Digitalisierung Die eGovernment-Pläne für Niedersachsen

Das Gespräch führte Susanne Ehneß Lesedauer: 6 min |

Anbieter zum Thema

Niedersachsen hat eine Digitalstrategie bis 2030 vorgelegt. Im Interview erläutert Dr. Horst Baier, IT-Bevollmächtigter der Landesregierung, die Schwerpunkte und Zielsetzung dieser Strategie.

Neues Rathaus der Landeshauptstadt Hannover
Neues Rathaus der Landeshauptstadt Hannover
(© nordenfan - stock.adobe.com)

Niedersachsen hat mit einer neuen Digitalstrategie die Marschrichtung für die nächsten sieben Jahre festgelegt. Welche drei Punkte sind für die digitale Transformation der Verwaltung zentral?

Baier: Der zentrale Treiber für die weitere Digitalisierung sind der Fachkräftemangel und die gestiegenen Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern an gute digitale Serviceleistungen der öffentlichen Verwaltung. Vor diesem Hintergrund steht die konsequente Fortführung der Digitalisierung durch Onlinezugänge in die Verwaltung und die weitestgehende Automatisierung von Abläufen innerhalb der öffentlichen Verwaltung im Mittelpunkt unserer Strategie. Unser Ziel ist es, alle Verwaltungsleistungen einfach, intuitiv und mobil nutzbar online anzubieten und die Prozesse innerhalb der Verwaltung im Sinne einer Ende-zu-Ende-­Digitalisierung vollständig elek­tronisch zu unterstützen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Nutzung moderner Technologien, um die IT wirtschaftlicher und leistungsfähiger aufzustellen. Dabei stehen derzeit der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Cloud-Technologie, Low-Code und Virtual Reality im Fokus. Hierzu sind entsprechende Projekte gestartet worden.

Als dritten Punkt möchte ich die Optimierung unserer IT-Organisation nennen. Das Land Niedersachsen hat in den vergangenen Jahren seine IT-Aufwendungen stark gesteigert. Derzeit ist die IT im Land durch eine stark dezen­trale Ausrichtung mit ca. 30 IT-­Betrieben geprägt. Hinzu kommen viele IT-Dienstleister der Kommunen und autarke IT-Bereiche in den Kommunen. Um die technischen und personellen Herausforderung in der IT in der Zukunft bestehen zu können, muss eine Bündelung von Kompetenzen und eine engere Zusammenarbeit aller IT-Betriebe stattfinden. In der IT-Strategie wurde eine Bündelung der IT-Kompetenzen als Maßnahme beschlossen. Auch hierzu haben wir ein Projekt gestartet.

Laut Strategie soll auch die behörden- und länderübergreifende Zusammenarbeit gestärkt werden. Wie soll das konkret aussehen?

Baier: Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes hat allen aufgezeigt, wie heterogen die IT-Landschaft im öffentlichen Sektor in Deutschland ist. Das Land Niedersachsen bekennt sich klar zu der möglichst umfassenden Nachnutzung von bereits bestehenden Lösungen. Dies gilt für Onlinedienste nach dem Einer-für-Alle-Prinzip, aber auch für Fachverfahren oder sonstige IT-Lösungen. Ein ­gutes Beispiel sind die BundID und das gemeinsame Unternehmenskonto. Wichtig ist auch das Engage­ment in länderübergreifenden Verbünden zur gemeinsamen Entwicklung und dem Betrieb von Fachsoftware, beispielsweise bei der Polizei, der Steuerverwaltung oder der Justiz. Durch die Cloudtechnologie wird es in Zukunft einfacher sein, zentrale Angebote zu nutzen.

