Digitale Verwaltungsassistenten Chatbot Nordi erobert Norderstedt
Künstliche Intelligenz (KI) ist eines der IT-Trendthemen in Wirtschaft und Verwaltung. Gleichzeitig wird den deutschen Behörden allgemein ein großer Digitalisierungsrückstand vorgehalten, den die Covid-19-Pandemie schonungslos offengelegt hat. Was hat die Stadt Norderstedt bewogen, hier frühzeitig eine Pionierrolle einzunehmen und schon deutlich vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie mit Nordi auf einen KI-basierten, digitalen Assistenten für den Bürgerservice zu setzen? eGovernment Computing hat nachgefragt und mit Norbert Weißenfels, Amtsleiter Interne Digitale Dienste der Stadt Norderstedt, Lydia Bahn, Geschäftsführerin der assono GmbH und Isabelle Wieser, Projektleiterin und Conversation Designerin für Nordi bei assono gesprochen.
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Herr Weißenfels, was hat sie zu diesem – immer noch ungewöhlichen – Projekt motiviert?
Weißenfels: Wir wollten unseren Bürgern noch schneller und einfacher als bisher gut aufbereitete Informationen zugänglich machen. Wir wollten also mehr Bürgerservice bieten. Über eine Kooperation mit den Norderstedter Stadtwerken sind wir dann auf das Unternehmen assono und den KI-Chatbot aufmerksam geworden. Ein Chatbot eignet sich sehr gut als zusätzlicher Kommunikationskanal, denn er ist rund um die Uhr erreichbar, also auch außerhalb der Öffnungszeiten der Verwaltung, wenn beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen des Bürgertelefons nicht mehr erreichbar sind. Der Chatbot hilft somit auch genau dann, wenn die Norderstedterinnen und Norderstedter Feierabend haben oder an den Wochenenden Zeit haben, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern.
Nach etwas über einem Jahr im Einsatz: Wie bewerten Sie den Erfolg von Nordi? Nehmen ihre Bürger das Angebot an? Und welches Resümee ziehen Sie aus Behördensicht?
Weißenfels: Nordi erhält inzwischen über 1.200 Anfragen im Monat. Das Angebot wird somit aus unserer Sicht gut angenommen. Diese hohe Akzeptanz stellt eine große Arbeitserleichterung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Norderstedter Stadtverwaltung dar, denn viele der Anfragen gehen dadurch nicht mehr per Telefon oder eMail bei uns ein. Die Bürgerinnen und Bürger haben durch Nordi bereits einfach und schnell die passenden Antworten auf viele Fragen erhalten.
Was ist die technische Grundlage von Nordi? Gibt es hier fertige Basislösungen, die dann angepasst werden oder muss so ein Assistent von der Pike auf neu entwickelt werden?
Bahn: Das Chatbot-Framework, dass wir bei assono entwickelt haben, baut auf drei Ebenen auf. Auf Ebene 1 befinden sich eine Struktur, die für alle Chatbots gilt. Hier gibt es vorprogrammierte Lösungen wie Begrüßung, Rückfragen aber auch Smalltalk-Fragen. Auf Ebene 2 gibt es branchenspezifische Fragen und Antworten, wie zum Beispiel die Frage nach den Zuständigkeiten, Öffnungszeiten oder Terminen. Hier können wir auch auf vorprogrammierte Dialoge zurückgreifen. Alle Anliegen, die kundenspezifische sind, werden dann auf Ebene 3 eingepflegt. Bei der Sprachanalyse nutzen wir die Künstliche Intelligenz von IBM Watson.
Wie bringt man einer Künstlichen Intelligenz bei, was im Bürgerservice relevant ist? Wie wurde Nordi aufgebaut und trainiert?
Weißenfels: Im Vorfeld der Umsetzung des Chatbots haben wir bei Kolleginnen und Kollegen, die täglich im Kontakt mit unseren Bürgerinnen und Bürgern stehen, nachgefragt, welche Fragen besonders häufig gestellt werden. Diese haben wir als Grundlage für das Training von Nordi verwendet. Fragen zum Einwohnermeldeamt, zum Beispiel zur Anmeldung oder zum Personalausweis, kommen bei unseren Mitarbeitenden besonders häufig vor. Das spiegelt sich im Chatbot tatsächlich auch wider. Nach der Liveschaltung von Nordi haben wir dann beobachtet, welche Fragen darüber hinaus häufig gestellt wurden und haben diese dem Chatbot nach und nach beigebracht. So wurde und wird Nordi immer schlauer. Je mehr Fragen gestellt werden, desto effektiver wird der Chatbot.
Wie muss man sich die Konversation mit Nordi vorstellen? Hat der Bot eine Art von „Persönlichkeit“, so wie städtischen Verwaltungsangestellten aus Fleisch und Blut?
