. Dennoch soll die Digitalisierung der Verwaltungen zügig umgesetzt werden. Die Folge: Kommunale Steuern und Gebühren steigen.
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Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert die Umsetzung eines „Zukunftsplans für Deutschland“, der die „gewaltigen Herausforderungen“ konkret angehen und bewältigen könne. Im Rahmen der Bilanzpressekonferenz des kommunalen Spitzenverbandes machten Ralph Spiegler, DStGB-Präsident und Bürgermeister, sowie Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg deutlich, worin diese Herausforderungen bestehen: Pandemie, Klima, Schule, Digitalisierung.
Mehr investieren
Ein wichtiger Baustein eines solchen Zukunftsplans für Deutschland sei die deutliche Erhöhung der kommunalen Investitionen, insbesondere in Klimaanpassung und Klimaschutz. Die Städte und Gemeinden stünden vor der Aufgabe, mehr in Hochwasserschutz und Grün in den Kommunen zu investieren, einen Beitrag zur Verkehrswende durch Elektromobilität in ihren Fahrzeugflotten zu leisten, für bessere Schulen und mehr Kitas zu sorgen sowie eine zügige Umsetzung der Digitalisierung in den Verwaltungen anzugehen.
„Alle diese Ziele brauchen eine nachhaltige Finanzierung“, betonten Spiegler und Landsberg. „Das Jahr 2021 haben die Städte und Gemeinden mit einem Defizit von über neun Milliarden Euro abgeschlossen. Auch für 2022 müssen wir mit einem weiteren Defizit von über zehn Milliarden Euro rechnen, da durch die anhaltende Pandemie und die Störung der weltweiten Lieferketten sich die Wirtschaft nicht so schnell erholt wie erwartet.“
Auf dieser Basis werde es schwer, die von den Menschen erwartete bessere kommunale Daseinsvorsorge – mit gut ausgestatteten Schulen, mehr Kitas, guten Straßen, Wegen und Plätzen – voranzubringen. „Zumal schon jetzt ein kommunaler Investitionsrückstand von 149 Milliarden Euro aufgelaufen ist, und der Rückstand allein im Bildungsbereich 46,5 Milliarden Euro beträgt“, heißt es vom DStGB.
Deshalb fordert der DStGB einen weiteren kommunalen Rettungsschirm für die Einnahmeausfälle, insbesondere im Bereich der Gewerbesteuer und der Einkommenssteuer. „Nur wenn die Kommunen in Deutschland in die Zukunft investieren können, werden wir die Klimaziele in den kommenden Jahren erreichen können“, bekräftigen Spiegler und Landsberg.
Neben dem Klimaschutz nennt der DStGB explizit die „Pandemiestrategie“ als zentrale Herausforderung für Städte und Kommunen.
Pandemiestrategie
„Leider ist Corona noch nicht vorbei. Mit der neuen Variante Omikron droht eine fünfte Welle. Die Impfstoffhersteller haben bereits angekündigt, im Frühjahr einen angepassten Impfstoff bereitzustellen. Das bedeutet, dass nach dem Boostern auch noch eine vierte Impfung erforderlich sein wird“, sagten Spiegler und Landsberg. Dies müsse organisatorisch vorbereitet werden. „Wir brauchen zusätzliche Impfzentren, ausreichend Impfstoffe und müssen auch überlegen, ob die neuen Impfungen mit Blick auf Alter und Beruf priorisiert werden sollen.“
Mit Blick auf die Diskussionen um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht erneuert der kommunale Spitzenverband seine Forderung nach einem zentralen Impfregister. Mit den Vorbereitungen müsse nun rasch begonnen werden. „Andere Länder wie zum Beispiel Schweden und Dänemark haben damit gute Erfahrungen gemacht. Ein solches Impfregister kann auch datenschutzkonform ausgestaltet werden. Wenn wir die Impfpflicht wirksam umsetzen wollen, brauchen wir eine valide Informationsgrundlage“, betonten Spiegler und Landsberg.