Zusätzlich müssen wir Bemühungen unterstützen, dass die Kommunen ihre IT stärker bündeln. Dies kann durch den gemeinsamen Betrieb der IT für mehrere Kommunen oder durch die stärkere Nutzung von IT-Dienstleistern erfolgen. Aber auch die vielen kommunalen IT-Dienstleister im Land müssen stärker kooperieren und Kompetenzen bündeln. Möglich ist auch eine bessere Kooperation zwischen dem Land und den kommunalen Dienstleistern. Beispiele wären der gemeinsame Betrieb einer zentralen Servicestelle für Verwaltungskunden oder für technische Probleme auf Verwaltungs­arbeitsplätzen, die Bildung von Kompetenzzentren für Fachverfahren, einheitliche Plattformen für Open Data oder Smart City, die gemeinsame Nutzung von Rechenzentren oder ein gemeinsames ­Behördengedächtnis auf Basis von künstlicher Intelligenz.

Ihre neue Digitalstrategie wirkt extrem komplex. Ist der Zeit­rahmen bis 2030 trotzdem realistisch?

Baier: Eine Digitalstrategie ist bei der schnellen technischen Entwicklung schnell überholt. Wir planen daher eine jährliche Überprüfung unserer Ziele und Maßnahmen. Aus der Strategie wird ein umfassender Handlungsplan mit konkreten Projekten abgeleitet, der Ende 2023 beschlossen werden soll. Die einzelnen Projekte werden dann zeitlich genau geplant und umgesetzt. Aus den Erfahrungen in der Vergangenheit kann ich den Optimismus herleiten, dass wir unsere Ziele auch umsetzen können. Vieles hängt aber auch von externen Faktoren wie der Verfügbarkeit von Personal, Finanzmitteln und bundesweiten Entscheidungen ab.

Eine große Herausforderung bei einer komplexen Digitalstrategie ist die Vermittlung in den politischen Raum. Das Thema Digitalisierung steht nicht im Fokus der politischen Debatten in Deutschland, wird aber immer mehr zu einem Erfolgsfaktor für einen funktionierenden Staat. Wir haben uns daher auch das Ziel gesetzt, zumindest die Landesgesetze einem Digitalcheck zu unterziehen und schon bei der Entwicklung von Gesetzen die Digitalisierung und technische Umsetzung mitzudenken.

Auf der nächsten Seite: Budget, Unterstützung der Kommunen, EfA-Thema Gesundheit, eGovernment auf Bundesebene.

Welches Budget ist für die Umsetzung der Digitalstrategie vorgesehen?

Baier: Zur Umsetzung der vorherigen Digitalstrategie stand ein mehrjähriges fixes Budget von ca. 135 Millionen Euro für fünf Jahre zur Verfügung. Hinzu kamen ca. 40 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket. Die Mittel werden bis Ende 2024 aufgebraucht sein. Für neue Themen wie Künstliche Intelligenz, die Fachverfahrensmodernisierung, die weitere Einführung der eAkte oder die Registermodernisierung stehen für 2023 und Folgejahre weitere Mittel zur Verfügung. Da das IT-Budget des Landes nicht zentral verwaltet wird und jedes Jahr nach Bedarf neu justiert wird, kann ich keine genaue Zahl für die Umsetzung der vielen Maßnahmen nennen. Bislang hat die Landesregierung und der Landtag nachvollziehbare Bedarfe aber immer bewilligt. Unser Problem sind eher die fehlenden Personalkapazitäten zur Umsetzung der Projekte.

Jetzt Newsletter abonnieren

Wöchentlich die wichtigsten Infos zur Digitalisierung in der Verwaltung

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Wie werden die niedersächsischen Kommunen bei der Digitalisierung unterstützt?

Baier: Das Land hat ein umfangreiches Paket zur Unterstützung der Kommunen umgesetzt. Wir stellen diverse Basisdienste wie ein Servicekonto, ein Unternehmenskonto oder Software bereit. Hinzu kommt die Bereitstellung eines Entwicklungstools für Onlinedienste (NAVO). Die Kommunikation ist uns angesichts der hohen Komplexität für Kommunen sehr wichtig. Wir bieten eine Vielzahl von Informationsveranstaltungen und ein eigenes Internetportal ­unter dem Label niedersachsen.online an. Dort gibt es einen geschützten Bereich mit Informationen und Austauschmöglichkeiten. Das Land stellt kostenlos Onlinedienste mit dem Schwerpunkt auf den in der Single-Gateway-Verordnung der EU (SDG) genannten Leistungen zur Verfügung.

