Kolumne Beamtenmikado
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Die Geschichten, die wir über das Amt erzählen, prägen unsere Wahrnehmung. Doch Professor Niehaves zeigt, dass dies oft nicht die ganze Wahrheit ist. Wie beeinflussen unsere eigenen Vorurteile unsere Meinung und was lässt sich gegen den „Antipublic Bias“ tun?

„Beamtenmikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren! … Haha, ich dachte, die trinken auf dem Amt doch sowieso den ganzen Tag lang nur Kaffee. … Ist ja dann kein Wunder, dass man fast drei Monate auf einen Termin beim Bürgeramt wartet. … Kennst Du eigentlich schon den neuen Fax-Lifehack? Wenn Du ein Fax an die Behörde schickst, hast Du den direkten Draht und bekommst Deinen Termin innerhalb von Tagen. … Wow, echt jetzt?! … Per DE-Mail soll das aber auch gut klappen.“
Echt jetzt? Menschen scheinen schnell dabei zu sein, wenn es darum geht, über die öffentliche Verwaltung zu schimpfen. Kein Blogbeitrag semi-prominenter Internetpersönlichkeiten übers Amt, der sich nicht übers Fax amüsiert. Kein gut geklickter Artikel, der nicht Schlangen vorm Bürgerbüro wartender Menschen zeigt. Kein Bericht, der nicht Unsummen verschwendeter Steuergelder für gescheiterte öffentliche Digital-Projekte anprangert. Es passt ja auch alles so schön ins Bild, in unser Bild vom Amt. Abgehoben, langsam, intransparent und technisch hängengeblieben im letzten Jahrhundert. Jegliche Abstecher in die digitale Moderne: gescheitert. Ob das zu den Fakten passt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
„Antipublic bias“ – ein Problem
Wir – in unserer Blase – wissen natürlich, was in puncto Verwaltungsdigitalisierung alles erreicht wurde. Gerade in den letzten Jahren, vom Bund bis in die kleinste Kommune. Trotz aller weiterhin existierenden Defizite, wir kennen die vielen Menschen, die unermüdlich mit enormem Engagement für die Modernisierung des Staates kämpfen und veritable Erfolge erzielen. Wir wissen um all die ausgezeichneten Projekte, die Leuchttürme, die auch tatsächlich leuchten. Wir schon. Aber wer von uns traut sich, einen zufälligen Menschen auf der Straße nach dessen Einschätzung zum Erfolg der deutschen Verwaltungsmodernisierung zu fragen?
Über die Kolumne
Praxis und Wissenschaft sind oftmals zwei Paar Stiefel, sie koexistieren, werden jedoch selten direkt zusammengeführt. Gerade den Praktikern fehlt auch häufig die Zeit, die einschlägige wissenschaftliche Literatur zu lesen. Dabei könnten die Erkenntnisse der Wissenschaft auch in den hiesigen Verwaltungen zur Verbesserung der Arbeitsweisen, zum Verständnis neuer Technologie und zum effektiven Einsatz dieser beitragen.
In unserer wissenschaftlichen Kolumne arbeitet Björn Niehaves daher präzise, fundiert und praxisnah den Stand der Wissenschaft zu aktuellen relevanten Fragen oder einzelnen Publikationen auf und bringt sie mit der Praxis zusammen.
Selbst wenn die Verwaltung als Ganzes objektiv gut arbeitet und wirkliche Modernisierungserfolge erzielt, kann die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger eine andere sein. Hier kommen sogenannte „Biases“ ins Spiel. Diese kognitiven Verzerrungen sind unbewusste mentale Muster, die unsere Wahrnehmung und Bewertung von Informationen systematisch beeinflussen. Das lesenswerte Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ des Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann bringt das Thema ins öffentliche Bewusstsein. Und, ja, es gibt ihn, den „Antipublic Bias“, also die Tendenz, öffentliche Einrichtungen vehement als ineffizient oder bürokratisch wahrzunehmen (z.B. J.D. Marvel, 2016, Unconscious Bias in Citizens’ Evaluations of Public Sector Performance). Dies kann dazu führen, dass positive Leistungen des Staates übersehen oder minimiert werden. Konkret zeigt die Forschung u.a., dass Erfolgsnachrichten über den Staat schnell(er) wieder vergessen werden. Und die Konsequenz? Selbst wenn der Staat tolle Modernisierungserfolge vorweist, können diese durch Biases in den Hintergrund rücken.
