Interview Corona beschleunigt Verwaltungsprozesse
Nächste Woche beginnt in Lübeck der Kongress Innovatives Management der Mach AG. Die Veranstaltung steht unter dem Motto Öffentliche Verwaltung im Post-Corona-Spagat. Im Vorfeld des Kongresses, der in diesem Jahr erstmals auch wieder als Präsenzveranstaltung durchgeführt wird, sprach eGovernment Computing mit dem schleswig-holsteinischen Staatssekretär Tobias Goldschmidt und dem Mach-Vorstand für Technologie und Beratung Stefan Mensching über die Folgen der Pandemie für eGovernment und Verwaltungsmodernisierung.
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Herr Goldschmidt, Corona hat die Arbeitsprozesse auch in der Öffentlichen Verwaltung in einem Maße verändert, die bis vor Kurzem noch völlig undenkbar gewesen wären. Wie stellt sich der aktuelle Stand in Schleswig-Holstein jetzt dar?
Goldschmidt: Zunächst einmal war für die Bewältigung der Corona-Krise ganz entscheidet, dass wir auch vor der Pandemie schon längst auf dem Weg zur digitalen Verwaltung waren. Wir hatten zum Beispiel die eAkte schon in vielen Bereichen eingeführt und auf den Weg gebracht. Und wir haben, glücklicherweise frühzeitig, entschieden, die Mitarbeiter im Digitalministerium mit mobiler Hardware auszustatten.
Ganz allgemein hat die Corona-Pandemie aber dazu geführt, dass sich die Modernisierung der Verwaltungsprozesse massiv beschleunigt hat. Die Tatsache, dass durch die Pandemie alle Verwaltungsstellen gezwungen waren, möglichst schnell und umfassend Dienste zur Krisenbekämpfung anzubieten, hat dazu beigetragen, dass Fragen des Prozessdesigns und das kritische Hinterfragen von althergebrachten Prozessen eine große Dynamik entwickelt haben. Das hat – zum Beispiel beim Thema Führung auf Distanz – zu einer neuen offenen Diskussionskultur geführt.
Bisher wurden solche Themen eher im in Expertenkreisen diskutiert. Jetzt interessieren sich dafür auch die Abteilungs- und Referatsleitungen oder Mitarbeiter in den Fachverwaltungen, die bislang wenig digitalaffin waren. Hier hat die Pandemie, meiner Meinung nach, den größten Einfluss auf die Kultur in der Verwaltung gehabt.
Herr Mensching, wie bewerten Sie die Entwicklung? Ist die Entwicklung in Industrie und Wirtschaft vergleichbar oder gibt es Unterschiede?
Mensching: Ich denke, zunächst einmal muss man allen Verwaltungen in Schleswig-Holstein und darüber hinaus ein Kompliment für die erfolgreiche Bereitstellung der technischen Infrastruktur machen. Nur deshalb konnten auch in der Hochphase der Pandemie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter remote arbeiten. Das war auch bei uns im Unternehmen nicht anders. Wir haben während der Pandemie zum Beispiel neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt, die seitdem im Homeoffice arbeiten und die wir eigentlich erst jetzt so richtig persönlich kennenlernen.
Bei allen Vorteilen, die Remote-Arbeitsplätze bieten, merken wir, dass bestimmte Präsenztermine unverzichtbar sind. Dennoch wird nach der Pandemie das Homeoffice nicht wieder verschwinden. Schließlich haben alle dieses Mehr an Flexibilität zu schätzen gelernt. Das wird Auswirkungen auf die Unternehmens- und Führungskultur haben – in der Wirtschaft ebenso wie in der Öffentlichen Verwaltung.
Wir haben in der zurückliegenden Zeit auch gelernt, dass die Arbeit von Zuhause nicht allen Mitarbeitern gleichermaßen liegt. Insbesondere wenn parallel zur Arbeit Kinder betreut oder geschult werden müssen, ist Homeoffice eine ziemliche Herausforderung. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen haben während der Lockdowns vormittags ihre Kinder betreut und dann nachmittags oder abends gearbeitet. Da bin ich froh, dass wir in dieser für alle neuen Situation an einem Strang gezogen haben. Für uns als Unternehmen – und ich denke, das wird in den Öffentlichen Verwaltungen nicht anders sein – bedeutet das, dass wir zukünftig nicht nur über Remote-Arbeitsplätze nachdenken müssen, sondern viel mehr eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten ins Auge fassen müssen.