Digitalisierung
Für die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung sollen und wollen die Städte und Gemeinden deutlich mehr Geld ausgeben. Laut der Kommunenstudie 2021 von Ernst & Young (EY), bei der im Oktober und November 2021 Stadtkämmerer und leitende Mitarbeiter der Finanzverwaltungen befragt wurden, werden die Gesamtinvestitionen der deutschen Kommunen moderat steigen. Dabei planen ganze 58 Prozent eine Steigerung der Investitionsausgaben für ihre IT-Infrastruktur (siehe Grafik). Mit 57 Prozent nahezu gleichauf rangiert die Modernisierung der Schulen. Erst mit deutlichem Abstand folgen Investitionen in Straßen, Gebäude, Kultur und den öffentlichen Nahverkehr.
„Bei einer ehrlichen Bestandsaufnahme bleibt festzustellen, dass der digitale Rückstand der Öffentlichen Verwaltung gegenüber der Privatwirtschaft in den vergangenen Jahren nicht kleiner, sondern eher größer geworden ist“, stellt der DStGB in seiner Jahresbilanz fest. Auch wenn das Onlinezugangsgesetz neuen Schwung in die Digitalisierung der Verwaltung gebracht habe, stünden hinter der Umsetzung bis Ende dieses Jahres große Fragezeichen. „Aus kommunaler Sicht ist es weniger von Bedeutung, die Umsetzung dieses immensen Digitalisierungsvorhabens bis ins letzte Detail fristgerecht umzusetzen. Ziel muss es vielmehr sein, durchgehend digitale Prozesse zu etablieren, die auch eine wirkliche Entlastung für die Verwaltungen darstellen und die Effizienz des Verwaltungshandelns insgesamt erhöhen.“ Die Umsetzung unausgewogener, unfertiger digitaler Angebote, die sich auf das Front-End beschränken, löse keine Probleme, sondern schaffe in absehbarer Zeit neuen Anpassungsaufwand.
Stellschrauben
Parallel zu den geplanten Vorhaben rechnen 14 Prozent der ostdeutschen Kommunen mit steigenden und 52 Prozent mit sinkenden Schulden. In den alten Bundesländern wird die Lage deutlich negativer eingeschätzt: Ganze 40 Prozent der Kommunen gehen hier von einem Anstieg der Verschuldung in den kommenden drei Jahren aus, nur 29 Prozent rechnen mit einer sinkenden Schuldenlast.
Die Folge: Steuererhöhungen. „Die schwierige Haushaltslage zwingt viele Kommunen, erneut harte Einschnitte vorzunehmen und unpopuläre Sparmaßnahmen einzuleiten“, so EY. 26 Prozent der Städte und Gemeinden planen demnach, ihre kommunalen Leistungen einzuschränken, und 70 Prozent werden wohl kommunale Steuern und Gebühren erhöhen. Vor allem in Sachsen und Schleswig-Holstein soll an der Gebührenschraube gedreht werden.
Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen geht immer weiter auseinander
Was wird teurer?
Teurer werden sollen laut EY-Studie vor allem die Wasserversorgung sowie die Müllabfuhr (bei jeweils 40 Prozent der Kommunen). Eine Anhebung der Grundsteuer planen 32 Prozent, die Gewerbesteuer soll in 29 Prozent der Kommunen angehoben werden. Dahinter folgt die Straßenreinigung, die in 28 Prozent der Kommunen voraussichtlich teurer wird. Friedhofs- und Parkgebühren sollen in 18 beziehungsweise 17 Prozent der Kommunen steigen.
26 Prozent der Städte und Gemeinden planen laut Studie neue Einschränkungen des kommunalen Angebots (Vorjahr: 23 Prozent). „Viele Kommunen haben ihre freiwilligen Leistungen bereits stark reduziert, so dass an dieser Stelle kaum noch Einsparpotenziale bestehen“, erläutert Mattias Schneider, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector in Deutschland. „Besonders in strukturschwachen Gegenden bieten viele Kommunen inzwischen wenige Leistungen, die über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen.“
Am häufigsten steht das kommunale Schwimmbad auf der Streichliste: 16 Prozent der befragten Städte und Gemeinden planen die Schließung oder einen eingeschränkten Betrieb. Zudem wollen 13 Prozent der Befragten an der Straßenbeleuchtung sparen, und jede neunte Kommune will Bibliotheken oder sonstige kulturelle Einrichtungen schließen.
„Die aktuelle Krise zeigt, dass die finanzielle Ausstattung der deutschen Kommunen alles andere als nachhaltig ist – und dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinandergeht“, mahnt Schneider abschließend.
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