Und das ist ein Problem. Für uns alle. Eine funktionierende Demokratie benötigt einen funktionierenden Staat, mit einer öffentlichen Verwaltung, die – in den Augen der Bürgerinnen und Bürger! – funktioniert. Eine Verwaltung, die aus Sicht der Bürger effizient, transparent und verantwortungsbewusst agiert und so Vertrauen und Legitimität schafft. Wenn Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Interessen vertreten und ihre Anliegen ernst genommen werden, stärkt dies die Bindung an das demokratische System. Und ein Fehlen eben dieses Gefühls bewirkt genau das Gegenteil. Und das über die Fakten hinaus, weil wir Dinge manchmal unbewusst anders wahrnehmen, als sie tatsächlich sind.
„Debiasing“ – Kognitive Verzerrungen auflösen
Um dies zu überwinden und den Einfluss von kognitiven Verzerrungen auf unsere Wahrnehmung der öffentlichen Verwaltung zu entzerren, können sogenanntes „Debiasing“ Abhilfe schaffen. In Anlehnung an die einschlägige Forschung gibt es einige mögliche Ansätze:
- Partizipation: Ein direkter Kontakt mit staatlichen Einrichtungen und die aktive Einbindung in Entscheidungsprozesse können dabei helfen, Vorurteile abzubauen. Wenn Bürgerinnen und Bürger direkt erleben, wie Verwaltung funktioniert und welche Herausforderungen sie meistert, kann dies das Vertrauen stärken.
- Diversität: Eine vielfältige Verwaltung, die die gesamte Bandbreite der Gesellschaft repräsentiert, kann dazu beitragen, Stereotypen und Vorurteile zu überwinden. Diversität schafft nicht nur Vertrauen, sondern bringt auch unterschiedliche Perspektiven und neue Lösungsansätze ein.
- Ehrlichkeit: Fehler passieren. Doch anstatt sie zu leugnen oder zu beschönigen, sollte die Verwaltung ehrlich und transparent damit umgehen. Das Eingestehen von Fehlern und das Aufzeigen von Lösungswegen kann das Vertrauen in die Institutionen stärken. Vielleicht auch ein Hinweis, wie man mit dem „Erfolg“ OZG-Umsetzung umgehen sollte oder eben auch nicht.
- Erfolge richtig kommunizieren: Statt vollmundiger Versprechen sollte der Fokus auf konkreten Erfolgen liegen. Diese sollten nicht nur erzielt, sondern auch aktiv kommuniziert werden. Wenn ich z.B. die Entwicklung von Smart-City- und Digitalisierungsstrategien begleite, achten wir auf ein Projekt-Portfolio, das über den Zeitablauf kontinuierliche Erfolgsmeldungen ermöglicht, um einen positiven Narrativ staatlicher Digitalisierung zu erzeugen und dem Einfluss unbewusster negativer Erwartungshaltungen zu begegnen.
Eine funktionierende Demokratie braucht eine funktionierende Verwaltung. Und ob diese in den Augen der Bürgerinnen und Bürger funktioniert, hängt nicht allein von Tatsachen, sondern auch massiv von psychologischen Mechanismen ab. Um kognitive Verzerrungen wie den „Antipublic Bias“ zu überwinden, braucht es mehr als nur die beste Lösung, sondern auch ein tiefgreifendes Verständnis, wie wir Menschen wirklich ticken.
Prof. Dr. Dr. Björn Niehaves
ist Informatikprofessor und Politikwissenschaftler, leitet die Arbeitsgruppe „Digitale Transformation öffentlicher Dienste“ an der Universität Bremen und berichtet in der wissenschaftlichen Kolumne über diverse aktuelle Forschungsergebnisse zur digitalen Verwaltung.
Linkedin: www.linkedin.com/in/niehaves
Bildquelle: Björn Niehaves
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