Wieser: Es ist wichtig, dass jeder Chatbot eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Sprachstil hat. Zum einen soll der Stil zum Kunden und zur Zielgruppe passen. Zum anderen arbeiten an einem Chatbot meistens mehrere Personen, die alle unterschiedliche Schreibstile haben. Ein Chatverlauf ist aber meistens nicht linear, der Nutzer entscheidet, welche Frage er als nächstes stellt. Indem man dem Chatbot eine Persönlichkeit gibt und einen passenden Sprachstil definiert, gibt man allen beteiligten Personen einen Leitfaden an die Hand, damit die Texte wie aus einem Guss klingen. Man beginnt damit, einfache Fragen zu stellen wie „Soll der Chatbot siezen oder duzen?“, geht dann aber weiter zu Feinheiten wie „Klingt der Chatbot eher ernst oder fröhlich?“. „Ist er aufgeschlossen oder zurückhaltend?“.
In welchen Bereichen hilft Nordi den Bürgern von Norderstedt heute schon weiter? Und welche Einsatzmöglichkeiten in ihrer Stadt sehen Sie noch für die Zukunft?
Weißenfels: Nordi hat schon viele Bereiche der Stadt kennen gelernt. Neben Fragen zum Einwohnermeldeamt kann er auch Fragen zu Kosten von verschiedenen Dienstleistungen, der Stadtbücherei, dem Fundbüro oder den Schulen beantworten. Auch die Weitergabe von Informationen zu Corona konnten wir ihm beibringen.
Gerade sind wir dabei, Nordi auch auf der Seite des Norderstedter Betriebsamtes einzuführen, wo er Fragen zum Wertstoffhof oder zur Entsorgung von Abfall beantworten soll. Auch eine KI-Langtextsuche ist in der Umsetzung. Wenn Nordi eine Frage nicht versteht, soll er automatisch auf der Webseite der Stadt nach der passenden Antwort suchen. Langfristig soll Nordi auch dazu genutzt werden, Verwaltungsprozesse in der Stadt zu unterstützen, zum Beispiel um Anträge zu stellen.
Was entgegnen Sie jenen Bürgern, denen der Einsatz von KI problematisch erscheint und die Datenschutzbedenken haben?
Weißenfels: Datenschutz ist auch für die Stadt Norderstedt ein wichtiges Anliegen. Das Datenschutzkonzept von assono hat uns überzeugt, weil mit Nordi nur wenige Daten gesammelt werden. Die wenigen Daten, die der Chatbot aus funktionalen Gründen erheben muss, liegen bei uns als Stadt, da der Chatbot-Server bei uns installiert ist.
Bahn: Werden aber doch einmal personenbezogene Daten über den Chatbot erhoben, so werden diese im Gesprächsprotokoll anonymisiert und nicht zur der Sprachanalyse, die im Rechenzentrum von IBM in Frankfurt stattfindet, mitgegeben.
Welche Tipps würden Sie anderen Städten, Kommunen und Behörden geben, die die Einführung ähnlicher Assistenten planen?
Wieser: Das Vorgehen der Stadt Norderstedt würden wir genau so auch anderen Städten, Kommunen und Behörden empfehlen: Starten Sie klein und lassen Sie den Chatbot dann weiterwachsen. Achten Sie bei der Auswahl des Anbieters darauf, dass ein solches Wachstum mit Ihrem Anbieter auch möglich ist. Bei assono sind wir in der Lage, Schnittstellen anzubinden und Prozesse zu automatisieren.
Welches Potenzial sehen Sie allgemein für KI im Behörden- und Verwaltungsumfeld? Und wo liegen aus Ihrer Sicht Grenzen bei den Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht?
Weißenfels: Es ist möglich, dass Chatbots komplexere Aufgaben bewältigen und die Menschen zum Beispiel bei der Beantragung von Anträgen, unter anderem für Wohngeld, unterstützen. Ein Chatbot kann die Bürgerinnen und Bürger durch Antragstellungen führen und sie aktiv unterstützen. Am Ende müssen die Angaben dann nur noch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung geprüft werden.
Aus datenschutzrechtlicher Sicht müssen Behörden und Verwaltungen einen Anbieter wählen, der ein entsprechendes Datenschutzniveau garantiert. Das gilt nicht nur für Künstliche Intelligenz, sondern generell für die elektronische Verarbeitung personenbezogener Daten.
Grenzen hat der Chatbot, sobald es um komplexe und sehr individuelle Themen geht. Der persönliche Kontakt zu einem Menschen ist nach wie vor sehr wichtig, wenn es zum Beispiel komplexe Zusammenhänge oder familiäre Situationen zu besprechen gilt. Der persönliche Kontakt zu Angestellten der Stadtverwaltung lässt sich durch einen Chatbot also nicht in allen Bereichen ersetzen. Ein Chatbot soll vielmehr entlasten und repetitive Aufgaben übernehmen, die einfach automatisiert werden können.
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