Goldschmidt: Da muss ich Herrn Mensching zustimmen. Auch in der Öffentlichen Verwaltung ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit ein großes Thema. Wir hatten natürlich auch vor der Pandemie schon entsprechende Vereinbarungen mit den Tarifpartnern getroffen. Als ich 2017 den Job als Staatssekretär übernommen habe, war das mobile Arbeiten, zwar noch die absolute Ausnahme. Wir haben die entsprechenden Regelungen dann aber sehr schnell liberalisiert. Heute müssen unsere Mitarbeiter zwar noch einen Antrag stellen, wenn sie mobil von zuhause aus arbeiten wollen, aber es braucht schon sehr gute Gründe diesen Antrag abzulehnen. Wer im Homeoffice arbeiten will, kann das in der schleswig-holsteinischen Verwaltung, drei oder vier Tage pro Woche in Anspruch nehmen.
Aber darüber hinaus hat das Thema natürlich auch sehr viel mit Eigenverantwortung zu tun. Die Art und Weise wie wir in dieser neuen Situation zusammenarbeiten, wird derzeit in den Verwaltungen sehr intensiv diskutiert. Denn Herr Mensching hat natürlich recht, wenn er sagt, für einfache Statustermine oder eine Besprechung zu einem Projekt läuft das alles wunderbar digital. Wenn es aber um Problemlösung und den Zusammenhalt im Team geht, sind Präsenttermine unverzichtbar. Die Aufgabe der Führungskräfte ist es jetzt, zu entscheiden, welche Themen jetzt ein persönliches Zusammenkommen notwendig machen.
Herr Goldschmidt, Sie sprachen eingangs von veränderten Prozessen in der Verwaltung und davon, dass man in Schleswig-Holstein in Sachen Verwaltungsdigitalisierung schon auf dem Weg gewesen sei. Das wirft natürlich die Frage auf, wo das Land jetzt bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) steht.
Goldschmidt: Schleswig-Holstein hat ja im Zuge des Einer-für-Alle-Prinzips (EfA) für die OZG-Umweltverfahren die Federführung übernommen. Da haben wir unsere Hausaufgaben gemacht und die entsprechenden Prozesse beschrieben und entwickelt. Diese sind nun nach dem EfA-Prinzip nachnutzbar. An diesem Ergebnis sieht man aber auch, wo die eigentlichen Probleme bei der OZG-Umsetzung liegen: Es hakt nicht bei der Ausarbeitung und Entwicklung der Prozesse, die eigentliche Kernarbeit – die sich auch nicht mal eben im Handumdrehen erledigen lässt – ist das Ausrollen in die Fläche und das Implementieren in den Verwaltungen vor Ort. Das macht eben viel Arbeit und wo da ist auch noch viel zu tun.
Ich bin der Meinung, dass bei der OZG-Umsetzung, aber auch bei den danach anstehenden Digitalisierungsprojekten in der Öffentlichen Verwaltung, darauf ankommen wird, neue Formen der Bund-Länder-Zusammenarbeit zu etablieren. Das gilt meiner Meinung nach besonders für die Vereinheitlichung der Fachverfahren. Wichtig an dieser Stelle ist es mir auch, darauf hinzuweisen, dass Vereinheitlichung ja nicht heißt „einheitlich“. Der Wettbewerb, auch der der Fachverfahrenshersteller, der ist ja gut und soll auch bestehen bleiben.
Was nun die Digitalisierung im Public Sector ganz allgemein betrifft, so möchte ich sagen, dass die Öffentlichen Verwaltungen ja nun zwei Boot Camps hinter sich haben: die OZG-Umsetzung und die Bewältigung der Corona-Pandemie. Während die OZG-Umsetzung die Arbeitsweise und Prozesse der Öffentlichen Verwaltung ganz allgemein auf den Prüfstand stellt, hat die Pandemie uns dazu gezwungen, unsere Arbeitsweisen zu hinterfragen und uns mit den Fragen eines digitalen Arbeitsplatzes zu befassen. Beides hat die Entwicklung hin zu einer digitaleren Verwaltung ganz wesentlich beschleunigt.
Abgeschlossen ist diese Transformation aber noch lange nicht. Wenn wir in der nächsten Krise noch besser aufgestellt sein wollen, dann müssen wir uns bei den Bereichen digitale Souveränität und Verwaltungsorganisation sehr viel intensiver als bisher abgeben.
Mensching: Das sehe ich ähnlich. Die Digitalisierung von Prozessen ist der erste Schritt. In Zukunft müssen Verwaltungen ihre Routineprozesse stärker automatisieren. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz werden künftig Routineentscheidungen viel stärker vorbereiten, so dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur noch ein Augenmerk auf die schwierigen Spezialfälle legen müssen. In der Industrie ist das bereits Alltag. Das kommt in den nächsten Jahren auch auf Dienstleistungsunternehmen und Verwaltungen zu.
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