Neue Arbeitsweisen bei Software-Entwicklungsprojekten Digitalisierung der Verwaltung kann nur agil gelingen

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Spätestens das absehbare Reißen der OZG-Ziellinie und die lauter werdenden Rufe nach einem OZG 2.0 zeigen deutlich: Öffentliche Verwaltungen benötigen schnell neue Projektarbeitsweisen. Mitunter ist eine Portion Mut notwendig, um sich neuen Denkweisen und Konzepten zu öffnen. Die Praxis zeigt aber: Es funktioniert – und zwar viel besser als erwartet.

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Der digitale Wandel sollte bewusst gestaltet werden
Der digitale Wandel sollte bewusst gestaltet werden
(© stockfoto)

Egal ob es um die Bereitstellung von webfähigen Formularen geht, um die Implementierung von zugekauften Softwarelösungen für Fachverfahren oder um eine komplette Eigenentwicklung – mit klassischem Projektmanagement nach Wasserfallprinzip sind die Herausforderungen beim Aufbau von digitalen Verwaltungen kaum zu bewältigen. Zu sehr drängt – auch ohne OZG – die Zeit, zu hoch ist die Komplexität einzelner Digitalisierungsprojekte. Die Lösung: ein agiles Vorgehen.

Die in der Wirtschaft bereits verbreitete agile Vorgehensweise in der Produktentwicklung, beispielsweise nach Scrum, bietet gerade in der öffentlichen Verwaltung wesentliche Vorteile. Der vielleicht wichtigste Punkt, weil für den späteren Nutzungserfolg entscheidend: Im Fokus des Entwicklerteams ist stets die Sicht der Bürgerinnen und Bürger sowie der Fachanwenderinnen und Fachanwender auf das Endprodukt. Außerdem macht ein konsequent agiles Vorgehen die hohe Komplexität eines Prozesses beherrschbar. Und in Summe stehen die wichtigsten Produktfunktionen zuerst bereit, so dass ein Go-Live früher erfolgen kann.

Agilität bringt Flexibilität und Risikominimierung

Ein allgemeines Beispiel: In klassischen Projekten nach Wasserfallprinzip erfolgt im ersten Schritt die Fertigstellung des Projekts oder Produkts durch Entwickler und IT-ler basierend auf vorab erstellten Spezifikationen. Erst nach abgeschlossener Entwicklung oder Go-Live wird (konsequent) Kundenfeedback eingeholt, welches zu umständlichen nachträglichen Anpassungen führen kann. Jede neue Bildschirmaufteilung, jede neue Workflow-Funktion und jede neue Buttonform, die nach Fertigstellung gewünscht werden, führen zu zusätzlichen Ressourcen- und Zeitaufwänden. An die Stelle vermeintlicher Planungssicherheit aus dem Pflichtenheft von Wasserfallprojekten tritt im Gegensatz dazu bei agilem Vorgehen eine hohe Flexibilität in der Umsetzung und eine größtmögliche Risikominimierung. In agilen Projekten erfolgt die Werterzeugung frühzeitig, iterativ und in Produktinkrementen, die regelmäßig von späteren Anwenderinnen und Anwendern abgenommen werden: In regelmäßigen Feedbacks innerhalb von Reviews sind sie frühzeitig in die Produktentwicklung eingebunden.

Auf diese Weise kann das Entwicklerteam alle Funktionen der späteren Verwaltungslösung dynamisch an die Wünsche der späteren Nutzergruppen anpassen. Aber auch kurzfristige externe Einflüsse wie Gesetzesänderungen lassen sich umproblematisch integrieren. Die gewünschte Qualität des Endproduktes wird dadurch signifikant früher erreicht. Am Ende profitiert die Bevölkerung durch eine nutzerfreundliche Anwendung und die öffentliche Verwaltung durch effizientere Entwicklungsprozesse.

Agiles Projektmanagement als Bindeglied

Eine Umstellung auf agile Methoden sollte generell eng begleitet werden, da im Zweifel ein radikal veränderter Arbeitsalltag die Folge ist. Besonders die komplexen, klassisch hierarchisch aufgebauten und nach Silos orientierten Entscheidungsstrukturen sind erfahrungsgemäß eine Herausforderung. Hinzu kommen politische Leitplanken, in denen die Projekte in der Regel eingebettet sind. Diese sind im Projektalltag oft allgegenwärtig und können die Flexibilität einschränken oder einen besonderen Projektaufbau erforderlich machen.

Empfehlung 1: In der Praxis hat es sich bewährt, die klassische Organisationsstruktur im ersten Schritt bestehen zu lassen und mit einem an die Projektsituation angepassten agilen Projektmanagement zu verbinden. So werden agil arbeitende Projektteams und deren Bedürfnisse, wie zum Beispiel Zulieferungen anderer Fachbereiche oder Feedbacks, bereits frühzeitig in der Organisation anschlussfähig, während die Veränderung in der Organisation einem organischen Wachstum folgt.

Diese Schnittstelle zwischen agilem Projektmanagement und klassisch aufgebauter Organisation ist der Schlüssel für die nachhaltig erfolgreiche Agilisierung des öffentlichen Bereichs. Dabei kann das Projektmanagement intern in der Behörde erfolgen oder auch von externen Expertinnen und Experten unterstützt oder übernommen werden.

Agilität in der klassischen Organisation

In der Praxis ist es gerade im öffentlichen Bereich eine große Herausforderung, die erwähnten Strukturen mit den Maßgaben des agilen Projektaufbaus, beispielsweise nach Scrum, zu verknüpfen. Denn nach Lehrbuch sind kleine Teams (sechs bis neun Mitglieder), kurze Entscheidungsprozesse und cross-funktionale Wissensverteilung der Kern von Scrum. Im traditionellen öffentlichen Bereich ergeben sich jedoch oft automatisch Projekt-Setups aus sehr großen Teams (bis zu 25 Teammitglieder), dazu mit geteilten und/oder reduzierten Verfügbarkeiten der Teammitglieder, stark ausgeprägten Silos sowie individuell vorhandenem Expertenwissen.