Für 2024 ist die Übernahme der Betriebskosten für alle Onlinedienste in den Kommunen geplant. Darüber hinaus wurden die Baubehörden finanziell bei der Digitalisierung unterstützt. Das Land bietet den Kommunen derzeit einen kostenlosen Cybersicherheitscheck und eine Strategieberatung zur ­Digitalisierung an. Ansonsten werden diverse Pilotprojekte in Kommunen und Fortbildungsangebote vom Land finanziert. Durch eine Beteiligung des Landes an der GovConnect GmbH und der GovDigital sind wir auch in der Lage, alle verfügbaren Onlinedienste den Kommunen über das Konstrukt einer Inhousevergabe unkompliziert zur Verfügung zu stellen.

Dr. Horst Baier, CIO von Niedersachsen
Dr. Horst Baier, CIO von Niedersachsen
(© Bettina Meckel-Wolf)

Im Rahmen der OZG-Umsetzung (EfA) ist Niedersachsen federführend für das Themenfeld „Gesundheit“ verantwortlich. Wie ist hier der Status quo?

Baier: Die 15 von Niedersachsen verantworteten Onlinedienste sind wie zugesagt bis Ende 2022 fertiggestellt worden. Die Anzahl der Implementierung im Land und den Kommunen steigt stetig an. Diese wachsende Anzahl an abgewickelten Onlineanträgen zeigt uns, dass die Resonanz der Bürgerinnen und Bürger gut ist. Auch haben wir seit einem Jahr ein Rollout-Team mit dem Auftrag im Einsatz, Verträge mit anderen Bundesländern zur Nachnutzung abzuschließen und die konkrete Umsetzung in den Kommunen einschließlich der Schnittstellen in die Fachverfahren zu begleiten. Das Interesse an unseren Onlinediensten ist sehr hoch. In Niedersachsen nutzen beispielsweise schon 70 Prozent aller Gesundheitsämter die Infektionsschutzbelehrung. Dieser Onlinedienst spart den Kommunen im Übrigen viel Aufwand und ist bei den Nutzern wegen des leichten Zugangs sehr beliebt.

Wie bewerten Sie die Digitalisierungsbemühungen für die öffentliche Verwaltung auf Bundesebene?

Baier: Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf allen staatlichen Ebenen ist ein mühsamer, von vielen kleinen Schritten gekennzeichneter Prozess. Wir kommen insgesamt in vielen Feldern voran, allerdings nicht in der notwendigen Geschwindigkeit. Ein Blick auf Länder wie Estland, Finnland oder Dänemark lassen ein ­Erfolgsmuster für eine erfolgreiche Digitalisierung erkennen. Sie haben weniger föderale Strukturen, zentrale Vorgaben und Angebote von Fachverfahren und technischen Basiskomponenten, zen­trale Finanzierungen, intensive Nutzung privater IT-Dienstleister, digitaltaugliche Gesetze und eine digital affine Bevölkerung mit hohem Vertrauen in den Staat und den Umgang mit den Daten.

Vor dem Hintergrund unserer Rahmenbedingungen und komplizierter Abstimmungsprozesse zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind wir dennoch nach meiner Einschätzung gut voran­gekommen. Die bestehenden Hürden und Probleme werden mit einer meist konstruktiven Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen sukzessive gelöst. Es gehen immer mehr Onlinedienste an den Start. Die nächsten Schritte einer Binnendigitalisierung und einer Registermodernisierung werden folgen. Auch wächst das Bewusstsein in den Verwaltungen, dass die Digitalisierung mit Blick auf den Fachkräftemangel die einzige Chance bietet, um die Verwaltungen in Zukunft funktionsfähig zu halten. Insofern bin ich optimistisch, dass Deutschland im Ranking des Digitalisierungsgrades sich nach vorne arbeiten wird.

(ID:49796051)