Empfehlung 2: Da die Erfahrungen jedes einzelnen Teammitglieds für den Projekterfolg relevant sind, sollte die Projektstruktur an die Umgebung angepasst werden – arbeiten nach Scrum ist dennoch möglich! Breit verteilte Zuständigkeiten und Verantwortungen sind kein Hinderungsgrund, mit agilen Methoden anzufangen.

In dieser Komplexität ist das Wichtigste, dass das Entwicklungsteam und damit die Umsetzung der Funktionen in inkrementellen, iterativen Entwicklungsschritten sauber nach agilen Prinzipien arbeitet. Der regelmäßige Austausch mit den Anwenderinnen und Anwendern sowie das Konsolidieren der Anforderungen bleiben zentral. All dies wird durch das angepasste Projekt-Setup abgebildet, in dem ein erfahrener Product Owner die agile Produktentwicklung sicherstellt. Klare Erkenntnis aus der Praxis: Es funktioniert – nach anfänglichen Eingewöhnungen auf allen Seiten – auch problemlos und erfolgreich remote und muss auch zukünftig nicht zwingend ausschließlich vor Ort stattfinden.

Verzahnung von Methodik und Technik

Ein Erfolgsfaktor bei agilen Entwicklungsprojekten ist eine gelungene Verzahnung von methodischer Beratungskompetenz mit technischer Umsetzungsqualität. Wenn dabei alles aus einer Hand kommt, können kulturelle Reibungsverluste und Missverständnisse vermieden werden. Vertrauen, gegenseitiges Verständnis und Kenntnisse der Arbeitsbereiche reduzieren gerade am Anfang Ressourcen und Zeit. Methodik und Umsetzung aus einer Hand ist aber keine Voraussetzung, da agile Prinzipien eine internationale Sprache sind, die ohnehin über Organisationsgrenzen funktioniert. Ein gutes Beispiel für ein Entwicklungsprojekt sehr nah am Scrum-Standard ist die Umstellung des aktenbasierten Hamburger Schiffsregisters auf ein digitales, webbasiertes Registersystem: Deutschlands größtes Schiffsregister wurde binnen zwei Jahren von einem 20-köpfigen Projektteam digitalisiert – in time und in budget. Involviert waren verschiedene Fachabteilungen auf Auftraggeberseite (Federführung: Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Hamburg) und zwei Umsetzungspartner. Eine Erkenntnis aus verschiedenen Lessons Learned: Durch den agilen Ansatz konnte das komplexe Projekt zügig umgesetzt werden.

Langfristige Skalierung durch Large Scale Scrum

Dennoch ist der unumgängliche nächste Schritt für das Fortschreiten der agilen Transformation im öffentlichen Bereich die methodische Ausweitung innerhalb der Organisationen. Dabei muss auch die Skalierung mit einer Vielzahl an Abhängigkeiten umgehen können und mit besonderem Fokus auf die Anforderungsaufnahme erfolgen.

Empfehlung 3: Eine wirksame Methode ist Large Scale Scrum (LeSS), um das Projektsetup organisch weiterzuentwickeln. LeSS ist ein Framework, das sich insbesondere für Umgebungen mit vielen Abhängigkeiten eignet, wie sie in der Öffentlichen Verwaltung zu finden sind. Die Stärke von LeSS liegt darin, dass aus bestehenden Scrum-Anfängen und -Strukturen heraus eine Skalierung der agilen Arbeitsweise aufgebaut wird. Das Framework verzichtet auf eine Vielzahl an neuen Rollen und Prozessen und gibt durch schrittweises Vorgehen die nötigen Entscheidungsfreiheiten, um die agile Transformation an die jeweiligen Projektsituationen und Geschwindigkeiten in einer Organisation anzupassen.

Kultureller Wandel als Voraussetzung für Agilität

In den öffentlichen Verwaltungen setzten die Verantwortlichen bisher vorwiegend auf das klassische Projektvorgehen. Veränderungen wie die Umstellung auf eine agile Projekt-Arbeitsweise führen daher verständlicherweise auf allen Ebenen zu Unsicherheiten. Diesen gilt es entgegenzuwirken.

Empfehlung 4: Eine transparente Kommunikation unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die schrittweise Heranführung an Agilität inklusive Schulungen sind der Schlüssel für eine erfolgreiche agile Transformation. Der Wandel sollte bewusst gestaltet werden. Agilität in einer Organisation ist eben mehr als die Einführung einer agilen IT-Produkt-/Projektentwicklung – es ist vielmehr ein kultureller Wandel. Während agiles Vorgehen als Art Handwerk erlernbar ist, muss der Kulturwandel in den Köpfen und – etwas Pathos sei erlaubt – Herzen gelebt werden. Wenn dieser Wandel transparent und mit der richtigen Geschwindigkeit durchlebt wird, kann eine ganze Organisation agil werden und nicht nur agil arbeiten.

Beispielhafter agiler Projektaufbau in einer Einrichtung der öffentlichen Verwaltung
Beispielhafter agiler Projektaufbau in einer Einrichtung der öffentlichen Verwaltung
(© mgm technology partners GmbH)

Die Autoren: Charlotte Weiland, Consultant, mgm consulting partners; Till Gartner, Mitglied der Geschäftsleitung, mgm technology partners.

Weiter Informationen finden Sie unter public-sector.mgm-tp.com.

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